Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
„Die Investoren an den Aktienmärkten können sich in dieser Woche auf das Wesentliche konzentrieren – darauf, wie es den Unternehmen geht. Schließlich steht politisch in den Sommerferien kein wichtiges Thema auf der Agenda, und auch in Europa kommt die Quartalssaison in Fahrt.“ Soweit die Einleitung der Börsen-Wochenvorschau in der Montagsausgabe des „Handelsblatt“. Nein, nicht schon wieder Kollegenkritik, sondern vielmehr ein eindrucksvolles Beispiel für die Kurzlebigkeit der täglichen Tendenzen an den Finanzmärkten und der kaum noch voraussagebaren Entwicklungen in deren Umfeld. Als der Journalist nämlich diesen Vorspann sonntags formulierte, hatte er die Ausgangslage zwar richtig skizziert – konnte aber nicht wissen, dass die Börsenstimmung tags darauf – beim Lesen auf dem Frühstückstisch – unter einem ganz anderen Vorzeichen stehen würde. Ähnliche Erfahrungen erschweren auch meine Arbeit, vor allem aber Ihre Aktionen, liebe Anleger.
Doch damit nicht genug. Die ziemlich überraschenden, weil überraschend klaren Worte unseres Wirtschaftsministers zum Griechenland-Problem, die einer Ausstiegsankündigung gleich kamen, überschatteten schon vorbörslich am Montag alles andere, natürlich auch die Spekulationen über die zur Veröffentlichung anstehenden Quartalsergebnisse. Zum Sitzungsbeginn um 9:00 Uhr, kurz nach der DAF-TV-Produktion meiner „Kutzers Corner“, zeichnete sich als Folge der wieder auflebenden Finanzkrisen-Unsicherheit ein Dax-Verlust in der Größenordnung von etwa 80 bis 100 Punkten ab – mehr waren unwahrscheinlich, dafür schien der Verkaufsdruck nicht groß genug zu sein.
Das Ergebnis kennen Sie. Es wurde ein tiefgrauer Montag („schwarz“ sollte man sich für historische Kurs-Katastrophen reservieren), denn die Talfahrt beschleunigte sich im Tagesverlauf dramatisch, unser Leitindex rutschte schließlich um mehr als 3 Prozent ab und das Angstbarometer VDax schoss förmlich um ein Drittel auf ein neues Fünfmonatshoch nach oben. Gestern folgte in den Börsenberichten die eher lapidare Feststellung: „Die Schuldenkrise lässt die Aktienanleger in Europa nicht mehr los.“ Denn nur ein Tag nach den herben Verlusten an den Börsen rund um den Globus sorgte der negative Ausblick für die Kreditwürdigkeit Deutschlands durch die Ratingagentur Moody's für zusätzliche Unruhe. Der Dax, der sich zunächst noch auf Vortagsniveau halten konnte, beendete den Tag mit einem Abschlag von 0,5 Prozent. Die Ratingagentur hatte erklärt, es sei inzwischen wahrscheinlicher geworden, dass Griechenland die Euro-Zone verlasse. Das könne zu einer ganzen Kette von Schocks an den Finanzmärkten führen.
Unabhängig von der Bewertung der aktuellen wirtschaftspolitischen Einflussfaktoren für die Finanzmärkte möchte ich Sie eindringlich auf die Folgen solcher Beobachtungen hinweisen. All das gab es auch früher schon, tritt heutzutage jedoch häufiger und in weitaus stärkerer Form auf – eine Folge der Globalisierung und Digitalisierung:
· Börsen neigen zu Übertreibungen meist kurzfristiger Natur. Nur: Ob es tatsächlich Übertreibungen sind, weiß man erst hinterher, denn:
· Börsen können eine nicht absehbare Eigendynamik der Kurstendenzen entwickeln, weil auch große, marktbestimmende Kräfte einem Herdentrieb folgen (siehe Montag).
· „Eingepreist“ (ein Lieblingsthema von mir) war gestern. Sie können sich nicht mehr darauf verlassen, dass der Aktienmarkt nur deshalb nicht auf ein Ereignis reagiert, weil er sein Eintreten längst erwartet hatte.
· Kleiner Trost: Es ist ein gutes Zeichen für die Funktionstüchtigkeit eines Markts, wenn er selbst in Chaos-Tagen nach Einzelwerten differenziert und besondere Neuigkeiten trotz eines alle überschattenden Themas honoriert (SAP).
Strich darunter: Auch langfristig orientierte Akteure, die – wie wir – zu den Trendfolgern gehören, müssen höchst flexibel bleiben. Stures Aussitzen kann teuer werden! Außerdem, und ich wiederhole mich hier ganz bewusst, fördert all dies den Trend zu verstärktem, ganz kurzfristigem Trading.
Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!
Ihr
Hermann Kutzer
Chefredakteur
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