Nachdem sich die Kurse der am Neuen Markt notierten
Unternehmen und der beiden Indizes Nemax und Nemax 50 praktisch in Luft
aufgelöst haben und das Image des einstigen Hoffnungssegmentes der
Deutschen Börse schon seit langem nur noch von Skandalen, Firmenpleiten
und Bilanzfälschungen geprägt wird, hat sich die Deutsche Börse dazu
entschlossen, das Marktsegment für Wachstumsunternehmen Ende 2003 zu Grabe
zu tragen.
Dabei war die Einführung des Neuen Marktes vor fünf
Jahren zunächst eine Erfolgsstory ohne gleichen. So katapultierte sich
beispielsweise der Nemax 50 innerhalb von knapp zwei Jahren von 1.000 auf
9.632 Punkte im März 2000. Ebenso deutlich nahm auch die Zahl der
Börsenneulinge zu, die meist schon am ersten Börsentag ihren Aktienkurs um
ein Vielfaches steigern konnten. Doch genau so rasant wie der Neue Markt
in schwindelerregende Höhen empor stieß, kehrten die Notierungen und mit
ihnen auch die Anleger wieder auf den Boden der Realität zurück. Denn seit
den Höchstkursen verlor der Nemax 50 rund 97 Prozent und der Wert aller am
Neuen Markt notierten Unternehmen reduzierte sich von 234 Milliarden im März 2000 auf heute nur noch 23 Milliarden Euro.
Mit dem Neuen Markt wird
auch das Qualitätssegment für Small Caps SMAX aufgelöst, dessen Ende von
der Deutschen Börse AG ebenfalls für Ende 2003 beschlossen wurde. Statt
dessen wird der deutsche Aktienmarkt künftig in zwei Segmente mit
unterschiedlichen Transparenzstandards unterteilt. Während für
eine Notierung im unteren Segment "Domestic Standard" nur die gesetzlichen
Mindestanforderungen wie z.B. Bilanzierung nach HGB zu erfüllen
sind, werden für eine Notierung im "Prime Standard" weitergehende
Anforderungen vorausgesetzt. Hierzu zählen die Erstellung von
Quartalsberichten, die Bilanzierung nach den internationalen
Rechnungslegungsvorschriften IAS oder US-GAAP, die Vorlage eines
Unternehmenskalenders und mindestens eine Analystenkonferenz pro Jahr, die
Erstellung von Ad hoc-Mitteilungen sowie die laufende Berichterstattung in
englischer Sprache.
Die Neustrukturierung des deutschen
Aktienmarktes, deren rechtliche Grundlage das zum 1. Juli 2002 in Kraft
getretene 4. Finanzmarktförderungsgesetz ist, hat aber auch eine
Neukonzeption der deutschen Aktienindizes zur Folge. So sollen künftig nur
noch Indizes für den Prime Standard erstellt werden, wobei die 30 größten
Unternehmen nach wie vor im DAX zusammengefasst werden. Zusätzlich werden
die Nebenwerte nach Branchen in zwei Indizes – nach eher klassischen Geschäftsfeldern (ähnlich MDAX) sowie Technologieaktien (ähnlich dem Nemax 50) –
zusammengefasst.
Bevor diese
grundlegende Neuordnung des Aktienmarktes allerdings in Kraft treten kann,
bedarf es noch der Zustimmung des Börsenrates zu diesen Plänen.
Die Nachricht vom nahenden Ende des ehemaligen
Wachstumssegmentes trifft am Börsenparkett auf ein gespaltenes Echo. Weitgehende
Zustimmung ist bei einem Großteil der 264 betroffenen Firmen des Neuen
Marktes zu verzeichnen, da deren Unternehmenslenker hoffen, so das
Negativ-Image des Neuen Marktes endlich ablegen zu können. Kritik wird
dagegen bereits jetzt vor allem aus den Reihen der Aktionärsschützer von
DSW (Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz) und SdK
(Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre) laut, die das Vorgehen der
Deutschen Börse zwar grundsätzlich als positiv einstufen, aber
andererseits keine Lösung für die grundlegenden Probleme des Neuen Marktes
sehen.
Als Hauptproblem könnte es sich erweisen, dass praktisch
alle Anforderungen des Prime Standards bereits heute von den Unternehmen
des Neuen Marktes verlangt werden. Wie dessen Geschichte zeigt hatte dies keinen
wirksamen Schutz vor Betrügern, Insidern und Bilanzfälschern geboten. Somit könnten theoretisch sämtliche Nemax-Unternehmen in den
Prime-Standard wechseln, während dagegen bei einigen MDAX-Unternehmen vor
der Aufnahme in den Prime Standard noch eine Umstellung der Bilanzierung
auf internationale Rechnungslegungsvorschriften nötig ist.
Deshalb
ist es zukünftig durchaus denkbar, dass Skandalunternehmen wie z.B. der
einstige Star des Neuen Marktes EM.TV, der immerhin 16 Milliarden Euro an
Börsenwert vernichtete, im Prime Standard notieren, während erstklassige
Aktien wie Porsche, deren Unternehmensführung die Erstellung von
Quartalsberichten nach wie vor kategorisch ablehnt, nur im Domestic
Standard gelistet sind. Experten befürchten daher, dass der Neue Markt mit
all seinen Fehlern und schwarzen Schafen lediglich einen neuen Namen
erhält und vergleichen das Vorgehen der Deutschen Börse damit, alten Wein
in neue Schläuche zu füllen.
Auch aus den Reihen
technologie-orientierter MDAX-Unternehmen regen sich erste kritische
Stimmen. Da künftig für die Indexzugehörigkeit unterhalb des DAX die
Branchenzugehörigkeit ausschlaggebend sein wird, befürchten Unternehmen
wie Jenoptik, Leoni oder Vossloh, zusammen mit Werten des Neuen Marktes in
einen Index zu kommen. Dies könnte nach Meinung der betroffenen
Unternehmen deutliche Imageschäden zur Folge haben.
Ob die bloße
Abschaffung des Neuen Marktes daher wie geplant die Integrität und
Attraktivität des deutschen Kapitalmarktes für Emittenten und Investoren
erhöhen kann, bleibt äußerst fraglich. Viel wichtiger wäre, dass sich die
Deutsche Börse endlich dazu durchringt, Regelungen für ein härteres
Durchgreifen bei Insidergeschäften und Betrügereien aufzustellen.
Mit der geplanten Abschaffung
der skandalbehafteten Marke Neuer Markt und der Einführung einer
öffentlich-rechtlichen Börsenordnung auf Basis des 4.
Finanzmarktförderungsgesetzes hat die Deutsche Börse zumindest einen
ersten Schritt zur Stärkung des Anlegervertrauens in den deutschen
Kapitalmarkt gemacht. Da bis zur endgültigen Umsetzung noch einige Monate
vergehen werden, stehen die Chancen gut, dass auf Basis der aktuellen
Diskussionen über die Neuordnung des Aktienmarktes weitere Vorschläge von
der Deutschen Börse AG aufgenommen und umgesetzt werden.
Quelle:
Deutsches Aktieninstitut