Eine der schillerndsten Figuren an der Wall Street in den 50er-Jahren war ohne Zweifel Nicolas Darvas. Als hauptberuflicher Tänzer reiste Darvas mit seiner Halbschwester durch die Welt und erhandelte sich nebenbei ein Millionenvermögen. Die ständigen Tourneen zwangen ihn, ganz neue Wege im Aktienhandel zu gehen. Er hatte keine aktuellen Informationen zu den Aktienkursen und keine zeitgemäßen Nachrichten von den Märkten. War das möglicherweise die Grundlage für seine Erfolge?
Nicolas Darvas wurde 1920 in Ungarn geboren. An der Universität in Budapest studierte er Wirtschaft und Soziologie. Aber statt einer akademischen Karriere begann Darvas mit dem Tanzen und entwickelte daraus eine Leidenschaft, die zu seinem Beruf werden sollte. 1951 ging er in die USA und tingelte tanzend durch die Clubs der Nachkriegszeit. Während einer Show in Toronto bezahlte ihn der dortige Clubchef mit Aktien im Wert von 3.000 Dollar. Nicolas Darvas vergaß diese Wertpapiere zunächst, und als er nach zwei Monaten eher beiläufig ihren Kurs kontrollierte, hatte sich der Wert der Papiere mehr als verdreifacht. Der Tänzer verkaufte und hatte einen Gewinn von etwa 8.000 Dollar realisiert. Ausgelöst durch dieses Ereignis erlag er der Faszination Börse. Darvas las Hunderte von Büchern, studierte das Kursverhalten von Aktien und jagte den Tipps von Brokern und Analysten nach. Anfangs hatte er damit keinen Erfolg.
In den frühen 50er Jahren erlebten die USA einen dynamischen Aufschwung. Nach den Kriegsjahren konzentrierte sich die Wirtschaft verstärkt auf den Binnenmarkt und gewaltige Investitionen kurbelten den Konsum an. Die Zahl der Kleinaktionäre stieg rasant. Dieser Aufschwung spiegelte sich auch in den Notierungen an der Wall Street wider. Am 3. Januar 1950 notierte der Dow Jones bei 199 Punkten. Ende der 50er-Jahre stand der Index bei 679 Punkten – ein ideales Umfeld für trendfolgende Strategien und für Nicolas Darvas.
Jahrelang hatte sich der Tänzer intensiv mit dem Verhalten von Aktienkursen beschäftigt. Dabei beobachtete er, dass sich die Kurse der Aktien, bevor sie steigen, in einer gewissen Bandbreite auf- und abbewegen. Nicolas Darvas verglich dieses Verhalten mit einem Sportler, der zuerst in die Hocke geht, um zu einem Sprung anzusetzen. Nach einem Kurssprung erfolgte eine Konsolidierung, und die Aktie setzte zum Sprung auf das nächsthöhere Niveau an. So stapeln sie bildhaft Kästen zeitlich versetzt aufeinander. Nicolas Darvas nannte seine Methode deshalb auch die „Darvas-Box“-Strategie.
1954 ging er mit diesem Wissen und seiner Halbschwester als Tanzpartnerin auf Welt-Tournee. In dieser Zeit ließ sich Nicolas Darvas das amerikanische Wirtschaftsmagazin „Barron´s“ nachsenden. Einmal erreichte ihn die Zeitschrift sogar in Nepal. Der Tänzer studierte nur den Kursteil, denn die Nachrichten waren schon lange Geschichte. Mehrmals die Woche telegrafierte er mit den Brokern in Amerika, um Kauf und Verkauf seiner Investments zu übermitteln. Bis April 1957 wurden alle seine Aktien über Stop-Loss-Aufträge verkauft. Nicolas Darvas hatte sein Vermögen zu diesem Zeitpunkt auf 37.000 Dollar vermehrt und fand seine Strategie bestätigt.
In der „Sputnik-Krise“ im Jahr 1957 waren die Notierungen an der New York Stock Exchange um 25 Prozent gefallen. Nicolas Darvas hatte sein Vermögen durch das konsequente Setzen von Stops weitgehend erhalten und baute seine Watchlist auf. Er suchte nach stark gefallenen Aktien aus Zukunftsbranchen und wartete eine Trendbildung ab. Die ersten Kauforders kamen aus Bangkok und Kalkutta. 1959 kehrte Nicolas Darvas nach New York zurück und wurde ganz zum Börsianer. Er kaufte weiter Aktien, die erste Trends bildeten: Texas Instruments und Litton Industries. Positionen, die schnell in den Gewinn liefen und den Ausbruch aus einer weiteren Darvas-Box vollzogen, wurden stetig aufgestockt. Den Stop zog er immer am unteren Ende der Box nach. Unterstützt von einem starken Bullenmarkt – der Dow Jones stieg um 50 Prozent – konnte der Tänzer Darvas sein Vermögen innerhalb weniger Monate auf über zwei Millionen US-Dollar steigern. Für ihn gab es auch jetzt keinen Grund, eine steigende Aktie zu verkaufen. Darvas zog die Trailing Stops nach und ging auf Tournee nach Europa.
In den 60er- und 70er-Jahren schrieb Nicolas Darvas einige Bücher, die auch heute noch gern gelesen werden. Zum ersten Buch gab es eine Untersuchung des Staatsanwaltes, weil Darvas seine riesigen Gewinne angeblich nicht richtig dargestellt hatte. In seinem zweiten Buch überwirft sich der Tänzer mit der Wall Street, indem er die großen Investoren als „Spieler und Croupiers“ bezeichnet, die an ihren Aktien festhalten, auch wenn die Notierungen bis ins Bodenlose fallen. Von der Börse zog sich Nicolas Darvas schließlich ganz zurück. Er starb 1977 und fand in Paris seine letzte Ruhestätte.