Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
was haben Erkenntnisse der psychologischen und der Hirnforschung mit der Börse zu tun? Sehr viel, und besonders viel in der aktuellen Krisensituation. Und diese Erkenntnisse bestätigen meine Interpretation, dass wir es mit einer neuen Dimension zu tun haben, also mit einem Zusammentreffen von Gefahren, wie wir es bisher nicht erlebt haben – uns fehlen demnach auch entsprechende Erfahrungen. Außerdem: der Zusammenhang mit den Ereignissen von 2008 (Lehman-Krise) ist nicht zu bestreiten. Wenn überall von „der Euro-Krise“ gesprochen wird, so ist es vielmehr die Addition von Bankenkrise, Staatsverschuldungskrise, politischer Krise und Finanzmarktkrise. Das hat zur Folge, dass selbst alterfahrene und eher gelassene Gemüter unter den Kapitalmarkt-Profis in puncto Krisenverlauf großer Sorge sind: Man schließt nicht mehr aus, dass die Börsen noch (viele) Jahre lang von den Folgen überschattet werden.
Ich war tief beeindruckt, liebe Anlegerinnen und Anleger, vom weitreichenden Konsens einer (nicht öffentlichen) Expertenrunde mit namhaften Teilnehmern aus unterschiedlichen Fachgebieten. Dabei wurde nicht etwa eine langanhaltende Baisse am Aktienmarkt vorhergesagt, sondern überzeugend herausgearbeitet, wie groß die Gefahren geworden sind, die sich inzwischen aufgebaut haben, und dass deshalb Vergleiche mit früheren Krisen wenig hilfreich sind. Ein wesentlicher Unterschied zwischen gestern und heute liegt im globalen Ausmaß, ein weiterer im Fehlen erkennbarer Perspektiven, was zur Entwicklung übergroßer Emotionalität – konkret: Angst – führt. Drei dringende grundsätzliche Empfehlungen aus Expertenmund lauten: mehr Bescheidenheit bei den Renditezielen, Vorrang für Kapitalerhalt und längerfristige Orientierung.
Was nutzen in einer derart verfahrenen Situation fundamentale Nachrichten, die einer Aktie oder auch dem Gesamtmarkt nach bekannten Mustern Mut machen müssten, wenn die entsprechende Kursreaktion dann aber allzu kurz ist, weil die marktdominierenden Kräfte etwas anderes im Sinn haben? Die Logik spielt momentan keine Rolle. Das belegt auch die aktuelle Stimmungsanalyse an der Frankfurter Börse durch die Cognitrend GmbH. Denn in den zurückliegenden Tagen mussten Händler und Anleger wieder einmal ein Wechselbad der Gefühle über sich ergehen lassen. Während in der vergangenen Woche die alten Tiefststände noch einmal getestet wurden, hat sich danach dieses Bild grundlegend geändert – vielleicht auch wegen eines Gewöhnungseffekts in Bezug auf negative Nachrichten. Anders ausgedrückt: Die Wahrnehmungshürde vieler Akteure war so hoch gesteckt, dass eigentlich nur noch richtig schlechte Nachrichten beim DAX etwas nach unten bewegt hätten. Und so wundert es auch nicht, dass etwa ein Ifo-Index, der gegenüber dem Vormonat zwar gefallen, aber – wenn auch in geringem Maße – besser als von der Ökonomen erwartet ausgefallen war, den Beginn einer starken Rallye eingeläutet hat.
Diese steile Aufwärtsbewegung hat weiteren Treibstoff bekommen, als plötzlich die Geschichte die Runde machte, der EFSF-Rettungsschirm würde möglicherweise massiv erweitert. Und zwar auf bis zu 2.000 Milliarden Euro. Das war eine Zahl, heißt es im Cognitrend-Wochenbericht, die die Vorstellungskraft der Akteure im ersten Augenblick bei weitem übertroffen haben mag. Obwohl die Quelle dieser Zahl niemals so richtig ausgemacht werden konnte, war den Akteuren natürlich klar, dass ein derartiges Aufblähen des Rettungsschirms angesichts des derzeit angestrebten Volumens von 440 Milliarden Euro nur über den Einsatz entsprechender Hebel zu erreichen sein wird. Aber es schien für einen Moment lang, als ob die Probleme der Eurozone auf einen Schlag gelöst werden könnten. Obwohl Dementis nicht lange auf sich warten ließen und sogar das Abkommen vom 21. Juli noch einmal in Gefahr geriet, überarbeitet werden zu müssen, machte sich streckenweise sogar eine gewisse medieninduzierte Euphorie bei den Händlern breit.
Jetzt wird es kompliziert, denn diese Euphorie befiel nicht die von der Börse Frankfurt wöchentlich befragten Teilnehmer. Im Gegenteil, dort hat sich der Optimismus ein weiteres Mal zurückgebildet. Erkenntnis der Verhaltensanalysten: „Damit sind auch die letzten Long-Engagements seit Mitte August vom Markt verschwunden. Trotz aller positiven Neuigkeiten. Denn man darf nicht vergessen, dass diese Optimisten vor gut einer Woche mit einem Dax von 5.650 Zählern nicht zufrieden gewesen waren. Nein, man hatte Höheres erwartet (die Einstandspreise dieser Engagements lagen im Durchschnitt vermutlich bei 5.800 Punkten), war aber angesichts des erneuten Abtauchens des Börsenbarometers zu den Jahrestiefs dieses Mal heilfroh, wenigstens am Vorwochenhoch eine zweite Verkaufschance erhalten zu haben.“
Daraus ist zu folgern: Solange die von Angst geschürte Bereitschaft großer institutioneller Investoren zum Abbau von Aktienbeständen nicht nachlässt, dürften Erholungsansätze der Börse nur von kurzer Dauer sein. Lassen Sie sich also von euphorischen Zwischenphasen nicht infizieren! Vorsicht bleibt die Mutter des Kapitalerhalts.
Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!
Ihr
Hermann Kutzer
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