Sehr geehrte Privatanleger,
beim letzten Mal schrieb ich am 3. Oktober 2008 an dieser Stelle:
„Die
Krise ist da. Sie findet auch bislang in der Heftigkeit statt, wie ich
sie in „Der Crash kommt“ vorausgesagt
habe.“ Am 15. September 2008 war Lehmann Brothers in die
Insolvenz gegangen. In den Wochen und Monaten danach brach die nackte
Panik an den Finanzmärkten aus: Banken trauten einander nicht
mehr und der Kreditmechanismus kam vielerorts zum Erliegen. Etliche
Wertpapiere stürzten ins Bodenlose.
Dennoch hatte ich Ihnen im letzten Jahresspecial am 3. Oktober 2008
nicht empfohlen, alle Aktien zu verkaufen. Aus meiner Sicht waren viele
Aktien NICHT zu teuer. Und siehe da: Unsere Top-Empfehlungen aus dem
letzten Jahr stehen deutlich im Plus! Zwölf von siebzehn
Titeln weisen Kurssteigerungen auf, und das trotz der
größten Finanzkrise seit 1929.
DENN: Was viele Privatanleger einfach vergessen, ist die fundamentale
Unsicherheit, unter der wir an den Börsen handeln
müssen. Im Rückblick ist alles oft sehr klar. Viele
sagen dann „hätte ich bloß!“.
Aber: Nach vorne geschaut ist das viel, viel schwerer. Um den 25.
September 2008 herum war auch ein Kollaps des Weltfinanzsystems nicht
auszuschließen. Die Lehmann-Pleite war gerade zehn Tage alt.
Was also, wenn Sie ins Festgeld und in Anleihen gegangen wären
und dann reihenweise die Banken und Wäh-rungen ausgefallen
wären?
Vieles ist so gekommen, wie man es erwartet hat, etliches anders als
man denkt. Die Banken wurden gerettet. Die Märkte wurden mit
einer ultragroßen Geldspritze von über fünf
Billionen Dollar (= zehn Prozent des Weltbruttosozialprodukts)
gerettet, natürlich mit großen Nebenwirkungen, die
wir erst nach und nach zu spüren bekommen.
Die Zukunft
Die Zukunft ist vor allem eines: ungewiss. (Das ist sie immer!) Ich bin
kein Sterndeuter. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir nach einer
scharfen Rezession wieder eine schnelle Erholung bekommen
(„V“-Form), ob es etwas länger Dauer
(„U“-Form) oder ob wir ein „L“
oder „W“ haben werden. Derartige
Buchstabierübungen, die derzeit einige Ökonomen
beschäftigen, halte ich auch für sinnlos.
Alles ist möglich. Die große Depression halte ich
für unwahrscheinlich. Eine rasche Erholung auf breiter Front
auch. Seien Sie nicht zu optimistisch. Dazu lagert noch viel zu viel
Giftmüll in den Bilanzen der Banken.
De facto ist das Bankensystem der Welt insolvent
(= negatives Eigenkapital)
und benötigt weitere Kapitalspritzen von circa einer Billion
Dollar!
Wir verstecken diese Insolvenz nur, indem wir die Buchhaltungsregeln
für Wertpapiere gelockert haben und die Banken diese noch zu
unrealistisch hohen Wertansätzen in der Bilanz halten
dürfen. Die jetzige Politik läuft geradezu auf ein
„Weiter so!“ hinaus: die Banken sollen so schnell
wie möglich wieder Geld verdienen, damit sie durch eigene
Kraft quasi wieder zu solventen Unternehmen werden: Beispiele sind in
Deutschland die Commerzbank und in den USA Wells Fargo. Aber die
Belastungen sind noch da.
Die unmittelbaren Kosten der Finanzkrise: Laut
Berechnungen der Commerzbank würde jeder Erdenbürger
bis Ende diesen Jahres mit 1.500 Dollar belastet. Insgesamt sind das
über 10.500 Milliarden Dollar. 1,6 Milliarden kommen durch
Abschreibungen der Banken, 4,65 Milliarden sind die Folgekosten der
Immobilienkrise in den USA und Großbritannien, 4,2 Milliarden
sind die Folgen des Einbruchs beim Wirtschaftswachstum. Insgesamt wird
uns die Krise bis Ende dieses Jahres also rund zehn Prozent des
Weltbruttosozialproduktes kosten. Die Kosten in Deutschland werden auf
237 Milliarden Dollar beziffert, davon sind 104 Milliarden
Abschreibungen bei Banken und 133 Milliarden durch das niedrigere
Wirtschaftswachstum verursacht.
In den USA steht uns die
nächste Welle der
Immobilienkrise bevor: mittlerweile sind 9,2 Prozent aller
Prime-Kredite im Zahlungsverzug. Prime-Kredite werden eigentlich an die
„guten“ Schuldner vergeben. Aber auch diese wurden
von der Wirtschaftskrise so hart getroffen, dass sie nun oft ihre
Zahlungen nicht mehr leisten können.
Vor der Krise gab es in der Welt vor allem drei Nettosparnationen:
Japan, China und Deutschland. Aufgrund ihrer Größe
und ihres Sparverhaltens sind sie für den
überwiegenden Teil des Sparkapitals verantwortlich. Zwei
Drittel dieser Ersparnisse wurden von der US-Wirtschaft wie von einem
Schwamm aufgesogen und verkonsumiert.
Zu einem solchen Spiel gehören immer zwei Seiten: das Land das
konsumiert, und das Land, welches Export- und damit
Sparüberschüsse hat. Mittlerweile müssen die
Amerikaner zwangsweise mehr sparen. Dies wird zu
Exporteinbußen bei den Exportnationen führen, aber
auf Dauer, wenn die Krise überstanden ist, auch zu einer
gesunderen Struktur der internationalen Handelsströme.
Übrigens: der deutschen (und der österreichischen
sowie schweizerischen) Wirtschaft geht es relativ gut! Der
Rückgang unseres Wirtschaftswachstums ist
ausschließlich auf einen Einbruch bei den Exporten
zurückzuführen. Die Binnenkonjunktur lief mehr oder
weniger unbehelligt weiter. Zum Glück haben wir ein weitgehend
solides Finanzsystem, in dem ich vor allem die Raiffeisenbanken,
Volksbanken, Sparda-Banken und Sparkassen hervorheben möchte.
Auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt, aber diese Banken
haben Strukturen, die es erlauben, nachhaltig zu wirtschaften.
Zudem funktioniert in Deutschland, Österreich und der Schweiz
die Versorgung mit Krediten noch weitgehend. Unser Volks- und
Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen sind gut kapitalisiert und immer
noch hervorragende Partner für den Mittelstand.
Hätten wir nicht das angel-sächsische Kartell der
Ratingagenturen und die prozyklischen Regeln der
Eigenkapitalausstattung von Basel II, würde unser Finanzsystem
noch besser funktionieren. Basel II wurde auf Drängen der
Amerikaner eingeführt. Durch ein umfangreiches
bürokratisches Regelsystem muss die Eigenkapitalquote
„risikogewichtet“ sein. Steigt also das Risiko in
Krisen, müssen Banken mehr Eigenkapital vorhalten, was die
Kreditvergabe bremst und die Krise verschlimmert. Eigentlich sollte man
sich in den guten Zeiten den Speck anfressen.
Treppenwitz: die Amerikaner, die uns Basel II eingebrockt haben, wenden
es selber nicht an, wir aber penibel genau für jeden
Mittelständler. Auf einer Podiumsdiskussion während
des Neujahrsempfangs der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin
nannte der von mir hoch geschätzte Hannes Rehm, der jetzt den
Bankenrettungsfonds Soffin leitet, dies eine „regulatorische
Asymmetrie“. Ich war etwas direkter und bezeichnete es als
„Wirtschafskrieg“. Unsere Regierung hat bislang
nichts gegen diese massive Benachteiligung der
kontinentaleuropäischen Wirtschaft unternommen.
Desinformationswirtschaft und Informationscrash

So geraten wir Schritt für Schritt in eine
„Desinformationswirt-schaft“, in der
Bürgerinnen und Bürger überhaupt nicht mehr
wissen, was sie glauben können. Die Mechanismen dieser
Des-informationswirtschaft erläutere ich in meinem neuen Buch
„Der Informationscrash“, dass dieser Tage im
Econ-Verlag er-scheint. (Eigentlich wäre „Die
Desinformationswirtschaft“ der bessere Titel gewesen, aber
der Verlag war der Auffassung, dass sich
„Informationscrash“ besser verkauft. So ist das
eben.)
Gesetze werden zunehmend komplexer, Produkte werden so kompliziert,
dass keiner mehr versteht, worum es geht. Je undurchsichtiger die
Märkte werden, umso leichter haben es die großen
Anbieter, Preise, Konditionen und Produkte zu lan-cieren, die ein
normal denkender Mensch nicht kaufen würde.
Ein Beispiel sind Finanznachrichten: als das Internet an Fahrt gewann,
war ich euphorisch. Zum ersten Mal wieder ein Medium, was dem der
Zeitung ähnlich war: man konnte durch logisch angeordnete
Menüs durch Inhalte navigieren. Es gab keine Bewegtbilder.
Heute
sind viele Finanzportale zu reinen Verkaufsveranstaltungen verkommen.
Von OnVista, die ich lange genutzt habe, rate ich heute sehr ab: zu
sehr wird man durch die Bewegtbilder von den eigentlichen Inhalten
abgelenkt. Auch gibt es viele Fälle, in denen der Benutzer aus
meiner Sicht zunächst einmal schädliche oder falsche
Information
erhält
- Bei
OnVista werden häufig Charts in Fremdwährungen
angezeigt. Was soll ein deutscher/österreichischer Benutzer
damit anfangen?
- Bei
der Unternehmenssuche werden neben der eigentlichen Aktie gerne auch
alle Zertifikate und sonstigen Produkte angezeigt. Das suggeriert dem
Nutzer, dass diese Produkte gleichwertig mit dem Basiswert sind, was
sie nicht sind.
- Hugin-News
(versteckte PR-Mitteilungen) von Unternehmen und Verbänden
werden großzügig in den Nachrichtenfluss eingebaut.
- Bei
comdirect entfallen immer mehr die Langfristcharts (bis zu 15 Jahre und
mehr), die ich immer gerne zur Orientierung genutzt habe. Stattdessen
sind oftmals nur noch wenige Jahre verfügbar.
- Im
Musterdepot von comdirect werden Kursbewegungen angezeigt, die am
Vortrag gar nicht stattgefunden haben. Stattdessen bezieht sich die
Veränderungsanzeige auf die letzte Kursbewegung, egal, wann
sie stattgefunden hat. Meine Interpretation: hier soll Bewegung
(Dynamik) vorgetäuscht werden.
Die
Beispiele lassen sich fortsetzen. Die Unternehmen selber wirken an
der Verwirrung durch an Anwendung der neuen IFRS-Bilanzierungsregeln
und die Erstellung von „pro Forma“ Kennzahlen
massiv mit. Aber
eine Darstellung würde hier den Rahmen sprengen.
Angesichts
der wachsenden Desinformationswirtschaft wird es immer wichtiger,
dass souveräne Anleger sich ihre eigenen Gedanken machen und
ein
solides Wissensfundament haben, um der Desinformationswirtschaft zu
widerstehen.
Investmenttrends
2009 - 2010
Letztes
Jahr schrieb ich an dieser Stelle: „Die Börse ist
immer unsicher,
die Zukunft immer ungewiss. In der kommenden Phase gilt das noch mehr
als sonst. Kommt die Depression, sind Liquidität und
Edelmetalle am
besten. Kommt die Stagflation, sind Aktien und Edelmetalle am besten.
Sie benötigen also Aktien, Edelmetalle UND
Liquidität.“
Im
Herbst 2009 ist die Zukunft immer noch ungewiss, aber einige Dinge
lassen sich etwas klarer sehen. Die Gefahr einer Großen
Depression
scheint gebannt. Der derzeit von den Medien stellenweise suggerierte
Aufschwung dürfte aber auch auf sich warten lassen. Zu
groß sind
die Belastungen im System. Am wahrscheinlichsten ist eine langsame
Erholung.
Parallel
dazu steigt die globale
Überschussliquidität
weiter schnell an: die Geldmenge wird ausge-weitet, während
das
Wirtschaftswachstum zurück-geht. Das letzte Mal stieg die
Überschussliquidität in den Jahren 2001 und 2002
ähnlich rasch, als Alan Greenspan in der Folge von 9/11 den Geld-hahn sperrangelweit
aufdrehte. Die Folgen sind be-kannt. Auch diesmal wird die Ausweitung
der Geld-menge ihre Folgen haben: entweder in Form einer Inflation
(Güterpreisinflation) oder in Form der nächsten Blase
(Vermögensklasseninflation).
Meine Anlagegrundsätze für 2009
– 2010:
Wie beim Deutschen Reinheitsgebot das Bier und bei unserem
Portfolioinvestment
Frosta (WKN: 606900) die
Fertiggerichte, sollte Ihr Portfolio nur aus reinen Zutaten bestehen:
Edelmetalle in physischer Form, Termingelder, Qualitätsaktien
und vielleicht erstklassige Anleihen mit kurzer Laufzeit (Aber
Vorsicht: Die Banken verkaufen viele Produkte unter dem Begriff
„Anleihe“, die damit nichts zu tun haben.).
Es wird noch etliche Sturmböen geben, aber ich denke, dass wir
nach dem überstandenen Orkan (letztes Jahr schrieb ich:
„Lassen Sie uns diesen Sturm gemeinsam meistern!“)
auch wieder daran denken können, Geld zu verdienen.
Auf gute Investments,
Ihr
Prof. Dr. Max Otte