Liebe Leser,
3,5 Billionen US-Dollar ist der Markt für ETFs bereits schwer. In Europa liegen davon 550 Milliarden Euro. Setzt sich dieser Trend weiter fort, könnte in Europa 2020 die 1-Billion-Euro-Marke geknackt werden. Bis 2019 dürfte das gesamte Marktvolumen sprunghaft auf 6 Billionen US-Dollar ansteigen, so zuletzt eine Schätzung im Magazin „Der Aktionär“.
Doch wer kann es Anlegern verübeln, wenn sie immer mehr Geld in die Indexfonds investieren? Schließlich bringen die heutigen Zeiten, angesichts der Volatilität an den Märkten, den Minizinsen und den politischen Unwägbarkeiten, mehr Herausforderungen mit sich, als uns allen lieb sein kann. Börsengehandelte ETFs erfreuen sich also nicht ohne Grund steigender Beliebtheit.
Doch was sind ETFs genau?
Das Kürzel „ETF“ steht für „Exchange Traded Fund“. Dies sind Indexfonds, die immer einen zugrunde liegenden Index 1:1 abbilden und in ihrer Zusammensetzung an die Gewichtung des Index gekoppelt sind. Wenn daher ein Index in seiner Wertentwicklung steigt, steigt auch der Wert des ETF. Wenn der Index fällt, fällt der ETF ebenso. ETFs werden rein passiv gemanagt, das heißt, ein Fondsmanager greift nicht in die Zusammensetzung des Portfolios ein.
Eine kurze Geschichte der ETFs – die wichtigsten Eckdaten im Überblick
1989 In Kanada starten Toronto Participation Shares (TIPS).
1990 Der Zulassungsprozess für ETFs wird in Gang gesetzt.
1993 Der erste ETF wird gelistet, SPDRs auf den S&P 500.
1996 WEBS und Country Baskets sind die ersten Länderkörbe.
2000 Start des XTF-Segments mit EURO STOXX 50 und STOXX Europe
2001 Erster ETF auf den DAX-Index im XTF-Segment gelistet
2003 Erste europäische Renten-ETFs
2005 ETFs für Märkte wie Osteuropa und Dividendenstrategien
2010 ETF-Volumen steigt auf 160 Mrd. Euro
Doch bei allem Enthusiasmus über Exchange Traded Funds als, auf den ersten Blick, einfaches Werkzeug zum Vermögensaufbau wollen wir aber keinesfalls die Risiken dieses Finanzproduktes unter den Tisch fallen lassen.
Zunächst sollten Sie, liebe Leser, natürlich bedenken, dass vor allem breit aufgestellte ETFs sehr sensibel auf die Lage und Entwicklung der allgemeinen Welt- und Finanzwirtschaft reagieren. Denn ETFs bilden die Performance eines Index, abgesehen vom Tracking Error, immer 1:1 eins ab. Den Tracking Error können Sie in der Regel dem Factsheet entnehmen.
Doch bedenken Sie: Der Tracking Error kann zwischen zwei ETFs, denen der gleiche Index zugrunde liegt, durchaus variieren. Und je nachdem, ob es sich bei dem Index um einen thesaurierenden oder ausschüttenden Aktienindex, handelt, kann es zu weiteren Abweichungen zwischen ETF und dem zugrundeliegenden Index kommen.
In den Jahren 2008 und 2009 wären Sie mit einem ETF nicht gut gefahren. Schließlich geben Sie mit einem ETF immer Vollgas. Das Fondsvolumen wird immer zu 100 Prozent investiert, in Crash- genauso wie in Boom-Phasen. Während Manager eines aktiv gemanagten Fonds auch gerne einmal viel Geld in ihrer Kasse liegen lassen, um in günstigen Phasen schnell reagieren, einsteigen und nachkaufen zu können, sind Indexfonds immer voll engagiert.
In guten Zeiten ist dies ein Vorteil. Doch in schlechten Zeiten wird sich dies als Nachteil erweisen. Auch wenn Sie einen Branchenindex zur Investition erkoren haben und die betreffende Branche gerade in einem Tief steckt, wird Ihr ETF Verluste machen, da er einen gewissen Durchschnitt der Branche repliziert. Solch schlechte Zeiten können durchaus einige Monate und sogar Jahre andauern. Nachteil der ETFs ist es eben, dass sie nicht auf Krisen reagieren können. Und da seit einigen Jahren verstärkt Computer miteinander an den Börsen handeln, kann es mitunter recht turbulent werden.
Bereits im Jahr 2011 veröffentlichte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) eine Studie zur Sicherheit von ETFs. Damals lag das verwaltete Volumen der ETFs noch bei rund 1,2 Billionen US-Dollar – nur ein gutes Drittel des heutigen Volumens. Probleme können laut BIZ vor allem dann entstehen, wenn die Börsen abstürzen und viele Anleger auf einmal verkaufen möchten. Im Gegensatz zu den aktiv gemanagten Fonds, die bis zu zehn Prozent Liquidität bereithalten, sind ETFs immer voll investiert.
Ziehen Anleger dann auf einmal massenweise ihr Geld ab und die Anbieter müssen in einen stark fallenden Markt weiter hineinkaufen, können die Marktturbulenzen sich rasant verschärfen.
In einem volatilen Umfeld kann der moderne Hochfrequenzhandel, bei dem immer mehr weniger Trader aus Fleisch und Blut eingreifen, zu einem starken Abwärtssog führen, wenn ein Stop-Loss-Kurs, in gewisser Weise eine Reißleine, nach dem anderen erreicht wird. Ist ein Stopp-Loss durch fallende Kurse erst erreicht oder unterschritten, löst das neue Verkäufe aus. Die ETFs wirken dabei als Verstärker, da sie Kursabfälle der Indizes 1:1 nachahmen und dabei sogar Handelsstopps an den Börsen provozieren können.
Und selbst solche Szenarien sind keine hohle Theorie. Wir haben sie bereits erlebt!
Das letzte Mal am 24. August 2015 beim Flash Crash, als ein ETF auf den NASDAQ 100 innerhalb von Sekunden nach Handelsbeginn im Tief um fast zehn Prozent einbrach.
Aus diesem Grund hat der Fondsmanager Dennis Bryan ETFs sogar als „Massenvernichtungswaffen“ beschrieben. Sie hätten die Aktienpreise verzerrt und das Potenzial für einen großangelegten Ausverkauf an den Märkten geschaffen.
Auch das Währungsrisiko spielt bei ETFs eine Rolle. Die Fondswährung und die Handelswährung unterscheiden sich nicht selten. Die Fondswährung bezeichnet die Währung, in der der Fonds investiert und zu der die Wertpapiere im Fonds bewertet werden. Ein ETF auf einen US-Index wird seine Aktien beispielsweise in US-Dollar kaufen. Auf der anderen Seite bezeichnet die Handelswährung die Währung, in welcher der ETF gehandelt wird, in der Euro-Zone also in Euro. Je nach Entwicklung der Devisenkurse kann der ETF von der Wertdifferenz zwischen der Fonds- und der Handelswährung profitieren, aber durch sie auch verlieren.
Ein weiteres Risiko besteht darin, dass eine emittierende Fondsgesellschaft den Benchmark ihres ETFs, also den nachzubildenden Index, wechseln kann. Juristisch ist dies möglich, wenn der Emittent eine gewisse Ankündigungsfrist einhält. In der Praxis ist dies bislang zwar nur selten vorgekommen, doch sollten Sie, liebe Leser, davon betroffen sein, müssen Sie unbedingt prüfen, ob der neue Benchmark Ihren Erwartungen und Einschätzungen entspricht.
Ebenso ist es möglich, dass der Emittent den Indexfonds schließt oder mit einem anderen Produkt aus seinem Haus fusioniert. Wenn ein Fonds aus Sicht der Gesellschaft zu geringe Erträge abwirft, kann eine solche Schließung oder Fusion durchaus veranlasst werden.
Und damit komme ich zu dem aktuell wohl bedeutungsvollsten Problemkomplex der Exchange Traded Funds: den Derivaten. Das fängt an bei den auf Swaps basierenden ETFs. Wird ein Indexfonds nicht physisch repliziert, sondern seine Performance mittels einer Zahlungsvereinbarung zwischen der emittierenden Fondsgesellschaft und ihrem Swap-Partner nachgeahmt, besteht die Gefahr, dass ein Ausfall des Swap-Partners zu Verlusten des ETF führt.
Auch leihen viele Fondsmanager physisch replizierender ETFs Wertpapiere häufig an große institutionelle Anleger, wie zum Beispiel Lebensversicherungen, aus, die diese Papiere dann oft für Leerverkäufe, also für Wetten auf fallende Kurse, nutzen. Dank dieser Leihgeschäfte ist es den Fondsmanagern einerseits möglich, sogar einen positiven Tracking Error, also eine bessere Rendite als der abgebildete Index, zu erwirtschaften, andererseits entstehen durch die Leihgeschäfte ebenfalls nicht unerhebliche Ausfallrisiken für den Fonds.
ETFs sind also nur auf den ersten Blick einfache Anlageprodukte. Sie können durch den Inhalt des Sondervermögens und die Ausfallrisiken bei den Beteiligten komplizierter und risikoreicher sein als viele traditionelle Wertpapierfonds. Die wenigsten Anleger allerdings graben so tief, dass sie die Konstruktionen verstehen, die Banken bei diesen Indexfonds aufgebaut haben.
Herzlichst,
Ihre
Kerstin Franzisi,
Chefredakteurin AktienSCREEN
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Hinweis/Disclaimer:
Kerstin Franzisi berät, beziehungsweise Unternehmen, an denen Kerstin Franzisi beteiligt ist, beraten den PI Global Value Fund (WKN: A0NE9G) und den Max Otte Vermögensbildungsfonds (WKN: A1J3AM). Diese beiden Fonds könnten Positionen in Titeln halten, die in diesem Artikel genannt sind.
Für den Fall, dass Leser dieses Artikels Positionen in einen genannten Titel in einem Umfang erwerben, der dazu geeignet ist, den Preis des Titels zu beeinflussen, könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide die Fonds im Falle der Veräusserung des Titels aus deren Portfolio nach einem solchen Kursanstieg vom Erwerb des Titels durch die Leser der Kolumne profitieren. Auch im Falle eines Verkaufs in einem entsprechenden Umfang durch Leser der Kolumne könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide Fonds von fallenden Kursen durch günstigere Einstiegskurse im Falle eines späteren Kursanstiegs profitieren.
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