Die Schreckensjahre der amerikanischen Börse (1906/1907)
Nach einer mehrjährigen Hausse hatte sich der Aktienmarkt im Jahr 1906 heißgelaufen. Doch mehrere Faktoren führten dazu, dass sich die Hausse schließlich noch einige Monate verlängerte und erst im Oktober 1907 mit einem bis dato nicht gekannten Kurssturz in New York ein Ende nahm.
Im Jahr 1903 begann eine kräftige Hausse in Amerika. Insbesondere die Aktien des noch jungen Dow Jones Industrial Average, der vor allem Eisenbahnaktien sowie einige weitere Industrieaktien zu einem Index verband, kletterte stetig nach oben. Am 12. Januar 1906 konnte der Dow erstmals in seiner Geschichte die Marke von 100 Punkten überschreiten (beim Start am 26. Mai 1896 lag der Index bei 40,74 Zählern). Doch damit waren die Höchstkurse erreicht, die Aufwärtsbewegung kam zum Stillstand und tendierte bis zum Frühjahr sogar leicht bergab. Aber dann wurden die Aktienmärkte durch die Ereignisse des 18. April 1906 überrascht.
Das große Erdbeben von San Francisco
Am frühen Morgen des 18. April, gegen fünf Uhr, schreckte ein heftiger Erdstoß von 40 Sekunden die Bewohner der kalifornischen Stadt San Francisco aus dem Schlaf. Es folgten zehn Sekunden trügerischer Ruhe ehe ein weiteres Erdbeben, mit 8,3 auf der Richterskala noch stärker als der erste Erdstoß, die Region 25 Sekunden lang erzittern ließ. Zunächst schien es als ob die Stadt die beiden Erdstöße und ein folgendes kleines Nachbeben relativ gut überstanden hatte. Dies lag daran, dass die Region um San Francisco seit langem als eines der erdbebengefährdetsten Gebiete der Welt bekannt und die Bewohnen deswegen entsprechend vorgewarnt waren. Viele der neuen Hochhäuser im Stadtzentrum sowie die meisten viktorianischen Holzhäuser in den Außenbezirken überstanden das Beben ohne größere Schäden, die zahlreichen Backsteinhäuser waren jedoch wie Kartenhäuser in sich zusammengesunken. Doch bald lösten Kurzschlüsse an beschädigten Stromleitungen und geborstene Gasrohre kleine Brände aus, die sich rasch ausweiteten, da das Beben das gesamte Wasserleitungsnetz der Stadt zerstört hatte. Machtlos mußten die Bewohner der Stadt zusehen, wie sich die kleinen Brände zu einer Feuersbrunst ausweiteten. Erst drei Tage später erlosch das Feuer und hinterließ ein glühendes Ruinenfeld mit 30.000 zerstörten Häusern. Fast 500 Menschen fanden bei dieser Katastrophe den Tod. Der Gesamtschaden wurde später auf 600 Mio. Dollar beziffert.
Ganz Amerika und auch die Aktienmärkte zeigten sich zunächst wie gelähmt, ehe Ende April eine Panikwelle die Börse erfasste. Die zwanzig Eisenbahnwerte, die am 22. Januar 1906 noch bei 138,36 Punkten notiert hatten, büßten bis zum 3. Mai mehr als 18 Zähler ein; die damals zwölf bekanntesten Industriewerte fielen von 103 Punkten am 19. Januar auf 86,45 Punkte am 3. Mai. Besonders schlimm traf es die Versicherungsgesellschaften, die die ernorme Schadenssumme aufbringen mussten. Die Rückstellungen bei vielen Finanzinstituten schrumpften bedenklich. So meldete die Aetna Fire Insurance Company, die damals größte Brandversicherungsgesellschaft der Vereinigten Staaten, dass die Feuersbrunst in San Francisco die Ersparnisse von 40 Jahren aufgezehrt habe. Trotz des massiven Kursrutsches konnten sich die Kurse bald erholen. Am 6. Juli 1906 kündigte beispielsweise das Wall Street Journal eine breite, allgemeine Erholung der Werte des Dow Jones an. Die Aktienkurse lebten erneut auf und konnten bis Jahresende wieder deutlich Boden gut machen.
Erst Ende 1906 kam die Aufwärtsbewegung erneut zum Stillstand. Im Januar 1907 sorgten größere Aktienverkäufe an der Börse für Mißstimmung. Immerhin boomte die Industrie immer noch und die Bruttoerlöse und Gewinne der Eisenbahngesellschaften erreichten neue Rekordhöhen. Lediglich der Aktienmarkt schwächelte etwas nach drei Haussejahren.
Ohne die erwartete Abwärtsbewegung einzuläuten, erschütterten in den folgenden Monaten weitere Ereignisse die Börsen. So kam es im März 1907 zur sogenannten \"Panik der Reichen\" als die Aktien der Union Pacific, die vielfach als Sicherheit für Finanzierungswechsel genutzt wurden, in kurzer Zeit um 50 Punkte fielen. Am 14. März 1907 verbuchte der Dow Jones einen Einbruch um fast 8,3 Prozent auf 76,23 Punkte, doch war dies nur der Beginn der folgenden Panik. Die Börse verkraftete sogar noch einige weitere Schläge ehe es im Oktober zur allgemeinen Panik kam: Im Juni 1907 scheiterte die Begebung einer Anleihe der Stadt New York. Die Emission der 4-prozentigen Anleihe im Wert von 29 Millionen US-Dollar erreichte damals lediglich eine Zeichnung von 2 Millionen Dollar. Im Juli 1907 kollabierte der Kupfermarkt. Doch auch dieses Ereignis belastete die Börse nur kurzzeitig. Auch die Verurteilung Rockefellers Standard Oil Company zu einer Geldstrafe von 29 Millionen Dollar wegen Verstößen gegen das Antitrustgesetz im August 1907, verhallte ohne große Auswirkung auf die Kurse.
Banken geraten ins Trudeln
Ende Oktober zeigte sich der Markt nervös. Am Montag den 21. Oktober 1907 gab die National Bank of Commerce am späten Nachmittag bekannt, dass sie die Einlösung von Wechseln der Knickerbocker Trust Company, der damals drittgrößten Bank New Yorks, ab sofort verweigerte. Am selben Abend organisierte J.P. Morgan ein Treffen unter den Vorsitzenden der New Yorker Banken, um die drohenden Panik abwenden zu können. Nachdem Morgan aber wegen zurückgehaltener Informationen kurz darauf eine Hilfe ablehnte, entschlossen sich auch die anderen Banken nichts zur Rettung zu unternehmen. Am 22. Oktober begann der Ansturm auf Knickerbocker, die innerhalb von drei Stunden 8 Millionen Dollar in Bargeld ausgeben musste, ehe sie kurz nach Mittag die Arbeit einstellte. Am Mittwoch, 23. Oktober, geriet die zweitgrößte Bank New Yorks, die Trust Company of America, in den Strudel. In einem Artikel der New York Times wurde die Bank als \"wunder Punkt\" der Panik bezeichnet. Das Finanzhaus, das bereits am 22. Oktober rund 1,5 Millionen an Bargeld ausgeben musste, wurde nun zum neuen Ziel der verschreckten Anleger. Allein am Mittwoch flossen 13 Millionen Dollar aus den noch vorhandenen rund 60 Millionen Dollar-Reserven. Am Donnerstag gab es nochmal einen Abfluss in Höhe von 8 bis 9 Millionen Dollar. Insgesamt verlor die Bank während der Panik 47,5 Millionen Dollar. Auch die Lincoln Trust geriet durch Presseartikel in Bedrängnis.
Am 24. Oktober 1907 erreichte die Manie schließlich auch die New Yorker Börse. Die Panik zeigte sich zunächst vor allem bei den sogenannten Call Loans. Darunter wurden damals zeitlich begrenzte, jederzeit kündbare Kredite verstanden, die Banken den Maklerhäusern zur Verfügung stellten. Mit den Mitteln aus diesen Krediten wurden Margin-Konten finanziert, die Makler von ihren Kunden forderten. Die Call Loans wurden an der Börse am sogenannten Money Post täglich zwischen 12:00 und 14:15 Uhr abgewickelt, wenn sich die Banker an der Börse einfanden um Kredite an die Broker weiterzuleiten. Am 24. Oktober 1907 gab es aber nicht genügend Mittel, um die Nachschussforderungen der Makler zu befriedigen. Geld war - wenn überhaupt - nur noch gegen Zinsforderungen von 100 bis 150 Prozent zu bekommen. Trotzdem weigerten sich die meisten Banken selbst zu solchen horrenden Zinsen Kredite zu gewähren. Dementsprechend breitete sich bald Panik aus.
Sehr gut gibt ein Abschnitt aus dem Buch Jesse Livermore "Das Spiel der Spiele" aus dem TM Börsenverlag die Geschehnisse jenes Tages wieder: "...(ein befreundeter Broker sagte an jenem Tag zu ihm:) Hast Du jemals von dem im Unterricht durchgeführten Experiment gehört, bei dem eine Maus in der Glasglocke sitzt, aus der die Luft herausgepumpt wird. Man kann sehen, wie die arme Maus immer schneller atmet, ihre Lunge arbeitet wie ein überlasteter Blasebalg, über den sie versucht genügend Sauerstoff aus dem schwindenden Volumnen in der Glocke zu bekommen. Man sieht wie sie erstickt, ihre Augen treten aus dem Kopf hervor, sie schnappt nach Luft und ist schließlich hinüber. Daran musste ich denken, als ich die Menschenmenge am Money Post sah! Nirgendwo Geld; man kann seine Aktien nicht verkaufen, denn es gibt niemanden der sie kaufen könnte. Wall Street ist bankrott, wenn Du mich fragst!\" Seine Worte gaben mir zu denken. Ich hatte zwar einen plötzlichen Kursverfall kommen sehen - nicht jedoch die schlimmste Panik in der Geschichte der Vereinigten Staaten....\"
J.P.Morgan bringt die Wende
Erst das Eingreifen des Bankers J.P. Morgan konnte die Situation an der New York Stock Exchange entspannen. Durch einen schnell verfügbaren Kredit von 10 Millionen Dollar, der durch verschiedene Banken getragen wurde, sorgte Morgan dafür, dass sich die prekäre Situation an der New York Stock Exchange entspannte. Die Liquidität am Aktienmarkt konnte dadurch aufrecht erhalten werden und der Verkaufsdruck der Kunden ließ langsam nach. Auch die Bankenszene in New York kam durch ein Zusammenarbeiten verschiedener großer Banken (darunter u.a. Morgan, Baker, Stillman) und anderer Quellen (wie J.D. Rockefeller), die dringend benötige Finanzmittel zur Verfügung stellten, wieder unter Kontrolle. Dennoch ging das Jahr 1907 als eines der schlimmsten der amerikanischen Börsengeschichte in die Analen ein. Am Jahresende notierte der Dow Jones nur noch bei 58,75 Punkten - ein Minus von 37,73 Prozent im Jahresvergleich.
Eine in diesem Zusammenhang interessante Theorie des Schweizer Freiwirtschaftlers Fritz Schwarz beschuldigt übrigens die beiden Wirtschaftsgiganten Morgan und Rockefeller, die Panik des Jahres 1907 absichtlich inszeniert zu haben. Bereits im Juni 1906 sollen sich Morgan und Rockefeller demnach darauf verständigt haben, die Konkurrenz und die Regierung durch eine Deflationskrise in die Knie zu zwingen. Morgan hatte so die Möglichkeit die Konkurrenten \"billig\" zu übernehmen und Rockefeller hätte den Staat unter Druck gesetzt, der seine Standard Oil Company wegen des Verstoßes gegen das Antitrust-Gesetz* verklagen wollte. Ob diese Theorie wahr ist, kann nicht genau bewiesen werden, fest steht aber, dass beide Unternehmer sicher die nötige Finanzmacht besäßen. Zudem sollen Morgans Bedienstete wirklich nach dem Crash eine große Anzahl von Aktien aufgekauft haben - nachweisbar an einem Tag bis zu 100.000 Stück. Kurz nach der Panik im November 1907 wurde das Eigentum der Konkurrenzbank Heinze-Morse-Thomas konfisziert und der Eigentümer zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch wenn die Theorie wahr sein sollte, so zog Rockefeller selber keinen erkennbaren Nutzen aus dieser Zusammenarbeit, da sein Unternehmen im August 1907 zu einer Strafe von 29 Mio. US-Dollar wegen des Verstoßes gegen das Anti-Trust-Gesetz verurteilt wurde. 1911 wurde sein Imperium schließlich per Gerichtsbeschluß in 34 Gesellschaften zerschlagen.
*Das Antitrust-Gesetz geht auf das Jahr 1890 zurück, als Präsident Harrison den Sherman Antitrust Act unterzeichnete, der Kartellen (=Trusts) und Konzernen, die den freien Wettbewerb einschränkten, für ungesetzlich erklärte und Strafen von bis zu 5.000 Dollar oder ein Jahr Gefängnis oder beides vorsah. Am 18. November 1906 klagte die Regierung der Vereinigten Staaten in Missouri auf Zerschlagung von Standard Oil entsprechend dem Sherman Anitrust Act. Angeklagt waren neben dem den Unternehmen Standard Oil of New Jersey sowie 65 der von Standard Oil kontrollierten Unternehmen auch die gesamte Führungsebene u.a. mit John und William Rockefeller, Henry Flager oder Oliver Payne. Der sich über mehrere Jahre hinziehender Prozeß endete schließlich am 5. Mai 1911 in der Zerschlagung der Standard Oil Company.
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