Neuer Markt: Time to say Good Bye (Oktober 2002)

Montag, 07.10.02 09:23
LED Tafel an Außenbereich eines Gebäudes
Bildquelle: iStock by Getty Images
Nachdem sich die Kurse der am Neuen Markt notierten Unternehmen und der beiden Indizes Nemax und Nemax 50 praktisch in Luft aufgelöst haben und das Image des einstigen Hoffnungssegmentes der Deutschen Börse schon seit langem nur noch von Skandalen, Firmenpleiten und Bilanzfälschungen geprägt wird, hat sich die Deutsche Börse dazu entschlossen, das Marktsegment für Wachstumsunternehmen Ende 2003 zu Grabe zu tragen.

Dabei war die Einführung des Neuen Marktes vor fünf Jahren zunächst eine Erfolgsstory ohne gleichen. So katapultierte sich beispielsweise der Nemax 50 innerhalb von knapp zwei Jahren von 1.000 auf 9.632 Punkte im März 2000. Ebenso deutlich nahm auch die Zahl der Börsenneulinge zu, die meist schon am ersten Börsentag ihren Aktienkurs um ein Vielfaches steigern konnten. Doch genau so rasant wie der Neue Markt in schwindelerregende Höhen empor stieß, kehrten die Notierungen und mit ihnen auch die Anleger wieder auf den Boden der Realität zurück. Denn seit den Höchstkursen verlor der Nemax 50 rund 97 Prozent und der Wert aller am Neuen Markt notierten Unternehmen reduzierte sich von 234 Milliarden im März 2000 auf heute nur noch 23 Milliarden Euro.

Mit dem Neuen Markt wird auch das Qualitätssegment für Small Caps SMAX aufgelöst, dessen Ende von der Deutschen Börse AG ebenfalls für Ende 2003 beschlossen wurde. Statt dessen wird der deutsche Aktienmarkt künftig in zwei Segmente mit unterschiedlichen Transparenzstandards unterteilt. Während für eine Notierung im unteren Segment "Domestic Standard" nur die gesetzlichen Mindestanforderungen wie z.B. Bilanzierung nach HGB zu erfüllen sind, werden für eine Notierung im "Prime Standard" weitergehende Anforderungen vorausgesetzt. Hierzu zählen die Erstellung von Quartalsberichten, die Bilanzierung nach den internationalen Rechnungslegungsvorschriften IAS oder US-GAAP, die Vorlage eines Unternehmenskalenders und mindestens eine Analystenkonferenz pro Jahr, die Erstellung von Ad hoc-Mitteilungen sowie die laufende Berichterstattung in englischer Sprache.

Die Neustrukturierung des deutschen Aktienmarktes, deren rechtliche Grundlage das zum 1. Juli 2002 in Kraft getretene 4. Finanzmarktförderungsgesetz ist, hat aber auch eine Neukonzeption der deutschen Aktienindizes zur Folge. So sollen künftig nur noch Indizes für den Prime Standard erstellt werden, wobei die 30 größten Unternehmen nach wie vor im DAX zusammengefasst werden. Zusätzlich werden die Nebenwerte nach Branchen in zwei Indizes – nach eher klassischen Geschäftsfeldern (ähnlich MDAX) sowie Technologieaktien (ähnlich dem Nemax 50) – zusammengefasst.



Bevor diese grundlegende Neuordnung des Aktienmarktes allerdings in Kraft treten kann, bedarf es noch der Zustimmung des Börsenrates zu diesen Plänen.

Die Nachricht vom nahenden Ende des ehemaligen Wachstumssegmentes trifft am Börsenparkett auf ein gespaltenes Echo. Weitgehende Zustimmung ist bei einem Großteil der 264 betroffenen Firmen des Neuen Marktes zu verzeichnen, da deren Unternehmenslenker hoffen, so das Negativ-Image des Neuen Marktes endlich ablegen zu können. Kritik wird dagegen bereits jetzt vor allem aus den Reihen der Aktionärsschützer von DSW (Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz) und SdK (Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre) laut, die das Vorgehen der Deutschen Börse zwar grundsätzlich als positiv einstufen, aber andererseits keine Lösung für die grundlegenden Probleme des Neuen Marktes sehen.

Als Hauptproblem könnte es sich erweisen, dass praktisch alle Anforderungen des Prime Standards bereits heute von den Unternehmen des Neuen Marktes verlangt werden. Wie dessen Geschichte zeigt hatte dies keinen wirksamen Schutz vor Betrügern, Insidern und Bilanzfälschern geboten. Somit könnten theoretisch sämtliche Nemax-Unternehmen in den Prime-Standard wechseln, während dagegen bei einigen MDAX-Unternehmen vor der Aufnahme in den Prime Standard noch eine Umstellung der Bilanzierung auf internationale Rechnungslegungsvorschriften nötig ist.

Deshalb ist es zukünftig durchaus denkbar, dass Skandalunternehmen wie z.B. der einstige Star des Neuen Marktes EM.TV, der immerhin 16 Milliarden Euro an Börsenwert vernichtete, im Prime Standard notieren, während erstklassige Aktien wie Porsche, deren Unternehmensführung die Erstellung von Quartalsberichten nach wie vor kategorisch ablehnt, nur im Domestic Standard gelistet sind. Experten befürchten daher, dass der Neue Markt mit all seinen Fehlern und schwarzen Schafen lediglich einen neuen Namen erhält und vergleichen das Vorgehen der Deutschen Börse damit, alten Wein in neue Schläuche zu füllen.

Auch aus den Reihen technologie-orientierter MDAX-Unternehmen regen sich erste kritische Stimmen. Da künftig für die Indexzugehörigkeit unterhalb des DAX die Branchenzugehörigkeit ausschlaggebend sein wird, befürchten Unternehmen wie Jenoptik, Leoni oder Vossloh, zusammen mit Werten des Neuen Marktes in einen Index zu kommen. Dies könnte nach Meinung der betroffenen Unternehmen deutliche Imageschäden zur Folge haben.

Ob die bloße Abschaffung des Neuen Marktes daher wie geplant die Integrität und Attraktivität des deutschen Kapitalmarktes für Emittenten und Investoren erhöhen kann, bleibt äußerst fraglich. Viel wichtiger wäre, dass sich die Deutsche Börse endlich dazu durchringt, Regelungen für ein härteres Durchgreifen bei Insidergeschäften und Betrügereien aufzustellen.

Mit der geplanten Abschaffung der skandalbehafteten Marke Neuer Markt und der Einführung einer öffentlich-rechtlichen Börsenordnung auf Basis des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes hat die Deutsche Börse zumindest einen ersten Schritt zur Stärkung des Anlegervertrauens in den deutschen Kapitalmarkt gemacht. Da bis zur endgültigen Umsetzung noch einige Monate vergehen werden, stehen die Chancen gut, dass auf Basis der aktuellen Diskussionen über die Neuordnung des Aktienmarktes weitere Vorschläge von der Deutschen Börse AG aufgenommen und umgesetzt werden.

Quelle: Deutsches Aktieninstitut



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