Börsenpsychologie: Von Hoffnung und Angst

Dienstag, 25.07.00 09:51

von Bernd W. Klöckner

Im letzten Jahr schrieb ich ein Aktienbuch für Einsteiger. "Gewinnen mit Aktien", so lautete der Titel. Ich hatte mir vorgenommen, einfache Weisheiten zum Besten zu geben. So einfach und so verständlich, daß jeder Einsteiger wirklich verstehen sollte, um was es genau ging. Mit was ich selbst nicht gerechnet hatte, war der Boom am Neuen Markt. Und mit diesem Boom geschah etwas, was sich nicht für möglich gehalten habe: Viele Börsianer wurden in einem bislang nicht gekannten Maße von einem Fieber befallen und insbesondere auch Einsteiger waren der felsenfesten Ansicht, mit Aktien des Neuen Marktes nur noch gewinnen zu können. Neben zahlreichen ermunternden Zuschriften zu meinem Aktienbuch gab es in diesem Zusammenhang einige wenige, kritische Stimmen. So beispielsweise Peter S. aus Hamburg. Er schrieb mir "Sehr geehrter Herr Klöckner. Ihr Buch ist an Einfachheit kaum zu überbieten. Insbesondere dann, wenn Sie von Angst und Hoffnung sprechen und davon, wie wir Einsteiger darauf achten müssen, hier nicht falsch zu reagieren. Ich habe als Einsteiger mehr von Ihrem Buch erwartet als solche einfachen Weisheiten, die doch längst überholt sind...". Sicherlich verstehen Sie, daß ich mir nach dieser Zuschrift und einigen ähnlichen Gedanken darüber machte, ob mein Buch und meine einfachen Tips und Strategien wirklich für Einsteiger gelungen seien. Es war zwar zwischenzeitlich ein Bestseller aber dennoch. Im Frühjahr diesen Jahres war es dann soweit. Als am Neuen Markt die Aktienkurse zu purzeln begannen, wurde ich von Woche zu Woche von immer mehr Freunden und Verwandten gefragt, ob ich nicht auch glauben würde, daß die Kurse wieder steigen. Und: Interessanterweise schrieb mich erneut Peter S. aus Hamburg an. Auch ihm ging es nur um eines: Er hatte zahlreiche Aktien von am Neuen Markt notierten Unternehmen ge- und immer wieder nach relativ kurzen Zeit mit kleinem Gewinn verkauft. Fast alle in jüngster Zeit gekauften Aktien befanden sich derzeit im Sturzflug. Aber, so betonte er, er hätte weiter die Hoffnung, daß es wieder aufwärts gehen würde. Dann fragte er nach, ob ich einen guten Tip für ihn hätte, wie er richtig handeln solle. -- Peter S. steht stellvertretend für viele Aktionäre, insbesondere Einsteiger, die bis heute dann, wenn die Aktienkurse steigen, immer wieder mit kleinem Gewinn verkaufen und dann, wenn die Aktienkurse fallen, weiter investiert bleiben. Diese Menschen haben dann die Hoffnung, daß die Kurse ja mal wieder steigen werden. Bei Gewinnen jedoch haben sie die Angst, es könnte schief gehen. Dazu kommt ein psychologische Phänomen, was die beiden Autoren Joachim Goldberg & Rüdiger von Nitzsch in Ihrem hervorragenden Buch "Behavorial Finance" wie folgt beschreiben:

"...so bedeutet die abnehmende Sensitivität im Gewinnbereich, daß man sich über den ersten Euro Gewinn mehr freut als über den zweiten, und über den zweiten mehr als über den dritten etc. Im Verlustbereich...zeigt die abnehmende Sensitivität zunächst dieselbe Wirkung:Über den ersten Euro Verlust ärgert man sich am meisten, beim zweiten wird es schon weniger etc."

Dazu kommt ein weiteres psychologisches Phänomen: Wenn Sie eine Aktie kaufen, beziehen Sie gewissermaßen Stellung. Sie treffen eine von Dritten nachvollziehbare Entscheidung und können nun gemessen werden, ob Sie ein Gewinner oder Verlierer sind. Das bedeutet: Wenn Sie im Gewinnbereich liegen, spüren Sie den Druck, diesen Gewinn zu realisieren um zu zeigen, daß Ihre Kaufentscheidung richtig war, daß Sie also ein Gewinner sind. Liegen Sie dagegen im Verlustbereich, so ist das Verlangen stärker, nicht zu verkaufen, da ein Verkauf endgültig bestätigen würde, daß Sie eine falsche Entscheidung getroffen haben. Um dieses Verlierer-Gefühl drücken wir uns herum.

Dennoch gilt: Angst bei Gewinnen, wegen der abnehmenden Sensitivität und wegen der Gewinnerposition Verkauf und Hoffnung bei Verlusten (bei ebenfalls abnehmender Sensitivität bei zunehmenden Verlusten), bedeutet auf Dauer kleine Gewinne bei großen Verlusten und damit langfristig einen bleibenden Verlust.

Übrigens: Ich selbst habe 1990 sehr viel mit japanischen Optionsscheinen gehandelt. Wenn Optionsscheine wie Kansai Paint von wenigen hundert Mark auf einige zehntausend Mark (in der Spitze bis auf 37.000 Mark ! ) stiegen, hatte ich garantiert bereits bei wenigen wenigen tausend Mark Gewinn, nämlich bei rund 3.500 Mark verkauft und auf den großen Gewinn verzichtet. Es war meine Angst vor möglichen Kursrückgängen, die mich zum Verkauf trieb. Und außerdem konnte ich mich dann als Gewinner zeigen. Als Optionsscheine wie Sumitomo Metal, bei 65 Mark gekauft, jedoch auf 40 Mark, 30 Mark, 20 Mark und tiefer sanken, blieb ich tapfer investiert. Schließlich hatte ich die Hoffnung, es würde eines Tages wieder einmal nach oben gehen. Und außerdem wollte ich nicht meine Verliererposition durch den Verkauf endgültig besiegeln. Diese Hoffnung oder besser: diese Einstellung kostete mich 1990 ein sechstelliges Vermögen. Sumitomo Metal stand am Ende bei nur noch 5 Pfennig. Das war teures Lehrgeld. Schmerzensgeld, wie Andre Kostolany stets zu sagen pflegte. Als wichtige Grundregel für dauerhafte Gewinne gilt daher, so einfach es auch klingen mag: Lassen Sie Gewinne laufen, ziehen Sie eine stopp-loss-order nach. Wenn also die Kurse steigen, hoffen Sie weiter auf steigende Kurse und kassieren Sie. Verluste dagegen müssen Sie begrenzen. Bei Verlusten müssen Sie Angst haben, womöglich auf`s falsche Pferd gesetzt, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Die Kunst an der Börse ist es nicht, auf Dauer Gewinn zu erzielen sondern vielmehr, auf Dauer Verluste zu begrenzen. Gelingt Ihnen das, bringen Ihnen Ihre Aktieninvestitionen an der Börse auf Dauer ein Vermögen.

© Bernd W. Klöckner 7/2000, nur zur einmaligen Veröffentlichung im Internet in boerse.de freigegeben. Jede weitere Verwendung, Vervielfältigung ist nur nach vorheriger schriftlicher Bestätigung durch den Autor gestattet.




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