Enronitis und Megainsolvenzen (2001-2002)

Während die Welt unter den Folgen des 11. Septembers litt, konnte die Börse kräftige Zuwächse verzeichnen. Doch der Aufschwung hielt nicht lange. Bereits Ab Ende Oktober sorgten die beunruhigenden Nachrichten über den Energiekonzern Enron zu einer erneuten Rückkehr der Unsicherheit an den Börsen.

Der 1985 durch die Fusion von Natural GAS und Internorth entstandene amerikanische Energiekonzern zählte zu den größten Erdgas-Händlern der Welt. Im August 2000 hatten die Aktien mit 90,52 Dollar ihren Höchststand erreicht und mussten danach deutliche Kursrückgänge hinnehmen, die viele Anleger zunächst aber noch mit der herrschenden Baisse begründeten. Am 11. Oktober 2001 war die Aktie noch 36,79 Dollar wert. Doch während nach außen weiter "heile Welt" verkündet wurde, brodelte es im Herbst 2001 hinter den Kulissen bereits gewaltig. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte der Chef-Rechnungsprüfer im Oktober 2001 unzählige brisante Daten vernichten lassen, um so Fehlbuchungen zu vertuschen. Doch wenig später bekam die US-Börsenaufsicht Wind von der Aktion und begann am 22. Oktober 2001 Ermittlungen gegen Enron aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kurs gegenüber dem 11. Oktober bereits um über 40 Prozent auf 20,65 Dollar eingebrochen. Während nun auch Finanzdirektor Andrew S. Fastow eilends mit der Aktenvernichtung startete, verunsicherten die weiter häppchenweise an die Öffentlichkeit gelangenden Gerüchte die Anleger. Doch niemand konnte das ganze Ausmaß vorhersehen. Am 8. November 2001 gab Enron schließlich offiziell zu, seit 1997 die Gewinne um rund 600 Millionen Dollar künstlich aufgeblasen zu haben. Der Kurs hatte sich mit 8,41 Dollar noch einmal mehr als halbiert.

Panikverkäufe bei Enron-Anlegern


Da die schlechten Nachrichten damit zunächst auf dem Tisch waren, konnte sich der Kurs sogar wieder leicht erholen. Grund dafür war auch ein übernahme-Angebot des deutlich kleineren Wettbewerbers Dynergy Inc., der die marode Gesellschaft für 9,3 Milliarden US-Dollar in Aktien kaufen wollte. Das fusionierte Unternehmen sollte als Dynergy mit Firmensitz in Houston firmieren. Die Schlüsselpositionen im Management sollten ausschließlich von Dynergy besetzt werden. Obwohl Enron das übernahmeangebot annahm und damit ein leichte Kurserholung auf 10,00 Dollar bis zum 14. November auslöste, kam die Fusion nicht zustande. Schon bald nach der Ankündigung wurde klar, dass Enron nur durch diese Fusion überleben konnte. Dies belastete den Kurs der Enron-Aktie erneut und bis zum 27. November halbierte sich die Aktie auf einen Schlusskurs von 4,11 Dollar. Am nächsten Tag schockte dann der übernahmepartner die Anleger, da Dynergy die geplante Fusion mit der Begründung absagte, Enron habe Vertragsbruch begangen, indem hohe Schulden nicht bilanziert wurden. Die Enron-Anleger gerieten in Panik und warfen ihre Papiere auf den Markt. Der Kurs der Aktie brach innerhalb weniger Stunden um über 85 Prozent ein und ging mit 0,61 US-Dollar aus dem Handel. Nach einem Kursverlust von mehr als 90 Prozent seit dem Höchstkurs war Enron damit zum Pennystock degradiert worden. Daran änderte auch der Antrag auf Gläubigerschutz nach Chapter 11 des US-Konkursrechts am 2. Dezember 2001 nichts mehr. Am 23. Januar 2002 wurde die Enron-Aktie schließlich vom Handel ausgeschlossen.

Doch auch wenn die "Enronitis" die Gemüter der Anleger erhitzte, so verharrten die beiden deutschen Indizes in einem Seitwärstrend im Bereich von 4900-5200 (DAX) bzw. 1000-1250 (Nemax All Share). Zum Jahreswechsel 2001/2002 notierte der DAX bei 5160, der Nemax All Share bei 1095 und der Dow bei 10021. Seit den Tiefstständen vom 21. September entsprach dies immerhin einem Zuwachs um 36 Prozent im DAX, um 51 Prozent im Neuen Markt und um 22 Prozent im Dow Jones. Zwar hatten die deutschen Indizes damit erneut eine negative Jahresperformance aufgewiesen und nur vier DAX-Titel schlossen das Jahr mit einem Kursgewinn ab (Adidas, SAP, BMW, Daimler), dennoch blickte die breite Anlegerschar und die Analysten aufgrund der hinter ihnen liegenden Jahresendrallye relativ positiv in das Jahr 2002.

Die meisten Analysten schätzten Ende 2001 den DAX binnen Jahresfrist unverändert oder mit leichten Gewinnen. Die Schätzungen reichten dabei von 7000 (Berenberg Bank) im optimistischten und 4100 (J.P.Morgan) im pessimistischten Fall. Während die große Zahl an Optimisten auf ein baldiges Anspringen der US-Konjunktur setzten, nannten die wenigen Pessimisten die hohe Verschuldung der Haushalte und Unternehmen als Grund für einen Rückschlag. In der Tat konnte die Börse im Januar nicht an die Jahresend-Rallye anknüpfen und verfiel erneut in Lethargie mit regelmäßig neuen negativen Nachrichten und immer wieder fallenden Notierungen.

Bilanzfälschungen nicht nur bei Enron


Gründe für die Rückkehr der Baisse gab es viele. So belastete die Gefahr weiterer Bilanzfälschungen wie im Fall Enron die Gemüter der Anleger, die US-Konjunktur kam nicht wie erhofft wieder in Schwung und auch die breite Masse der Unternehmensmeldungen blieb zurückhaltend bis negativ. Schließlich wuchs nach dem Ende des Afghanistan-Konflikts auch noch die Sorge über einen möglichen Irak-Krieg. Ende Januar hatte US-Präsident Bush in einer Rede zur Nation Iran, Irak und Nordkorea als "Achse des Bösen" bezeichnet und diesen Ländern die Produktion von Massenvernichtungsmitteln vorgeworfen.

Im Februar 2002 hatte dann auch die Börse in Deutschland ihren ersten "Enron-Fall", als die ComROAD-Blase endgültig platzte. Schon mehrmals zuvor war das Unternehmen aufgrund seiner Bilanzierung in Verruf geraten, doch das wirkliche Ausmaß lies selbst die kühnsten Pessimisten erblassen. Bereits Ende Januar hatte es erneut Gerüchte über eine unsaubere Bilanzierung gegeben, was den Kurs der Aktie zunächst von 9,30 Euro (29. Januar) auf 7,20 Euro (31. Januar) drückte. Mitte Februar gab es dann erste Anzeichen, dass ein Großteil des Umsatzes des Unternehmens durch illegale Tricks aufgeblasen worden sein könnte. Die Aktie ging daraufhin in den freien Fall über und rauschte innerhalb weniger Tage um über 70 Prozent in den Keller auf 1,95 (22. Februar). Kurz zuvor hatte bereits der Wirtschaftsprüfer KPMG sein Mandat als Abschlussprüfer niedergelegt, da eine überprüfung einer von ComROAD angeführten Herstellerfirma in Hongkong seitens KPMG vor Ort ergeben hatte, dass die genannte Firma weder unter der angegebenen Adresse bekannt war, noch der Telefonanschluss existierte. Auch ein Registernachweis konnte nicht geführt werden. Die Vorwürfen gegenüber ComROAD "Scheingeschäfte" zu tätigen, verdichteten sich immer weiter. Als immer mehr Details über das Ausmaß des Skandals bekannt wurden, warf der Aufsichtsrat der ComRoad AG am Abend des 07. März 2002 den Vorstandsvorsitzenden Bodo Schnabel fristlos aus dem Unternehmen. Anfang April gab ComROAD dann bekannt, dass 99 (!) Prozent der für 2001 ausgewiesenen Umsätze fingiert waren. Von den 93,5 Millionen Umsatz konnten anläßlich einer Sonderprüfung lediglich 1,3 Millionen nachgewiesen werden. Zu dieser Zeit saß Schnabel längst in Untersuchungshaft und der Kurs der Aktie, die am 19. April schließlich von der Deutsche Börse AG aus dem Neuen Markt ausgeschlossen worden war, gehörte zur Riege der Penny-Stocks.

Im Frühjahr 2002 schwappte die Welle der Skandale immer mehr auf die bisher als relativ sicher geltenden Segmente DAX, MDAX und SDAX über. Bereits im Januar 2002 geriet der DAX-Wert MLP in den Strudel der Skandale, als in Gerüchten auch hier von Unstimmigkeiten in der Bilanzierung die Rede war, die das Unternehmen allerdings in einer Meldung vom 1. Februar 2002 heftig dementierte. Anfang März musste der Bau-Konzern Philipp Holzmann eine massive Gewinnwarnung für das Geschäftsjahr 2001 aussprechen. Kurz darauf kursierten Gerüchte über einen möglichen Finanzengpaß beim Unternehmen, der sich schließlich auch bestätigte. Rettungsversuche scheiterten, so dass Holzmann am 21. März 2002 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit stellen musste. Erstmals war damit ein traditionsreiches Unternehmen von der Insolvenz betroffen, doch es sollte nicht das letzte bleiben.

Kirch-Gruppe verursacht die größte Pleite der Nachkriegsgeschichet


Seit Mitte des Monats war die Mediengruppe Kirch in das Blickfeld der Finanzpresse geraten. Am 11. März hatte der Axel-Springer Verlag gedroht, einen Insolvenzantrag für die Kirch-Gruppe zu stellen, falls Kirch bis Ende April nicht 767 Millionen Euro für Springers Anteil an der ProSiebenSat.1 Media AG überweisen würde. Eine überprüfung der Finanzlage des Mediengiganten brachten hohe Schulden ans Tageslicht, die am 8. April schließlich dazu führten, dass die Kirch-Media einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht in München einreichte und damit die größte Firmenpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte verursachte. Dass der ebenfalls tradtitionsreiche Schreibwarenhersteller Herlitz wenige Tage zuvor, nachdem die Banken die Kreditlinien gekündigt hatten, ebenfalls Insolvenz beantragen musste, ging in den Medien dagegen fast unter. Nicht aber die drohenden Pleite einer anderen "Luftnummer", des Luftschiffbauers CargoLifter. Bis dahin hatten die ehrgeizigen Ziele der Gesellschaft, irgendwann einmal schwere Lasten per Luftschiff von einem Ort zum anderen zu befördern, bereits Milliarden von Euros verschlungen. Doch der Versuch erneut Kapital von Aktionären und Banken zu bekommen scheiterte. CargoLifter flog damit Ende Mai geradewegs in die Insolvenz.

Auch MLP stand zu diesem Zeitpunkt wieder in den Schlagzeilen. Das DAX-Unternehmen lieferte sich mit dem Anlegermagazin "Börse Online" eine Nerven zerreibende Schlacht, ob die ausgewiesenen Bilanzzahlen nun gefälscht sein sollten oder nicht. Bis heute ist von keiner Seite der endgültige Beweis erbracht worden. Nur das Ansehen des DAX-Wertes hat massiv Schaden erlitten. Der Aktienkurs sackte allein zwischen April und August 2002 um fast 90 Prozent von 74 Euro auf nur noch 8 Euro.

Nach Enron bricht auch WorldCom zusammen


Im Juni 2002 belastete dann erneut ein amerikanischer Bilanzskandal die Aktienmärkte. Nach dem Zusammenbruch des Energiekonzerns Enron hatte nun auch die amerikanische Telefongesellschaft WorldCom Falschbuchungen in Höhe von zunächst 3,85 Milliarden Dollar später sogar 6 Milliarden Dollar in den Büchern eingeräumt. Nachdem weitere Unternehmen (u.a. Xerox) folgten, sah sich die amerikanische Börsenbehörde SEC genötigt, schärfere Regeln für die größten US-notierten Gesellschaften einzuführen. Somit muss jeder Vorstandsvorsitzender und jeder Finanz-Vorstand eines in Amerika gehandelten Unternehmens persönlich die Richtigkeit der vorgelegten Zahlen mit seiner Unterschrift beeiden. Bei nachgewiesenen Bilanzfälschungen haften die Vorstände dann - schuldig oder nicht - aufgrund ihrer Unterschrift.

Nachdem im Juli 2002 mit Babcock Brosig und Fairchild Dornier zwei weitere Traditionsunternehmen Insolvenzantrag stellen mussten und die Welle der Gewinnwarnungen sowie die Sorge um die US-Konjunktur nicht abgenommen hatten, wurden die Börsen weiter massiv belastet. Der DAX sackte mit einem Intraday-Kurs von 3265 am 24. Juli sogar deutlich unter die im September 2001 notierten Tiefstände. Der Nemax All Share war mit einem Kurs von 525 dagegen bereits in die Bedeutungslosigkeit versunken.

Doch nicht nur die Börse drohte zu versinken - im August wurden aufgrund einer verheerenden Jahrhundertflut weite Landstriche überflutet. Am 12. August brachten sintflutartige Regenfälle u.a. in Bayern, Sachsen und österreich die Flüsse zum überlaufen. Eine der am meisten betroffenen Städte war dabei Dresden - sogar der Hauptbahnhof stand hier unter Wasser. Die Flut riss entlang der Flüsse Häuser und Brücken mit sich und verursachte Schäden im zweistelligen Milliardenbereich. Während vor allem Versicherungskonzerne unter der drohenden Kostenwelle unter Druck gerieten, konnten Aktien von Bauunternehmen kräftige Kursgewinne verbuchen.

Der September 2002 war geprägt von der Angst neuer Terroranschläge zum Jahrestag des 11. September, Diskussionen über einen Angriff der USA auf den Irak sowie der Bundestagswahl. Auch die Konjunktur in den USA machte vielen Anlegern weiter Sorgen. Zuviel Unsicherheiten für die eh schon angeschlagene Börse, die im September 2002 trotz der bereits seit über 30 Monaten andauernden Baisse im DAX den größten Monatsverlust ihrer Geschichte hinnehmen musste. Selbst im Horrormonat Oktober 1987 verlor der deutsche Leitindex nicht so viel wie im September 2002, wie die nachfolgende Tabelle beweist.

31.08.2002 30.09.2002 Performance
DAX 3712,94 2769,03 -25,42%
Nemax-All-Share 532,84 389,03 -26,99%
zum Vergleich:
DAX Okt. 1987 1500,16 1177,37 -21,52%
Niveau von Mitte September 2000. Ende Dezember 2000 hakten die Anleger das rabenschwarze Börsenjahr 2000 ab und hofften auf eine gute Performance 2001. Die Aussichten schienen damals auch durchaus günstig. Zwar drohten nach den beiden Insolvenzen von Gigabell und Teamwork durchaus noch weitere Insolvenzen, doch Anleger waren davon ausgegangen, dass dies bereits in den Kursen enthalten sei. Die Aktien-Gurus hatten viel vom einstigen Ansehen eingebüsst, so dass weitere Enthüllungen keine großen Kursbewegungen mehr verursachten sollten. Lediglich die Sorgen um die US-Konjunktur und die anhaltenden Gewinnwarnungen waren weiter zu fürchten, steigende Kurse hätten hier jedochebenfalls für Abhilfe sorgen können. Auch wenn viele IPO-Kandidaten den Börsengang abgesagt hatten, waren allein am Neuen Markt noch 133 Neuemissionen in 2000 zu verzeichnen gewesen. Da deren Zahlenwerk genauer unter die Lupe genommen worden war als in der Euphorie 1999, sollte zukünftig eine bessere "Qualität" am Wachstumsegement vorhanden sein. Zudem hatte US-Notenbankchef Alan Greenspan die Möglichkeit von Zinssenkungen in Aussicht gestellt, was die Konjunktur wieder ankurbeln sollte, und letztendlich hatte sich auch der DAX im letzten Quartals relativ gut halten können. Alles hoffte also auf steigende Kurse als am 2. Januar das neue Börsenjahr eröffnet wurde. Doch es kam anders.

Nemax: Kein Ende der Abwärtsspirale in Sicht


Am Morgen des 2. Januar 2001 reduzierte mit dem Softwareanbieter Intershop ein weiteres Star-Unternehmen des Wachtsumssegmentes seine Umsatz- und Ertragserwartungen für das vierte Quartal 2000. Als Grund für den gegenüber den Erwartungen geringeren Umsatz nannte Intershop eine Verlangsamung von IT-Investitionen und eine Verlängerung der Vertriebszyklen. Insbesondere das Geschäft in den USA und in Asien lief schlecht und war für den Großteil der Verluste verantwortlich. Zudem belastete die unsichere Situation beim angeschlagenen Internet-Händler LetsBuyIt.com den Markt, der angeblich kurz vor der Insolvenz stehen sollte. So setzt der Nemax seine Talfahrt ungebremst fort und crashte bereits am ersten Handelstag des Jahres 2001 um 8,2 Prozent nach unten. Auch an den beiden folgenden Tagen gab es noch weitere massive Kursrücksetzter, so dass der Nemax All-Share allein in den ersten drei Tagen um fast 500 Punkte oder 20 Prozent eingebrochen war.

Der Markt zeigte sich sehr volatil - jede schlechte Nachricht wurde mit massiven Kurseinbrüchen bestraft. Die Hoffnungen der Anleger auf ein besseres Börsenjahr 2001 waren damit im Keim erstickt worden. Viele Unternehmen versuchten bereits zu diesem Zeitpunkt durch massive Kostenreduktionsmaßnahmen das weitere überleben zu sichern. Die Palette reichte dabei von der Reduzierung der Aktivitäten aufs Kerngeschäft über den Verkauf von verlustbringenden Geschäftsbereichen oder kostspieligen Auslandsniederlassungen bis hin zum Abbau von Arbeitsplätzen. Auch die Deutsche Börse betrachtete die Entwicklung mit Sorge, denn die nicht abreißenden Skandale am Neuen Markt führten zu einem massiven Vertrauensverlust in der breiten Anlegerschaft sowie zu einer massiven Zunahme der Zockerei mit den Penny-Stocks. Gleichzeitig wurden durchaus solide Unternehmen im Sog der fallenden Kurse in den Keller gezogen. Während einige dieser Gesellschaften bereits offen einen Ausstieg aus dem Nemax diskutierten, überlegte die Börse wie der Zockerei und den Skandalen im Wachstumssegment Einhalt geboten werden konnte.

Schlechte Nachrichten diktieren die Kurse


Kurz darauf sorgte Alan Greenspan dann allerdings endlich für das lang erhoffte Kursfeuerwerk. Innerhalb weniger Tage senkte die US-Notenbank den Diskontsatz in zwei Schritten auf 5,5 Prozent. Das war das Signal auf das die Börsen gewartet hatten. Sowohl DAX als auch Nemax konnten für ein paar Tage wieder deutlich zulegen. Allerdings entpuppte sich das Feuerwerk als Strohfeuer. Bereits Ende Januar 2001 drückten erneut Konjunkturängste sowie die nicht enden wollenden Gewinnwarnungen - insbesondere im Technologiesektor - auf die Stimmung der Börsianer und so kehrte die Baisse erneut zurück. Die folgenden Monate waren durch Lustlosigkeit, Warten auf neue Schreckensmeldungen und Hoffen auf steigende Kurse gekennzeichnet. Im April 2001 wurde die Nachricht vom Rauswurf des ehemaligen Börsengurus Kurt Ochner durch die Investmentbank Julius Bär veröffentlicht. Grund war offiziell "unterschiedliche strategische Auffassung bezüglich der Geschäftstätigkeit", inoffiziell gab es vor allem zwei Gründe für den Rauswurf. Zum einen der zu intensive Kontakt des Fonds-Königs zu den Vorständen der Unternehmen, an denen er mit den Fonds beteiligt war und zum anderen die zu aggressive Investition in Titel des Neuen Marktes, der den Fondsbesitzern in der Baisse einen herben Verlust eingebracht hatte.

Nachdem sich die Zahl der Insolvenzen bis Juni 2001 auf neun erhöht hatte und auch die Pennystocks immer zahlreicher vertreten waren, stellte die Börse im Juli 2001 ein neues Konzept zur Rettung des angeschlagenen Neuen Markes vor. Demnach sollten Marktkapitalisierung und Börsenkurs als quantitative Kriterien oder die Insolvenz eines Unternehmens als qualitatives Kriterium für einen Ausschluss herangezogen werden. Das qualitative Kriterium Insolvenz griff, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Unternehmens eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wurde. Die Grenze für die quantitativen Kriterien lag bei einem Tagesdurchschnittskurs von einem Euro und einer Marktkapitalisierung von 20 Millionen Euro. Unterschritt ein Unternehmen an 30 aufeinanderfolgenden Börsentagen beide Grenzwerte und übertraf diese in den nächsten 90 Börsentagen nicht an mindestens 15 aufeinanderfolgenden Börsentagen, so wollte die Deutsche Börse das Unternehmen aus dem Neuen Markt ausschließen. Das neue Regelwerk trat zum 1. Oktober 2001 in Kraft. Zudem wurden bei Regelverstößen nun vermehrt Geldstrafen gegen die betreffenden Unternehmen verhängt - in begründeten Fällen konnte die Deutsche Börse sogar ein Unternehmen vom Neuen Markt ausschließen.

Neuregelungen im Neuen Markt führen zu Protesten


Doch auch, wenn die Regeln von vielen Anlegern grundsätzlich begrüßt wurden, da so zumindest auf Zeit eine Säuberung des Neuen Marktes möglich schien, so führte die einseitige Regeländerung durch die Deutschen Börse bei den betroffenen Unternehmen zu einem Proteststurm und einer Flut von Klagen gegen die drohenden Ausschlüsse. Unternehmen wie Foris, Teamwork oder Prout erwirkten per Gericht eine Aussetzung der Regeln. Durch diesen Erfolg ermutigt, erwirkten immer weitere Pennystocks ähnliche Vereinbarungen. Ein mehrmonatiger Rechtsstreit zwischen den Parteien entbrannte, den die Deutsche Börse letztendlich verlor. Somit verzögerte sich der Ausschluss von neuem und die meisten Pennystocks und damit auch die Skandale blieben dadurch weiter am Neuen Markt. Kuriose Fälle am Rande der Illegalität häuften sich. So musste beispielsweise Kabel New Media, die noch im Februar von Zuwachsraten im Bereich von 40 bis 70 Prozent gesprochen hatte im Juli den Gang zum Insolvenzrichter antreten. Das Merchandising Unternehmen Sunburst hatte diesen Schritt zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich, obwohl im Februar 2001 die Prognosen noch angehoben worden waren. Am 1. Juni 2001 notiert der DAX bei 6125 und der Nemax All Share bei nur noch 1779,5 Zählern. Kein Mensch wusste genau wieviele Milliarden die Baisse bis zu diesem Zeitpunkt bereits gekosten hatte. Auch der IPO-Bereich kam im Juli 2001 schließlich ganz zum Erliegen. Nur zwölf Neuemissionen wagten in der angespannten Börsensituation noch den Sprung an das Wachstumssegment. Der letzte Börsengang an den Neuen Markt fand mit dem Softwarespezialisten Init am 24. Juli 2001 statt. Im Juni forderte die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre erstmals die Selbstauflösung eines Unternehmens, des Online-Buchhändlers Mediantis (ex buecher.de), um so wenigstens die noch verbliebenen Millionen zu sichern und später an die Aktionäre aufzuteilen. Auf der Hauptversammlung im Herbst 2001 sollte dieser Vorschlag dann wirklich durchgesetzt werden.

Das Sommerloch 2001 suchte sich schließlich auch noch einen neuen Schuldigen der Horrorbaisse und fand ihn in den Analysten. Artikel wie "Die Finanzprofis schießen oft am Ziel vorbei" oder "Verheerendes Urteil über US-Analysten" schürten die Wut der Privatanleger auf Banken und Researchhäusern. Es deutete sich an, dass in einigen Fällen die Empfehlungen der Analysten eher nach den Wünschen des Arbeitsgebers ausfielen als eine objektive Meinung wiedergaben. Aus Angst bestehende oder potentielle Kunden im Investment-Geschäft zu verlieren, wurden Studien zu selten mit "Verkaufen" bewertet und statt dessen lieber am bisherigen Kauf-Rating festgehalten. So waren noch im Oktober 2000 zwei Drittel aller Neuer Markt-Aktien "ein klarer Kauf", während lediglich sechs Prozent skeptisch beurteilt wurden. Doch auch im Sommer 2001 gab es noch für 54 Prozent aller Wachstumswerte eine positive Einschätzung. Zwar versuchten Banken und Analysten die Vorwürfe schnellsten zu bereinigen und schufen öffentlichkeitswirksam Interessenskonflikt-Klauseln in ihren Einschätzungen, doch auch hier konnte ein massiver Vertrauensbruch vieler Anleger nicht verhindert werden. Aber auch wenn dies die Börse weiter belastete, so stand das Schlimmste noch bevor - der 11. September 2001 sollte die Welt verändern.


P.S.: Kennen Sie bereits den „Leitfaden für Ihr Vermögen“? Ob Jung oder Alt, ob Börseneinsteiger oder Börsenprofi, für zigtausende Anleger gilt der „Leitfaden für Ihr Vermögen“ (300 DIN-A4-Seiten) mittlerweile als Pflichtlektüre, wenn es um Vermögensaufbau und Vermögensschutz mit Champions-Aktien geht. Hier gratis anfordern...

zurück zur Übersicht | nächster Artikel