Aktien-Hausse (3) - Kein Tag wie jeder andere: Draghisch oder tragisch?

Freitag, 06.06.14 08:52
Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

so spannend wie lange nicht mehr ist nicht nur aus Sicht der Börsen der heutige Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank. Das zeigen auch die überwiegend sehr kritischen Stellungsnahmen aus der Wirtschaft schon im Vorfeld. Der 5 Juni könnte im Rahmen der Diskussionen über die neue Macht der Notenbanken und ihr Instrumentarium historische Bedeutung gelingen. Die Spannung resultiert weniger aus den einzelnen Maßnahmen, die man erwartet, sondern mehr aus den Konsequenzen für die Finanzmärkte, die Kreditwirtschaft und die Volkswirtschaft insgesamt. Diesmal gilt also nicht die relativ einfache Formel: Kommt das heraus, werden die Märkte positiv reagieren, vor allem die Aktienkurse. Kommt aber jenes oder nichts, werden die Börsen enttäuscht sein. So oder so werden wir alle neue Erfahrungen sammeln.

Ziemlich aufgeregt berichteten die Agenturen gestern von den Warnungen der deutschen Wirtschaft, denn: Unmittelbar vor dem mit Hochspannung erwarteten Zinsentscheid der EZB wächst in der deutschen Industrie und Bankenbranche die Sorge vor negativen Folgen der lockeren Geldpolitik. Eine weitere Zinssenkung wäre für die deutsche Volkswirtschaft bedenklich, sagte der Chef der staatlichen KfW-Förderbank, Ulrich Schröder, am Mittwoch. Die Niedrigzinspolitik sei schon jetzt hochriskant und begünstige Preisblasen: „Das ist eine Gefahr, die ich sehe." Der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Georg Fahrenschon, sprach sogar von einer Enteignung der Sparer. Vertreter von Einzelhandel und Industrie befürchten zudem, dass eine Zinssenkung konjunkturell weitgehend verpuffen wird.

Niedrigzinsen kosten deutsche Sparer Milliarden

Laut Fahrenschon entgehen den deutschen Sparern durch die lockere Geldpolitik jedes Jahr schätzungsweise 15 Milliarden Euro an Zinseinnahmen. Dies seien rund 200 Euro pro Kopf. Der Niedrigzins belaste zugleich das Geschäftsmodell der Sparkassen: Sie verdienen mit ihren großen Geldvorräten – die Einlagen überstiegen die ausgegebenen Kredite im vergangenen Jahr um 108 Milliarden Euro – wegen der niedrigen Zinsen immer weniger. Hinzu kommt, dass höher verzinste Kredite und Anlagen allmählich auslaufen. Die Niedrigzinspolitik der EZB schmälert zugleich die Rendite der Sparer und die Altersvorsorge vieler Bürger, die zu einem Gutteil aus Lebensversicherungen besteht. Andererseits sorgen niedrige Zinsen bei Häuslebauern für massive Entlastungen. Auch Kredite an Unternehmen werden durch sinkende Zinsen tendenziell billiger. Sie können mehr investieren und im Idealfall neue Arbeitsplätze schaffen.

Zweifel an der Qualität der im Raum stehenden Zinsmaßnahmen beschäftigen die Anleger schon seit Tagen. Deshalb hat sich bisher der von vielen Marktteilnehmern erhoffte Run auf die 10.000er Marke des DAX doch schwieriger als erwartet gezeigt. Die vor allem psychologisch bedeutsame Marke konnte bislang nicht überwunden werden. Allerdings ist es auch nicht zu signifikant marktbewegenden Verkäufen enttäuschter Anleger gekommen, so dass der Dax seit Tagen lediglich in einer engen Bandbreite von gut 1 Prozent rangiert. Aber: Das bedeutet nicht, dass die bislang mehrheitlich „bullish“ gestimmten, mittelfristig orientierten Anleger vom Kursgeschehen unbeeindruckt geblieben sind, berichten die Stimmungsanalysten der Frankfurter Börse in ihrem wöchentlichen Report. Denn der Optimismus der Vorwoche ist vollständig verschwunden. Der Börse Frankfurt Sentiment-Index ist im negativen Terrain und liegt nun wieder auf dem Jahrestief von Anfang Mai bei -11. Damals war der Dax allerdings fast 5 Prozent schwächer. Dabei haben sich die ökonomischen Rahmenbedingungen nicht so stark verändert, als dass eine so starke Abwanderung vormaliger Optimisten in Höhe von 12 Prozent aller Befragten zwingend angezeigt gewesen wäre. Zumal sich das Interesse der Akteure seit einigen Tagen einzig und allein auf die Sitzung der Europäischen Zentralbank konzentriert: Eine überwältigende Mehrheit von Ökonomen geht davon aus, dass der EZB-Rat seine Zinsen senken wird.

So wundert es auch nicht, dass viele Kommentatoren die Einschätzung äußerten, eine geldpolitische Lockerung seitens der Notenbank sei bereits in den recht hohen Aktienkursen eingepreist und eine Enttäuschung der Börsianer, dass die EZB nicht mehr mache, als von ihr ohnehin schon erwartet würde, daher wahrscheinlich. Zumal das ausgesprochen knappe Verfehlen der 10.000 von den Akteuren als weiteres Schwächezeichen des Dax interpretiert werden könnte.

Privatanleger sind etwas optimistischer

Bei den Privatanlegern ist der Optimismus im Vergleich zur Vorwoche ebenfalls geringer, aber nur leicht, wobei der Börse Frankfurt Sentiment-Index bei dieser Gruppe mit +1 immer noch ganz knapp positiv notiert. Allerdings ist der Rückgang per Saldo auf jene Optimisten der Vorwoche zurückzuführen, die vorsichtshalber ihre Engagements glattgestellt haben dürften – während das Bärenlager unverändert blieb.

Alles in allem bleibt für mich völlig offen, was sich an den Märkten ab heute Nachmittag abspielen wird. Als Monetarist kann ich mir aber so oder so kein nachhaltig negatives Szenario für die Börse vorstellen – alles spricht für Sachwertanlagen, damit für Aktien. Mehr denn je. Für die Börse wird es nach meiner Einschätzung im besten Sinne „Draghisch“ und nicht etwa „tragisch“ ausgehen, so dass die Pessimisten ihre Absicherungen und Short-Positionen womöglich schnell wieder eindecken müssen. Und genau diese Nachfrage könnte den Dax dann mit erheblichem Schwung über die 10.000er Hürde treiben.

Achten Sie, geschätzte Leser, nicht nur auf die zuvor bekannt gegebenen Maßnahmen, sondern treffen Sie Ihre Anlageentscheidungen lieber nach den entsprechenden Erläuterungen von EZB-Präsident Draghi (für 14:30 Uhr geplant).

Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!
Ihr

Hermann Kutzer
Chefredakteur
Kutzers Bauchgefühl

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