Von der T-Aktie zur UMTS-Versteigerung (1996-2000)

Im Laufe von 1982/83 waren die Kurse an den Börsen in eine Hausse übergegangen. Unterbrochen durch mehrere Seit- und Abwärtsphasen (z.B. Oktober 1987, Gorbatschow-Putsch oder Kuwait-Krieg) schaffte es der DAX (bzw. der Index der Börsen-Zeitung als Vorläufer) zwischen 1982/83 (Index bei rund 500) bis 1995 (bei rund 2000) sich um rund 300 Prozent zu vervierfachen. Dennoch war das Interesse in der breiten Bevölkerung an Aktien und Börse zu diesem Zeitpunkt noch relativ gering. Dies änderte sich erst durch den Börsengang der Deutschen Telekom im November 1996. Mit massiver Öffentlichkeitsarbeit schaffte es die Telekom viele bisherige Nicht-Aktionäre für die Börse zu interessieren. Viele Anleger werden sich noch gut an Manfred Krug erinnern, der damals in vielen Zeitschriften und unzähligen Fernsehpots die Vorzüge als Aktionär der T-Aktie anpries. Aufgrund der hohen Nachfrage musste Anfang November 1996 sogar das Platzierungsvolumen um 100 Millionen auf 600 Millionen T-Aktien aufgestockt werden. Nie zuvor hatten so viele Investoren in Deutschland gleichzeitig einer Erstnotiz entgegen gefiebert, wodurch die T-Aktie zurecht in den Medien als "Volksaktie" bezeichnet wurde. Mit einem Zeichnungsgewinn von über 16 Prozent erfüllte die T-Aktie, die zuvor in sie gesetzten Erwartungen zur vollsten Zufriedenheit der Anleger. Bereits im Vorfeld der Emission hatte das zunehmende Interesse einen Aufschwung im DAX verursacht. Am Erstnotiztag der T-Aktie (18.11.96) notierte der DAX bereits bei 2763,84 Punkten. Durch den Erfolg mit der T-Aktie ermutigt, versuchten viele Anleger ihr Glück nun auch mit anderen Aktien, was dazu führte, dass der DAX wenige Wochen später, am 17. Januar 1997 erstmals die 3000 Punkte überschritt.

Kursverlauf der T-Aktie 1995-2001

Der neue Markt startet mit satten Gewinnen


Zu dieser Zeit wurde die letzten Planungen für ein neues Börsensegment vollzogen. Nach dem Vorbild der amerikanischen Wachstums- und Technologiebörse NASDAQ wollte auch die Deutsche Börse ein Segment aufbauen, in dem junge erfolgversprechende Unternehmen zusammengefasst werden sollten. Die gestiegende Aufmerksamkeit in der Bevölkerung ebnete nun den Weg zur Vollendung dieser Pläne und am 10. März 1997 startete die Deutsche Börse mit den Unternehmen Bertrandt und MobilCom den Neuen Markt. Das damals noch junge Telekom-Unternehmen MobilCom, das dem Ex-Monopolisten Deutsche Telekom Marktanteile abluchsen wollte, schaffte an jenem Tag bei seinem IPO einen Zeichnungsgewinn von fast 50 Prozent. Durch diesen erneuten Erfolg an der Börse weiter ermutigt, investierten immer mehr Anleger, die nie zuvor Wertpapiere gekauft hatten in Aktien und freuten sich über steigende Gewinne. Zudem entschlossen sich weitere Jungunternehmen durch den Erfolg der MobilCom-Emission ebenfalls an die Börse zu gehen. Doch vorerst ging es vor allem um die Standardwerte des DAX. Nur vier Monate später überschritt der DAX am 8. Juli 1997 erstmals die 4000er Marke und erreichte am 30. Juli 1997 einen Höchststand bei 4458,66.

In der zweiten Jahreshälfte setzte der Deutsche Leitindex dann durch die Asienkrise kräftig zurück, beendete das Jahr aber mit 4224 Punkten relativ unbeschadet. Und auch der Neue Markt konnte sich durch die erzielten Erfolge über regen Zulauf bei Unternehmen und Anlegern freuen. Zum Jahresende 1997 waren neben Bertrand und MobilCom bereits 15 weitere Gesellschaften im Wachstumssegment Neuer Markt gelistet. Dabei hatten alle Neuemissionen eine Zeichnungsgewinn verbuchen können, der bei einigen Unternehmen wie BETA Systems, SCM Microsystems oder SER Systeme sogar mehr als 100 Prozent betrug. Andere Firmen wie BB Biotech, EM.TV oder Qiagen glänzten weniger durch Zeichnungsgewinne als vielmehr durch rasante Kurszuwächse in den Monaten nach der Emission.

1998 ging es zunächst weiter nach oben. Immer öfter präsentierten Vorstandsvorsitzende wie Thomas Haffa (EM.TV), Gerhard Schmid (MobilCom) oder Peter Kabel (Kabel New Media) öffentlichkeitswirksam in Interviews und Fernsehauftritten rosige Zukunftsaussichten und sorgten so für ständig weiter steigende Kurse. Gleichzeitig erschienen auch immer mehr "Börsen-Gurus" auf der Bildfläche, die mit ihren optimistischen Aussichten ebenfalls zum weiteren Anstieg beitrugen. Persönlichkeiten wie Bernd Förtsch, Kurt Ochner oder Egbert Prior sorgten mit ihren Fernsehauftritten für Rekordeinschaltquoten in Sendungen wie der 3Sat-Börse. Regelmäßig schossen nach den Auftritten die Umsätze bei den empfohlenen Aktien in die Höhe. Fundamentale Geschäftszahlen und reale Erfolgsaussichten waren für die Zuseher dabei relativ unwichtig. Insbesondere Börsenneulinge hingen an den Lippen der Vorstände und Gurus und kauften "blind" alles was ihnen empfohlen wurde - Hauptsache die Unternehmensstory stimmte.

Der Neue Markt wird in Nemax umgetauft


Die Asienkrise hatte den Anstieg nur kurzfristig unterbrechen können, allerdings verlangsamte sich das Wachstum ab Oktober 1998. Dennoch strömten immer mehr Unternehmen an die Börse. Insbesondere der Neue Markt erlebte einen wahren IPO-Boom. 1998 waren 46 und 1999 sogar 140 Börsengänge zu verzeichnen. Damit konnte die Deutsche Börse ein Blue-Chip-Segment am Neuen Markt einführen, das die 50 größten Unternehmen zusammenfassen sollte. Gleichzeitig wurde der Neue Markt zum 01. Juli 1999 in Nemax All-Share und das Blue-Chip-Segment in Nemax 50 umgetauft. Kurz zuvor hatte die Deutsche Börse im April 1999 noch das Small-Cap-Segment SMAX aus der Taufe gehoben, das kleinere und mittlerer Traditionsunternehmen zusammenfasste.

Noch war kein Ende der Hausse in Sicht. Im Gegenteil - ab Ende Oktober 1999 begann der letzte und unglaublichsten Kursanstiege der deutschen Börsengeschichte. Die Kurse kannten kein Halten mehr und gingen förmlich durch die Decke. Sowohl DAX als auch Nemax "wetteiferten", wer schneller die nächste 1000er-Grenze erreichen würde. Die wichtigsten Daten sowie das Erreichen der nächsten Tausendermarken können aus den nachfolgenden Tabellen entnommen werden. Tabelle 1: Die Entwicklung der DAX-Performance seit 30.12.1998:

Datum DAX Performance seit 30.12.98
30.12.1998 5006,57
27.10.19995363,86+7,14%
03.12.19996119,17+22,22%
30.12.19996958,14+38,98%
14.01.20007173,22+43,27%
07.03.20008064,97+61,09%

Tabelle 2: Die Entwicklung der Nemax-Performance seit 30.12.1998:

DatumNemax-All-SharePerformance seit 30.12.98
30.12.19982744,45
06.01.19993197,82+16,52%
27.10.19992878,59+4,89%
13.12.19994150,08+51,22%
30.12.19994572,18+66,60%
19.01.20005030,33+83,29%
04.02.20006212,75+126,38%
18.02.20007224,74+163,25%
02.03.20008056,01+193,54%
10.03.20008559,32+211,88%


IPO-Boom beschert dreistellige Zeichnungsgewinne


Anfang März 2000 waren damit sowohl der DAX als auch der Nemax über die 8000 Punkte geklettert. Neben weiteren Großemissionen wie der zweiten Tranche der T-Aktie oder dem Siemens-Ableger Infineon, gab es 2000 alleine am Neuen Markt noch 134 Börsengänge. Doch das Marktumfeld hatte sich zusehens verschlechtert. Waren im Februar noch alle IPOs mit Zeichnungsgewinnen gestartet, die den Investoren teilweise Rekord-Zeichungsgewinne weit im dreistelligen Bereich bescherten (z.B. Biodata 433%, Popnet 340%, Softline 322%, Pironet 232%, Varetis 213% oder OnVista 195%), zeigten sich ab März erste Ermüdungserscheinungen. So gab es am 22. März bei der Mega-Emission der Lycos Europe AG keinen Zeichungsgewinn und bei ProDV, die am gleichen Tag an die Börse ging sogar einen Zeichungsverlust von 4,35 Prozent zu vermelden. Jobs&Adverts, die sich wenig später am 6. April an die Börse wagten, mussten gar einen Verlust von über 17 Prozent hinnehmen. Andere Unternehmen zogen ihre Börsenpläne sogar ganz zurück, um eine Bruchlandung zu vermeiden. Ein Grund dafür waren neben überzogenen Schätzungen und Erwartungen der Konsortialbanken die immer dünner werdenden Unternehmenstories. Auch die wohl kurioseste Ankündigung des Jahres scheiterte im April 2000. Damals hatte das Unternehmen Mallorca Lifestyle den Börsengang in den Freiverkehr angekündigt. Das seit August 1999 bestehende Unternehmen erwartete 2000 einen Umsatz von 1,2 Mio. Euro und einen Gewinn von 418.000 Euro, obwohl es im Vorjahr keine Umsätze und einen Verlust von 10.000 Euro erwirtschaftet hatte. Geschäftsgegenstand des Unternehmens war die Übernahme von Holding- und Managementaufgaben einschließlich der Verwaltung eigenen Vermögens und der An- und Verkauf von Immobilien und der Betrieb von Erlebnisgastronomiestätten auf Mallorca. Oder anders ausgedrückt: Das Unternehmen wollte eine Disco auf Mallorca kaufen und betreiben. Als der Verkaufsprospekt erschien, hatte das Unternehmen noch keinerlei Investitionen getätigt. Diese sollten erst erfolgen, wenn durch den IPO flüssige Mittel in die Kassen gelangt wären. Aktionäre die in das Unternehmen investieren wollten, dürfen sich heute wohl glücklich schätzen, dass dieses "Unternehmen" nie den Sprung an die Börse geschafft hat.

Doch auch die bereits börsennotierten Unternehmen gerieten ab März 2000 zunehmend in Bedrängnis. Mitte des Monats hatte die renommierte amerikanischen Finanzzeitschrift Barron's eine Studie unter dem Titel "Burning Up" veröffentlicht, in der 207 Unternehmen der Internet-Branche untersucht und in eine "Todes"-Rangliste eingestuft wurden. Die Studie kam zum Ergebnis, dass bei den meisten untersuchten Internet-Firmen eine erschreckende Lücke zwischen dem Börsenwert und der betriebswirtschaftlichen Bewertung des Unternehmens klaffte. Da die laufenden Kosten dieser Unternehmen höher als die eingehenden Mittel waren, schätze Barrons, dass 51 der untersuchten Unternehmen spätestens ein Jahr später zahlungsunfähig sein sollten. Sogar dem Internet-Buchhändler Amazon wurde für Januar 2001 die Pleite vorhergesagt, sollte die Burn-Rate (Geldverbrennungs-Geschwindigkeit) unverändert beibehalten werden. Einen Tag später brachte Deutschlands größte Tageszeitung die Ergebnisse dieser Studie als "Die Todesliste der Internet-Firmen" an die breite deutsche Öffentlichkeit. Doch damit nicht genug - in den folgenden Tagen überschwemmten Artikel über Burn-Rates, Todeslisten und negative Cash-Flows die Finanzpresse. Viele Experten rieten daraufhin erstmals zumindest zum teilweisen Verkauf von Internetaktien.

Insbesondere der internetlastige Neue Markt war durch die anschließenden Panikverkäufe betroffen. Erste Firmenpleiten in Amerika und Großbritannien bewiesen, dass an den "Todeslisten" etwas dran sein musste und drückten auf die Stimmung. Zu den ersten Unternehmen, die dort ihre Geschäftstätigkeit einstellen mussten, gehörten heute fast vergessene Namen wie der britische Mode- und Sporthändler Boo.com, der Internet-Möbelhändler Homeportfolio oder der Medien-Händler Pseudo.com. Außerdem reduzierten Unternehmen wie Deja.com, iCast oder das Internet-Portal Altavista große Teile der Belegschaft, um Kosten einzusparen. Obwohl Deutschland bislang im großen und ganzen noch verschont worden war, verlor das Wachstumssegment bis Anfang April über 30 Prozent und notierte am 5. April bei nur noch 5731.

Telekommunikationssektor gerät in Schieflage


Dagegen konnte sich der DAX mit einem Rückgang auf 7330 Punkten (-9%) im gleichen Zeitraum relativ gut halten. Die unzähligen Todeslisten, die ab April mit erstaunlicher Regelmäßigkeit erschienen, drückten aber auch hier auf die Stimmung der Anleger und verursachten bei eigentlich nicht betroffenen High-Tech Werten wie Infineon, Siemens oder der Deutsche Telekom Kursrückgänge. Doch während in Amerika in der Tat die ersten Internet-Unternehmen zahlungsunfähig wurden, lies die erste Internetpleite an der deutschen Börse noch auf sich warten. Dafür zogen ein anderes Ereigniss die Aufmerksamkeit auf sich - die UMTS-Versteigerung. Betroffen war dabei vor allem der Telekommunikationssektor. Anfang August versteigerte die Bundesrepublik Deutschland sechs UMTS-Linzenzen. Nach 173 Bieterrunden ersteigerten alle sechs noch vorhandenen Teilnehmer je eine UMTS-Lizenz bzw. zwei Frequenzblöcke für über 16 Mrd. Mark. Die Hoffnung den einen oder anderen Bieter aus dem Rennen zu werfen zerschlug sich damit und lediglich Finanzminister Hans Eichel freute sich über den unerhoffteten Geldsegen von über 98 Mrd. Mark. Da neben den Lizenzkosten der Ersteigerung auch noch immense Investitionen für den Aufbau der nötigen Infrastruktur einbezogen werden mussten, gerieten insbesondere die kleineren Unternehmen MobilCom und Viag Interkom in Schwierigkeiten. Experten warnten zudem davor, dass für viele internationale Konzerne in anderen Ländern noch einmal hohe Kosten für die Ersteigerung der dortigen UMTS-Lizenzen entstehen würden. Der gesamte Telekommunikationssektor war damit plötzlich in einer Schieflage und die Kurse brachen ein, wie die Tabelle der betroffenen Unternehmen mit deutscher Lizenz zeigt:

Bieter in DE Aktie Kurs 11.08.00 Kurs 18.10.00+ / -
E-Plus HutchisonHutchison16,25 EUR13,30 EUR-18,15%
Group 3GTelefonica24,06 EUR19,66 EUR-18,29%
Sonera33,45 EUR17,70 EUR-47,09%
Mannesmann MobilfunkVodafone252,00 EUR126,00 EUR-50,00%
MobilCom MultimediaMobilCom132,50 EUR52,60 EUR-60,30%
France Telecom135,60 EUR98,00 EUR-27,73%
T-MobilDt. Telekom48,30 EUR37,22 EUR-22,94%
Viag InterkomBritish Telecom12,54 EUR10,32 EUR-17,70%


Die Deutsche Telekom geriet Anfang August auch noch wegen einer anderen Meldung in Bedrängnis. Kurz nachdem das Unternehmen die Übernahme des amerikanischen Mobilfunkunternehmens VoiceStream bekanntgegeben hatte, gab es Stimmen, die die geplante Kaufsumme von 50,7 Milliarden US-Dollar auf Basis des damaligen Kurses der T-Aktie als viel zu hoch ansahen und einen Verkauf der Aktie empfohlen. Den VoiceStream-Aktionären wurden 3,2 Telekom-Aktien plus 30 US-Dollar pro VoiceStream-Aktie geboten.

Die Stimmung an der Börse wurde zunehmend schlechter, insbesondere als mit Gigabell das erste Nemax-Unternehmen Insolvenz anmelden musste. Wie es dazu kam und welche Skandale noch die Anleger erschütterten, ist Gegenstand des zweiten Teils.


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