Die Eisenbahnaktien-Hausse in Deutschland (1842-1848)

Mit der Eröffnung der Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft in Nürnberg am 7. Dezember 1835 hatte auch in Deutschland das Eisenbahnzeitalter begonnen. Nach dem Erfolg der ersten Strecke von Nürnberg nach Fürth, wurden in ganz Deutschland neue Eisenbahngesellschaften gegründet.

Noch im selben Jahr begannen die Bauarbeiten an der "Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Compagnie", die 1837 das erste Teilstück zwischen Leipzig und Althen in Betrieb nahm. Die Gesamtstrecke Leipzig-Dresden wurde im April 1839 feierlich eröffnet. Hierbei kam mit der "Saxonia" übrigens auch die erste in Deutschland hergestellte Dampflokomotive zum Einsatz - der Beginn der deutschen Lokomotivindustrie. Am 9. Februar 1838 hatte der Bau für die Maximiliansbahn zwischen München und Augsburg begonnen. Bereits am 1. September 1839 wurde der erste Abschnitt zwischen München und Lochhausen eingeweiht, die Gesamtstrecke wurde dann am 04. Oktober 1840 eröffnet. Im gleichen Jahr waren auch die Taunusbahn zwischen Frankfurt und Wiesbaden und der erste Abschnitt zwischen Mannheim und Heidelberg in Betrieb genommen worden. Und der Boom hatte gerade erst begonnen!

Die Folgen für die Region waren unübersehbar. Denn mit dem neuen Beförderungsmittel wurde die Agrargesellschaft auf einmal mobil. Waren vorher die Kapazitäten auf eine Postkutsche mit vier bis acht Mann beschränkt gewesen, so konnten nun hunderte Menschen und viele Tonnen gleichzeitig und wesentlich schneller von einem Ort zum anderen gebracht werden. Dies führte zu einer Vervielfältigung der Produktion, einer Verbesserung der Qualität und einer Ermäßigung der Preise.

Eisenbahnaktien sind heiß begehrt

Natürlich sorgten die eisernen Dampfrösser auch an der Börse für Aufruhr, da die Form der Aktiengesellschaft in der Regel die einzige Möglichkeit war, genügend Kapital für ein solches Projekt aufzubringen. So stiegen die Aktien der ersten deutschen Eisenbahn in wenigen Monaten nach der Emission auf 300 Prozent ihres Ausgabekurses. Auch die Aktien der anderen Gesellschaften waren schnell überzeichnet und wurden wenige Wochen später bereits mit einem bedeutenden Kursgewinn gehandelt. Die Titel der Taunusbahn waren vierzigfach überzeichnet und erreichten bei der Erstnotiz einen Aufschlag von 70 Prozent. Zwar konnten auch die nachfolgenden Gesellschaften noch Kursgewinne verbuchen, jedoch normalisierte sich die Situation aufgrund der Wirtschaftskrise 1836-1838 (siehe Artikel: Die internationale Wirtschaftskrise 1836-1838) zunächst wieder.

Zu jener Zeit konnten Anleger an den deutschen Börsen bereits auf ein gut entwickeltes Instrumentarium zurückgreifen. Neben dem üblichen Kassageschäft und fixen Termingeschäften (vergleichbar mit den heutigen Futures), gab es mindestens zwölf verschiedene Arten von bedingten Zeitgeschäften. Das wichtigste war dabei das Optionsgeschäft. Die Börse war damals bereits eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und wurden von örtlichen Kaufmannsvereinigungen getragen. Damals war es noch jedermann erlaubt an der Börse Aufträge abzugeben. Ab 1840 verstärkte sich allerdings der Trend, dass das Privatpublikum die Aufträge über die Bank erledigen lies. Dennoch dauerte es bis 1861 bis diese Usance zur Pflicht wurde.

Mit der zunehmenden Industrialisierung und dem Aufkommen der Eisenbahnaktien trat die Spekulation in Deutschland immer mehr in den Vordergrund. Die Wirtschaftskrise der Dreißiger Jahre hatte riskante Wertpapiergeschäfte zunächst zugunsten sicherer Staatsanleihen zurückgedrängt. Zwei Ereignisse sorgten aber für ein Revival der Eisenbahn-Spekulation. Zunächst hatte die preußische Regierung im Jahr 1840 Termin- und Optionsgeschäfte in allen nicht-preußischen Wertpapieren verboten. Damit war den Anlegern ein Großteil der schwankungsbreiten ausländischen Papiere verwehrt. Ersatzweise schichteten einige Investoren deswegen ihr Vermögen in Eisenbahnaktien um, die ebenfalls eine hohe Rendite versprachen. Dieser Trend verstärkte sich erneut als die preußische Regierung im Jahr 1842 beschloss den Zinssatz ihrer Staatsschuldscheine ab 1844 von 4 auf 3,5 Prozent herabzusenken. Gleichzeitig garantierte das Kabinett nämlich den Aktionären von bereits genehmigten Eisenbahngesellschaften eine Verzinsung von 3,5 Prozent auf den Nominalwert der von ihnen gehaltenen Titel. Damit war die Eisenbahnaktie auch für Nicht-Spekulanten eine lohnende Alternative geworden.

Diese Entwicklung begünstigte nun auch den Bau von weiteren Eisenbahnstrecken in Preußen. Gab es 1841 erst vier börsennotierte Gesellschaften in Berlin, so stieg die Zahl bis 1842 auf sieben an. Elf Monate später waren dann bereits 17 Gesellschaften notiert.

Insbesondere die Zinsgarantie des preußischen Staates schürte das Feuer der Spekulation. Nun waren auch wieder größere Gewinne innerhalb weniger Wochen möglich. Beispielsweise stieg die Aktie der bereits 1836 gegründeten Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn Gesellschaft AG zwischen dem 22. November 1842 und dem 1. April 1843 um 40 Prozent von 50 auf 70 Taler.

Die Stimmung heizt sich auf

Die Erfolgsstory Eisenbahn ging weiter. Alle 1843 aufgelegten Eisenbahnemissionen hatten sich durchwegs positiv entwickelt. Selbst Großemissionen waren deutlich überzeichnet. So ergab sich bei der mit 6 Millionen Taler größten Emission des Jahres, der Sächsisch-Schlesischen Eisenbahn, ein Zuteilungsverhältnis von 9 1/3 zu 1. Die Herabsetzung der Zinsen der Staatsanleihen sowie weitere neue Garantien für Eisenbahnaktien heizten die Stimmung noch mehr an. Die Nachfrage nach Aktien wurde immer größer. Zeichnungsgewinne bei Neuemissionen lagen nun meist bei 20 bis 30 Prozent, konnten in Ausnahmefällen aber auch deutlich darüber liegen. Gleichzeitig stieg auch die Überzeichnungsquote immer weiter an. Bei der Neuemission der Köln-Krefelder Eisenbahn am 3. April 1844 kamen auf jede Aktie 21 Zeichnungsaufträge. Begünstigt wurde die Spekulation auch noch durch das Zeichnungssystem, das in der Regel nicht die sofortige Einzahlung des gesamten Betrags erforderte.

Um sich die hohen Gewinne zu sichern, wollten viele Anleger bereits vor der Emission an die begehrten Papiere kommen und so gewann auch der außerbörsliche Handel, u.a. in Magdeburg, Stettin, Frankfurt an der Oder, Posen oder Breslau, zunehmend an Bedeutung.

Preußische Regierung schreitet ein

Die preußische Regierung beobachtete die sich zuspitzende Entwicklung zunehmend mit Missfallen und Sorge. Um den Spekulationen ein Ende zu bereiten, verkündete der preußische Finanzminister am 11. April 1844, dass nur noch die in der Kabinettsorder vom November 1842 mit einer Zinsgarantie versehenen Eisenbahngesellschaften eine Konzession zum Bau erhalten sollten. In wichtigen Fällen sollte bei den zu jenem Zeitpunkt eingereichten 56 Projekten aber eine Ausnahme gemacht werden. Doch die Intervention der preußischen Regierung verhallte an den Börsen ohne Wirkung. Da niemand wusste, welche Aktien von der Ausnahmegenehmigung profitieren würden, verschärften sich die Spekluationen sogar noch und so erreichten die meisten Aktien Mitte Mai 1844 neuen Höchststande.

Durch den Fehlschlag verärgert, fuhr die preußische Regierung nun noch stärkere Geschütze auf. Am 24. Mai 1844 ordnete der König an, dass ohne ausdrückliche Genehmigung des Finanzministers weder eine Eisenbahngesellschaft gegründet noch mit der Aktienausgabe begonnen werden dürfe. Außerdem wurden eine Nichtigkeitserklärung für alle zukünftige Zeitgeschäfte über Aktienpromessen, Interimsscheine und Quittungsbögen sowie Strafen für Emittenten und Makler festgelegt.

Die Euphorie schlug nun ins Gegenteil um. Einzelne Objekte wurden panikartig abgestoßen und selbst kurzfristig eingeleitete Stabilisierungsmaßnahmen durch die Preußische Bank oder die Preußische Seehandlung erweisen sich zunächst als nutzlos. Der Verfall der Notierungen ging weiter. Erst gegen Jahresende beruhigte sich die Situation und die Kurse begannen sich zu festigen. In den ersten Monaten des Jahres 1845 konnte die Börse sogar nochmal zulegen und erreichte bis Ende April 1845 fast ihre alten Höchstständen. Doch damit war das Ende der Eisenbahnspekulation erreicht.

Die Kurse gingen nun schnell zurück. Zusätzlich belasteten Unruhen im Ausland (u.a. Krakau, Frankreich, Schweiz, Italien) im Jahr 1846 die Börse. Als die Aktienkurse nach einer Diskontsatzerhöhung durch die Preußische Bank in der zweiten Häfte 1846 weiter unter Druck gerieten, entschloss sich die Preußische Regierung zu einer neuen Intervention.. Um das Interesse der Anleger auf inländische Aktien zu konzentrieren wurde die Notiz außerpreußischer Dividendenwerte an der Berliner Börse untersagt. Doch auch diese Maßnahme blieb ohne die gewünschte Wirkung. Der Kursverfall hatte sich zwar verlangsamt, eine Ende der Abwärtsbewegung war indes noch nicht in Sicht.

Das Deutsche Volk schreitet zur Revolution

In der zweiten Hälfte des Jahres 1846 verstärkte sich die Talfahrt an den Börsen erneut. Die allgemeine Stimmung in Deutschland war nach den schweren Mißernten in den Jahren 1845 und 1846 auf dem Tiefpunkt angelangt. Die Preise stiegen unaufhaltsam und es kam vermehrt zu Unruhen in der Bevölkerung. 1847 griff die Krise auf die Industrie über und erste Fabriken mussten stillgelegt werden. In der Folge bestimmten nun vor allem die politischen Ereignisse die weitere Entwicklung an der Börse.

Immer stärker wurden im Jahr 1848 die Forderungen mach einer demokratischen Republik, die das bestehende Klassensystem in Deutschland beenden sollten. Zudem wurde auch die Zusammenführung einer deutschen Nation mit Schwarz-Rot-Gold als Bundesflagge forciert. Nach dem Aufstand in Frankreich im Februar 1848 regte sich auch in Deutschland offen der Widerstand gegen die Adelsherrschaft. Im März 1848 revolutierte das deutsche Volk. Zunächst waren vor allem Klein- und Mittelstaaten betroffen, in denen Handwerker, Bauern und Bürger Demonstrationen, Versammlungen und Aufständen gegen die feudalen Machtinhaber organisierten. Bald beugten sich die ersten Fürsten und beriefen liberale "Märzministerien". Als letztes erfasste die Revolution am 13. März Österreich und am 18/19. März 1848 Preußen. Dort kam es in Berlin unter der Drohung, eine Versammlung vom Militär auflösen zu lassen, am 18. März zum Aufstand. Die danach unsichere politische Situation mit Erfolgen für beide Seiten schlug sich auch auf die Börsenkurse nieder. Zwischen dem 31. März und dem 23. Mai 1848 sanken die Aktienkurse auf lange nicht mehr gesehene Tiefststände.

Die politische Lage blieb weiter angespannt. Am 2. November 1848 setzte Friedrich Wilhelm IV. ein offen reaktionäres Ministerium ein, vertagte die Berliner Vereinbarerversammlung und verhängte am 12. November über Berlin den Belagerungszustand. Am 5. Dezember wurde schließlich das Parlament aufgelöst und gleichzeitig vom König eine Verfassung oktroyiert. Als schließlich noch Kaiser Franz Joseph in Österreich den Thron bestieg und der konservative Prinz Louis Napoleon Präsident der neuen französischen Republik wurde, beruhigte sich die Stimmung wieder.. Die Krise war damit endgültig überstanden. Doch vielen Deutschen war die Lust aufs Spekulieren vorerst vergangen. Lediglich die Eisenbahn setzte ihren Siegeszug unaufhaltsam fort und nur wenige Jahrzehnte später verband ein dichtes Eisenbahnetz den europäischen Kontinent.



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