Sehr geehrte Privatanleger,
Im Frühjahr 2002 hielt ich einen Vortrag vor Anlegern in Stuttgart. Nach der
Aktie von DaimlerChrysler gefragt, konnte ich mir folgenden Kommentar nicht
verkneifen: „Da schaffen viele fleißige Menschen. Auch das gegenwärtige
Management wird das Unternehmen nicht zerstören können.“ Mittlerweile bin
ich mir nicht so sicher – nicht in Bezug auf die fleißigen Menschen, sondern
in Bezug auf das Management.
Die Hauptversammlung bei DaimlerChysler diese Woche war wie gewohnt
turbulent. Hatten in den achtziger und neunziger Jahren noch die kritischen
Auftritte meines Kollegen Ekkehard Wenger von der Universität Würzburg für
Furore gesorgt – Wenger wurde auch schon mal bei Überschreiten der Redezeit
aus dem Saal getragen – so reicht mittlerweile der bloße Ärger der
Kleinaktionäre, um Spannung zu garantieren.
Der größte deutsche Industriekonzern hat eine lange Tradition der
Wertvernichtung. Daimler hat schon immer das gute Geld, das im
Automobilgeschäft verdient wurde, in große Projekte gesteckt, aus denen dann
nichts wurde. Sie erinnern sich vielleicht noch an Edzard Reuters Vision des
großen integrierten Technologiekonzerns, die bei Schrempps Amtsantritt als
Vorsitzender der Vorstands mit sehr hohen Sonderabschreibungen begraben
werden musste.
Mittlerweile ist klar, dass der einst gefeierte Reuter-Nachfolger Schrempp
ein mindestens ebenso großer Wertvernichter ist. Auf der Hauptversammlung
wurde er diese Woche scharf kritisiert; einzelne Aktionäre und
Aktionärsvertreter forderten sogar seinen Rücktritt.
Zunächst sah Schrempps Vision vernünftig aus. Statt eines
Gemischtwarenladens sollte die „Welt AG“ auf der gesamten Welt Automobile
produzieren. Schrempp ließ sich sogar als „Mr. Shareholder Value“ feiern.
1998 wurde der Chrysler-Deal eingefädelt, der Daimler bis heute hohe
Verluste einbrachte. Chrysler war nämlich als gut geschmückter
Sanierungsfall genau zum richtigen Zeitpunkt an die Daimler-Benz AG verkauft
worden. Auch der Einstieg bei Mitsubishi in Japan erwies sich als Flop.
Letztes Jahr entschied Daimler, kein weiteres Geld nachzuschießen.
Mercedes, einst die geachteteste Automarke der Welt, hat mittlerweile mit
erheblichen Qualitätsmängeln zu kämpfen. In der vergangenen Woche wurden 1,3
Millionen Autos in die Werkstätten zurückgeholt – die größte Rückrufaktion
der Konzerngeschichte. Auch smart ist weiter defizitär; die Sanierung soll
bis zum 1,2 Mrd. Euro kosten.
Da hilft es auch nicht, dass diese Woche ein US-Gericht im so genannten
Kerkorian-Prozesses in allen Punkten für Daimler entschied. Schrempp hatte
in einem unbedachten Moment geäußert, dass die Fusion mit Chrysler von
Anfang nicht wirklich als Fusion unter Gleichen geplant gewesen sie.
US-Aktionäre hatten daraufhin auf hohen Schadenersatz geklagt.
Schrempp räumte Probleme ein, sagte aber, dass die Bilanz gesund sei. Zudem
werde 2006 das Kostensenkungsprogramm CORE wirksam werden. (Wie man bei
Qualitätsproblemen bei der Nobelmarke zuerst an eine Kostenoffensive denken
kann, ist mir allerdings ein Rätsel.) Der Gewinn wird insgesamt für 2005
aufgrund der Sanierungskosten zurückgehen. Value hat Schrempp vor allem für
sich und seine obersten Führungskräfte geschaffen. Seit der Fusion mit
Chrysler hat sich sein Gehalt schätzungsweise verzehnfacht.
Erstaunlicherweise konnte sich Schrempp bis heute halten. Der Erklärung ist
einfach: als Vorstandsvorsitzender von Daimler ist er nicht zuerst Vertreter
seiner Aktionäre, sondern muss sich mit seinen wenigen Großaktionären
(insbesondere der Deutschen Bank) und den Gewerkschaften gut stehen. Erfolge
als Unternehmenslenker sind da sekundär: Schrempp ist vor allem Politiker
und Schauspieler.
Eines der scheinbar einfachsten Anlagekriterien ist tatsächlich eines der
schwierigsten: „Wird das Unternehmen von ehrlichen und kompetenten Managern
geleitet, die vor allem das Wohl der Aktionäre und des Unternehmens im Sinn
haben?“ Warren Buffett stellt sich diese Frage immer zuerst, und er ist gut
damit gefahren.
Bei Gericht heißt es, „im Zweifel für den Angeklagten.“ Beim Investieren
muss es heißen, „Käufer, hab acht.“ Diesen Grundsatz habe ich bei Daimler
missachtet. Als Schrempp das Ruder bei Daimler übernahm, hatte ich
Hoffnungen, dass er die Fehler seines Vorgängers nicht wiederholen würde. Es
kam aber alles noch viel schlimmer. Jürgen Schrempp nehme ich den „Mr.
Shareholder Value“ schon lange nicht mehr ab, und Daimler ist schon lange
von meiner Empfehlungsliste verschwunden. Unter den deutschen Großkonzernen
sind mittlerweile die Deutsche Telekom und die E.ON für Privatanleger
interessant. In beiden Fällen glaube ich, dass das Management die Interessen
der Eigentümer im Blick hat. Bei Daimler ist das bislang nicht zu erkennen.
Gute Investments wünscht,
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
www.privatinvestor.de