Technische Indikatoren
Der „Random Walk Index“ wurde 1991 von E. Michael Poulos eingeführt und lässt sich je nach Auswertungszeitraum als kurzfristiger Oszillator oder mittelfristiger Trendindikator einsetzen. Nach Poulos’ Ansatz setzen sich Preisbewegungen aus einer Trendkomponente und einem Zufallsanteil zusammen. Die zufällige Bewegung (Random Walk) ist zwar vollkommen unvorhersehbar, kann aber auf zweierlei Weise charakterisiert werden: a) Von einer Folge von Zufallsbewegungen kann erwartet werden, dass sie wieder zu ihrem Ausgangpunkt zurückkehrt. b) Die maximal zu erwartende Entfernung vom Ausgangspunkt ist proportional zur Quadratwurzel der Schrittanzahl.
Poulos vergleicht diese Bewegungen mit dem Umherirren eines außerordentlich betrunkenen Seemanns auf nächtlichem Landgang. Ein beobachtender Mathematiker wird vorhersagen, dass der Bedauerliche am Ende einer 100 Schritte langen Tour wieder bei der Laterne zu suchen ist, bei der er startete, und dass er sich dabei maximal 10 (Quadratwurzel von 100) Schritte von der Laterne entfernt hat. Der Random Walk Index vergleicht nun die tatsächliche Bewegung mit dem aufgrund von Zufallsprozessen maximal zu erwarteten Radius. Preisfeststellungen, die nicht in die Grenzen des Zufallsradius fallen, gelten somit, je nach Interpretation, als Trend oder Übertreibung.
Der „RWI“ besteht aus zwei Kurven, dem „RWI of Highs“ (RWIH) und dem „RWI of Lows“ (RWIL). Bei dem „RWIH“ wird das Austreten des aktuellen Highs aus dem Zufallsintervall ausgehend von vergangenen Low-Werten bewertet, beim „RWIL“ das Austreten des aktuellen Lows auf Basis der vergangenen Highs. Die Größe des Zufallsintervalls ergibt sich dabei aus einer mittleren True-Range als Schrittlänge multipliziert mit der Wurzel der jeweils zwischen High-Wert und Low-Wert liegenden Perioden. Die Größe der Bewegung ist durch die Differenz eines aktuellen Highs (bzw. Lows) zu einem Low (bzw. High) vor n Perioden gegeben. In der Regel wird der Quotient dieser beiden Zahlen für eine Reihe von Perioden berechnet, und man erhält den „RWI“ als den dabei gefundenen maximalen Ausschlag
TrueRanget = Max( Ct-1, Ht ) - Min( Ct-1, Lt )
AvgTrRng(n) = MAn( TrueRange )
EXTH(n)t = (Ht – Lt-n) / (AvgTrRng(n+1) * SQRT(n))
EXTL(n)t = – (Lt – Ht-n) / (AvgTrRng(n+1) * SQRT(n))
RWIH = Max { EXTH(i) | i = nmin .. nmax }
RWIL = Max { EXTL(i) | i = nmin .. nmax }
wobei
AvgTrRng(n) = linearer Durchschnitt der True-Range über
n Perioden
SQRT(n) = Quadratwurzel von n
nsub>min , nmax = minimale und maximale zu testende Periodenzahl
für den RWI.
kurzfristig: n = 2 - 7 Tage
langfristig: n = 8 - 64 Tage
Die beiden RWI-Kurven oszillieren auf einer nach oben und unten offenen Skala um die Mittelpunktslinie von Eins. Werte oberhalb von Eins zeigen einen Ausbruch aus der durch Zufallsprozesse gegebenen Handelsrange an, wobei der RWIH die Bewegungen nach oben und der RWIL die Bewegungen nach unten bewertet. (Dies geht weniger aus der vertauschten Verwendung von Low- und High-Kursen hervor als aus dem Vorzeichenwechsel des „Momentums“. Bis auf untergeordnete, durch diese Vertauschung hervorgerufene Verzerrungen, sind die beiden RWI-Kurven stets spiegelsymmetrisch.)
Die Einstellung des Periodenbereichs für den RWI stellt einen Filter für den Zeithorizont der Betrachtung dar. Mit hohen Einstellungen zeigt der RWI Ausbrüche aus längerfristigen Ranges an, mit niedrigen Einstellungen Ausbrüche aus kurzfristigen Ranges. Poulos findet empirisch, über unterschiedliche Märkte hinweg, eine natürliche Grenze von 8-10 Tagen in der Häufigkeitsverteilung der Maximalausbrüche, was die zwei Standardbereiche [2;7] für einen kurzfristigen RWI (SRWI genannt) und [8;64] für einen langfristigen RWI (LRWI genannt) motiviert.
Die Spitzen im SRWI-H tendieren dazu, mit kurzfristigen Hochpunkten im Kursverlauf zusammenzufallen, Spitzen im SRWI-L dagegen mit kurzfristigen Tiefpunkten. Der SRWI kann also als Overbought/Oversold-Indikator angewendet werden. Der LRWI hat dagegen nach Poulos seine Stärken als Trendindikator. Werte größer als Eins von LRWI-H zeigen einen Aufwärtstrend an, Werte größer Eins von LRWI-L einen Abwärtstrend.
Einen weiteren Vorteil seines Indikators sieht Poulos in der getrennten Auswertung von Low und High-Kursen. Dies ermöglicht die Anzeige einer Oversold-Situation auf Low-Basis innerhalb eines beständigen Aufwärtstrends.
Niedere RWI-Werte von etwa 0.3 bis 0.5 können für Ausstiegsstrategien verwendet werden.
Quelle:
Thomas Müller,
TM BÖRSENVERLAG AG: Das GROSSE Buch der TECHNISCHEN INDIKATOREN