Finanztransaktionssteuer schadet mehr, als sie nutzt

Donnerstag, 15.03.12 14:35
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Mit dem konkreten Vorschlag der EU-Kommission vom letzten Jahr hat die Diskussion um die Finanztransaktionssteuer an Fahrt gewonnen. Nachdem sich andeutet, dass eine EU-weite Umsetzung am Widerstand einiger Mitgliedstaaten scheitern würde, drängen unter Führung der deutschen Bundesregierung und Frankreichs neun Länder auf eine rasche Umsetzung. Aber nicht nur europaweit ist die Finanztransaktionssteuer umstritten. Auch die Koalitionspartner sind sich alles andere als einig.

 

Kompromissvorschlag der FDP

Um den Streit beizulegen, hat die FDP als Kompromissvorschlag eine Börsenumsatzsteuer nach britischem Vorschlag in die Diskussion eingebracht. Die Fokussierung auf die Börsenumsatzsteuer, die erst 2008 in Frankreich abgeschafft wurde, entspricht auch dem Wahlprogramm des französischen Präsidenten Sarkozy.

 

Zweifellos dominieren fiskalische Überlegungen diese Steuerpläne. Angesichts der von der EU-Kommission prognostizierten Einnahmen von jährlich 57 Mrd. Euro – wohlgemerkt unter der Voraussetzung, dass alle EU-Staaten mitmachen – ist dies durchaus nachvollziehbar. Ein Teil der Einnahmen ist ja bereits jetzt in Deutschland fest verplant. Auch wird von den Befürwortern der Steuer immer wieder das Argument gebracht, dass es sich bei der Finanztransaktionssteuer um eine öffentliche Einnahmequelle handele, die politisch am besten durchsetzbar sei.

 

Allerdings ist mehr als fraglich, ob diese ambitionierten Einnahmeziele realistisch sind. Die nahezu uneingeschränkte Mobilität der Finanzmarktteilnehmer eröffnet hingegen die Möglichkeit, in unbesteuerte Jurisdiktionen auszuweichen. Dies war auch ein wesentlicher Grund, die Besteuerung von Finanztransaktionen, die bis in die 1990er Jahre noch weit verbreitet war, in vielen Ländern abzuschaffen. Damit sollte nicht zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Finanzplätze gefördert und gestärkt werden.

 

Die Finanztransaktionssteuer wäre aber selbst dann keine sichere Einnahmequelle, wenn man sich auf eine globale Einführung einigen könnte und damit keine Möglichkeit bestünde, der Steuerpflicht zu entkommen. Wie die Ökosteuer gehört die Finanztransaktionssteuer zu den "Lenkungssteuern", d.h. die Steuerbasis reduziert sich in dem Maße, wie der "Lenkungszweck", etwa das Eindämmen der "Spekulation", erreicht wird.

 

Mit einer globalen und selbst einer EU-weiten Lösung rechnet inzwischen aber kaum noch jemand ernsthaft. In den G-20-Verhandlungen wurde die weltweite Einführung der Finanztransaktionssteuer 2010 unter anderem von den USA verhindert. Vehementer Widerstand gegenüber dem EU-Vorschlag regt sich nicht nur unter britischen Politikern, die Wettbewerbsnachteile für ihre Finanzindustrie befürchten.

 

Abschreckendes Beispiel

Es ist daher davon auszugehen, dass ein kontinentaleuropäischer Alleingang, oder im Extremfall ein Alleingang einiger weniger Euro-Staaten, einen Massenexodus aus den besteuerten Finanzmärkten in Europa provozieren würde. Abschreckendes Beispiel ist die Einführung einer Börsenumsatzsteuer in den 1980er Jahren in Schweden mit der Konsequenz, dass sich ein Großteil des Handels mit schwedischen Finanzprodukten auf die Londoner Börse verlagerte. Das Aufkommen aus der Steuer war dementsprechend gering und ein wesentlicher Grund für die Schweden, dieses fehlgeschlagene Experiment 1991 abzubrechen. Kein Wunder also, dass der schwedische Finanzminister die Steuerpläne der EU-Kommission als "Rohrkrepierer" bezeichnet hat.

 

Das "Ansässigkeitsprinzip", das von den Verfechtern der Kommissionspläne als Wunderwaffe gegen potenzielle Abwanderungstendenzen ins Feld geführt wird, ändert daran nichts. Zwar werden Ausweichmöglichkeiten schwieriger, wenn nicht der Handel an einem bestimmten Börsenplatz besteuert wird, sondern die Marktteilnehmer für ihre Finanzgeschäfte dort ihre Steuern abführen müssen, wo sie ihren Sitz oder eine Zweigstelle eröffnet haben.

 

Nur die halbe Wahrheit

Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Einerseits sollte die Kreativität der Finanzindustrie nicht unterschätzt werden, legale Umgehungskonstruktionen zu entwickeln. Damit wäre das übliche "Katze-Maus-Spiel" eröffnet, mit dem jeder Gesetzgeber zu kämpfen hat: Der Regulierer gibt die Regeln vor, der Markt entdeckt die Lücken, der Regulierer bessert nach usw.

 

Andererseits sind schon heute viele Marktteilnehmer nicht zwingend an den Finanzplatz Europa gebunden. Dies gilt insbesondere für den High-Frequency-Handel, der inzwischen einen wesentlichen Teil des Handelsvolumens an den Börsen bestreitet. Nun mag man über den Nutzen dieser innovativen Handelspraktiken gespaltener Meinung sein, es setzt sich aber auch unter den Aufsichtsbehörden immer mehr die Meinung durch, dass das sekundenschnelle Ausnutzen von Kursschwankungen dazu beiträgt, die Liquidität an den Börsen zu erhöhen und damit die Transaktionskosten zu senken.

 

Der computergesteuerte Handel ist zwar auf einen kurzen Draht zum Handelsplatz angewiesen. Wo sich dieser befindet, erfolgt ausschließlich aus einer Kosten-Nutzen-Überlegung heraus. Die Finanztransaktionssteuer dürfte dazu führen, dass die hiesigen Börsen von diesen Marktteilnehmern künftig gemieden werden. Signifikante Abwanderungstendenzen sind ebenfalls im Derivatehandel zu erwarten, der nach der Steuereinführung voraussichtlich weitgehend außerhalb Europas stattfinden wird.

 

Wer als Privatanleger nicht auswandern will, hat hingegen keine Möglichkeit, der Steuer zu entgehen, die zwar ausschließlich auf Finanzinstitute beschränkt ist. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Banken die ihrerseits gezahlten Steuern in den Preisen für die diversen Finanzprodukte an ihre Kunden weitergeben werden.

 

Mit der doppelten Besteuerung sowohl auf Unternehmens- als auch Anlegerebene, die durch die Einführung der Abgeltungsteuer 2009 nochmals deutlich verschärft wurde, wird die Aktienanlage gegenüber festverzinslichen Wertpapieren ohnehin schon deutlich diskriminiert. Eine zusätzliche Steuer würde der Aktienakzeptanz deutscher Privatanleger einen weiteren Schlag versetzen. Das vermögenspolitische Ziel, bei nachlassender Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung die private Altersvorsorge auch mit der Aktie auszubauen, würde durch dieses falsche Signal konterkariert.

 

Zudem ist zu erwarten, dass die Finanztransaktionssteuer – entgegen ihrer Zielsetzung – die Kursschwankungen auf den Kapitalmärkten erhöhen wird. Auf diesen destabilisierenden Effekt weisen die Ergebnisse verschiedener empirischer Studien hin. Weitere Turbulenzen würden aber das Vertrauen der Anleger in die Kapitalmärkte, das ohnehin durch die Finanzkrise arg gelitten hat, zusätzlich verringern.

 

Abwanderungstendenzen

Für die Unternehmen würden hingegen die Kapitalkosten und die Kosten zur Absicherung operativer Geschäftsrisiken, die sich etwa aus erhöhten Wechselkursschwankungen ergeben, steigen. Höhere Finanzierungskosten, die zu Lasten von Wachstum und Beschäftigung gingen, wären die Folge. Darüber hinaus würde die deutsche Industrie verstärkt auf sinnvolle Absicherungsgeschäfte verzichten müssen, was sich negativ auf deren Exportbereitschaft auswirken würde.

 

Insgesamt ist die Finanztransaktionssteuer ein Konzept, das mehr schadet als nutzt. Die zu erwartenden Abwanderungstendenzen eines großen Teils der Finanzindustrie dürfte nicht nur das fiskalische Ziel der Einnahmenerzielung, sondern dem Finanzplatz als Ganzem schaden. Die Zeche werden hingegen die zahlen, die es eigentlich nicht treffen soll: Privatanleger und Realwirtschaft.

 

Prof. Dr. Rüdiger von Rosen ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Aktieninstituts e.V. in Frankfurt a.M.

Quelle: Deutsches Aktieninstitut



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