Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
„Neue Woche, alte Probleme.“ Das Motto eines Agenturausblicks am Sonntag war sicherlich richtig. Denn die neue Woche verspricht anhaltenden Nervenkitzel (wer von den Anlegern will den schon). Und die Themen bleiben die alten: die Angst vor einer weltweiten Rezession als Folge der umstrittenen (Spar-)Maßnahmen, die helfen sollen, die bisher ungelösten Schuldenkrisen in den USA und in der Eurozone zu überwinden. Hinzu kommt die in den Medien geschürten Sorgen über erneute Probleme bei internationalen Banken mit Vergleichen zu 2008. Nicht wenige Experten gehen davon aus, dass die Talfahrt der Kurse anhalten weiter. Kurze technische Korrekturen seien zwar möglich, aber nachhaltig werden sie nicht sein. "Weder aus fundamentaler Sicht noch unter charttechnischen Aspekten deutet sich ein Ende der Talfahrt an", stellt die Landesbank Berlin fest. Deren Strategen rechnen vielmehr damit, dass der Dax auf neue Jahrestiefs fallen wird.
In den zurückliegenden Tagen sich der Deutschlands Leitindex vergleichsweise gut geschlagen: Nach vier Wochen einer zeitweise steilen Talfahrt verzeichnete der Dax diesmal auf Wochensicht ein Plus von 1%. Das bedeutet aber gar nichts. Immer mehr Börsianer befürchten, dass sich das Szenario von 2008 wiederholen könnte, als Aktien auf einen monatelangen Sinkflug gingen und erst Anfang 2009 die Trendwende einsetzte. "Es gibt durchaus Parallelen", sagt Volkswirt Matthias Thiel von MM Warburg. "Auch 2008 haben wir eine sukzessive Eintrübung der konjunkturellen Indikatoren gesehen und Unternehmen waren noch sehr lange sehr optimistisch. Ein zusätzlicher Trigger war damals die Pleite von Lehman. Heute haben wir die Schuldenkrise."
In Amerika sieht es kaum anders aus. Nach "Irene", die nicht so katastrophal gewirbelt hat wie befürchtet, legt sich der Fokus auch wieder auf die schwächelnde Konjunktur und den Arbeitsmarkt. Am Freitag steht die Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen im August an. Experten erwarten, dass die US-Wirtschaft 80.000 Stellen geschaffen hat. Die Arbeitslosenquote soll aber bei 9,1 % stagnieren. US-Präsident Barack Obama hat bereits angekündigt, in der übernächsten Woche detaillierte Pläne für die Schaffung von Jobs vorzulegen.
Während Anleger in der abgelaufenen Woche mit Spannung auf die Rede von US-Notenbankchef Ben Bernanke in Jackson Hole am Freitag gewartet hatten, stehen nun Obamas Vorschläge im Mittelpunkt. Fed-Chef Bernanke hatte seine Aufgabe erfüllt und den Aktienmärkten Auftrieb gegeben, in dem er Hoffnung auf eine dritte Finanzspritze machte, das sogenannte Quantitative Easing (QE3). Zugleich gab er den Staffelstab an die US-Regierung und den Kongress weiter. Er betonte, dort müsse die Grundlage für langfristiges Wirtschaftswachstum gelegt werden. "Die Märkte denken, dass sie nun Impulse von der Regierung erhalten", sagte Analyst Lance Roberts von Streettalk Advisors.
Würde man alle aktuellen Analysen und Prognosen sammeln und gruppieren, dann hätten Sie, liebe Anlegerinnen und Anleger, von den Ergebnissen noch weniger als sonst. Denn nach meinem Eindruck ist das Nicht-Wissen und das Nicht-Einschätzen-Können (ich vermeide den jeden Tag gültigen Begriff „Unsicherheit“) auf den Finanzmärkten und in ihrem Umfeld so groß wie selten. Ja, ich möchte von „unwissenden Börsen“ sprechen – lassen Sie sich nur nicht von den in aller Regel selbstsicher im Fernsehen auftretenden Analysten blenden! Das hat aber nicht nur etwas mit der völlig verworrenen Situation im Bereich Staatsverschuldung und Konjunkturängste zu tun, sondern ist auch Ausdruck der schwachen politischen Führung in den meisten hoch entwickelten Industrieländern. Im Gewicht kaum zu beurteilen ist der Einfluss der modernen, globalen Handelssysteme der börslichen und außerbörslichen Art. Hochintelligente Programme, die in Sekundenbruchteilen handeln („Algo-Trading“), verdrängen längst den klassischen Börsianer (ich weise bekanntlich seit langem auf diese Entwicklungen hin).
Und weiß bedeutet das? Vor allem eines: Kurse und damit die Indizes werden tendenziell volatiler, ihre Signale verlieren an Qualität angesichts häufiger Richtungswechsel. Die üblichen täglichen Erklärversuche in der Öffentlichkeit sind zunehmend unvollständig, falsch oder gar lächerlich. Sollte Sie in diesen Tagen das Ich-habe-keine-Ahnung-Gefühl befallen, dann handeln Sie auch danach. Ich bin sicher, dass auch mancher Experte gerne einmal „keine Ahnung“ sagen würde – nur verlöre er dann den Status des Experten. Ich meine, wer jetzt zuschaut, kann ruhiger schlafen.
Machen Sie’s gut!
Ihr
Hermann Kutzer
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Quelle: boerse.de