Der Tulpencrash der Jahre 1630-1637 war schon seit langem vorbei, da kam es Anfang des 18. Jahrhunderts in England und Frankreich zu zwei weiteren Finanzskandalen, die nahezu parallel abliefen. Während in Frankreich der Schotte John Law Anleger in seinen Bann zog, war in England die South Sea Company Mittelpunkt der Spekulationen. In diesem Teil soll zunächst die Londoner Krise im Mittelpunkt stehen.
Anfang der 18. Jahrhunderts herrschte in London schon ein ausgeprägtes Börsensystem. 1697 waren der erste private und 1714 der erste amtliche Kurszettel erschienen. Ungefähr seit dem Jahr 1700 gab es die erste Nachrichtenagentur, die regelmäßig Kurse und Informationen zu den wichtigsten Börsenplätzen verbreitete. Hatte es 1688 lediglich drei Aktiengesellschaften an der Londoner Börse gegeben, so wuchs die Zahl in den kommenden Jahrzehnten stetig an. 1694 waren es bereits 53 Unternehmen, die an der Börse gelistet waren, darunter auch die im gleichen Jahr errichtete Bank of England. Nach zwei größeren Gründungswellen Anfang des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl bis 1720 sogar auf 200 notierte Gesellschaften. Eine der wichtigsten Gesellschaften jener Zeit war die South Sea Company.
England beteiligte sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts am Sklavenhandel und kämpfte zu dieser Zeit um das bislang Portugal vorbehaltene Recht, die spanischen Kolonien zu beliefern. Doch im Jahr 1711 hatte die britische Regierung aufgrund eines aufreibenden Krieges mit Frankreich einen Schuldenberg von über 10 Millionen Pfund angehäuft. Im gleichen Jahr schlossen sich eine größere Gruppe Kaufleute in einer Gesellschaft zusammen und übernahmen 9 Millionen Pfund der Schulden.. Die britische Regierung hatte Ihnen dafür einen Zinssatz von 6 Prozent garantiert - immerhin ein sicheres jährliches Einkommen in Höhe von 540.000 Pfund. Zusätzlich gewährte die englische Regierung der Gesellschaft für die Schuldenübernahme das Handelsmonopol mit den spanischen Kolonien in Amerika sowie das Recht bislang unentdeckte Inseln in diesem Raum für die britische Krone in Besitz zu nehmen und wirtschaftlich zu nutzen. Aus diesem Grund firmierte die Gesellschaft als South Sea Company. Um die erteilten Privilegien auch ausnutzen zu können, waren außerdem noch vier Schiffe an die Gesellschaft übergeben worden.
Die ersten Jahre nach dem Listing zeigte die Aktie nur wenig Bewegung. Ursprünglich wollte das Unternehmen den Handel mit den ertragreichen Gold- und Silberminen in Peru und Mexiko aufnehmen, doch der Friede von Utrecht im Jahr 1713, in dem Frankreich und England ihren Krieg beilegten, verwehrte der Gesellschaft die erhoffte Öffnung der spanischen Häfen in Südamerika. Ein Krieg mit Spanien warf die Handelsaktivitäten der Gesellschaft bis 1718 zurück. Gleichzeitig wuchs der Schuldenberg der britischen Regierung weiter unaufhaltsam. Dies veranlasste die South Sea Company im Jahr 1720 zu einem erneuten Angebot an die Führung des Landes. Die Gesellschaft wollte fast 32 Mio. Pfund der Staatsschulden übernehmen, wenn die englische Regierung dafür gestatte, dass das Unternehmen ihr Kapital unbegrenzt und zu jedem Kurs erhöhen dürfe.
Das Angebot war für die Regierung durchaus verlockend. Lediglich der Abgeordnete Robert Walpole warnte vor dem Geschäft. Walpole befürchtete - zu Recht wie sich später zeigte - ein Ausufern der Spekulation. In Erwartung des schnellen Geldes könnten Unvorsichtige ihr hartverdientes Geld für ein Unternehmen aufs Spiel setzen, dass die Anleger dadurch täusche, dass es Renditen verspricht, die es nie halten kann.
Noch während der Debatte im Parlament konnte sich der Kurs der Aktie von 120 auf 200 Pfund je Aktie mehr als verdoppeln. Das Direktorium der Südsee-Gesellschaft, insbesondere ihr Vorsitzender Sir John Blunt setzten bereits die wildesten Gerüchte in die Welt. So sollte es bald Verträge zwischen England und Spanien geben, in denen der Freihandel mit allen spanischen Kolonien garantiert würde. Der Stein war ins Rollen geraten. Auch die ehrwürdigen Lords konnten sich dem Spekulationsfieber nicht entziehen und so erhielt die Vorlage am 7. April 1720 die königliche Genehmigung und damit Gesetzeskraft.
Doch entgegen aller Erwartungen konnte der Kurs danach zunächst nicht zulegen. Die meisten Anleger hatten die positive Entscheidung bereits erwartet. Also rührte die South Sea Company erneut in der Gerüchteküche um den Kurs zu beflügeln. Diesmal wurden neue politische Verträge mit Spanien vorgegaukelt, die weitere Profite abwerfen sollten. Der Kurs sprang an und am 12. April emittierte die Gesellschaft bereits eine Million neue Aktien zum Ausgabekurs von 300 Pfund pro 100-Pfund-Aktie. Um den Kurs weiter anzuheizen, beschloss das Direktorium wenig später eine Mittsommerdividende von 10% bekanntzugeben, die auch für die Neuzeichner gelten sollte. Kurz darauf folgte eine weitere Emission von 1,5 Millionen Aktien - diesmal bereits zu einem Kurs von 400 Pfund je 100-Pfund-Aktie.
In England war endgültig das Südsee-Fieber ausgebrochen. Kleidung und Pferdegespanne bekamen den Südseelook. Die fernen Inseln versprachen unglaublichen Reichtum. Wie schon einige Jahrzehnte zuvor in Holland (Tulpenhausse) sprangen immer mehr Aktionäre - vom Dienstboten bis hin zum ehrwürdigen Lord - auf den fahrenden Zug. Überall schossen neue Aktiengesellschaften aus dem Boden, die ebenfalls ein Stück vom Kuchen abbekommen wollten. Neben weiteren Südsee-Aktiengesellschaften waren auch Firmen dabei, deren Geschäftsgegenstand heute mehr als seltsam anmuten: Die Versorgung Londons mit Kohlen aus dem Meer, der Handel von Haaren, die Ausrichtung von Begräbnissen in allen Teilen Großbritanniens oder auch die Herstellung eines Perpetuum Mobile - ein Unternehmen lockte Leichtgläubige sogar mit der Ankündigung den Gegenstand ihrer Geschäftstätigkeit erst später bekanntzugeben. Von der "Gesellschaft zur Durchführung eines überaus nützlichen Unternehmens, das aber noch niemand kennt" wurden innerhalb von sechs Stunden eintausend Aktien gezeichnet. Nach nur wenigen Tagen oder auch Stunden platzten allertdings diese Unternehmensblasen und die geprellten Anleger hatten das Nachsehen.
Dagegen wurde die Bubble der South See Company immer größer. Am 29. April 1720 überschritt der Kurs erstmals die 500er-Marke, einen Monat später lag der Kurs dann bei 890 Pfund und das, obwohl die Gesellschaft bis dato keinerlei operative Aktivitäten außer den Aktienemissionen aufweisen konnte. Lediglich die Hoffnung auf unermessliche Reichtümer, verursacht durch die anhaltenden Gerüchte, verlieh der Aktie Auftrieb. Zum Zeitpunkt des Höchstkurses am 24. Juni 1720 (1.050 Pfund) betrug die Marktkapitalisierung der South Sea Comapny etwa den doppelten Wert des gesamten englischen Grundvermögens.
Bis Juli 1720 hielt sich die Aktie noch in den oberen Kursregionen auf, dann kamen Gerüchte auf die Direktoren der Gesellschaft verkauften ihre Aktien. Die ersten Vorsichtigen trennten sich von ihren Papieren und lösten damit eine Lawine aus. Der Kurs fiel trotz neuer Gerüchte über enorme Gewinnchancen schnell in den Keller. Das Vertrauen der Anleger war weg - erst bei 135 war ein Ende des Falls erreicht. Im September 1720 gab es fast niemanden mehr, der in das Unternehmen investieren wollte.. Im Dezember 1720 war der Kurs wieder auf das Niveau vom Jahresanfang (128 Pfund) zurückgefallen - ein Verlust von fast 88 Prozent gegenüber dem Top vom Juni.
England war durch das Platzen der Blase in eine schlimme Krise geschlittert. Viele hatten alles verloren. Die unzähligen Konkurse der Folgezeit verschlimmerten die Lage nur noch. Der Hass der Menge richtete sich gegen die Direktoren der South Sea Company. Die meisten Schuldigen waren geflohen. Die Gefassten wurden in den Tower geworfen und das gesamte Vermögen verpfändet. Doch nicht nur England haderte mit seinem Schicksal.. Zur gleichen Zeit erlebte auch Frankreich aufgrund der geplatzten Spekulation mit der John Law Mississipi-Kompanie eine schwere Finanzkrise.
Zumindest langfristig war die Investition in Aktien der South Sea Company dann doch noch gewinnbringend. So werden heute die historischen Orginalaktien aus den Jahren 1720 für hohe fünfstellige DM-Beträge gehandelt.