Geldanlage in der Krise (XII) - Auf wirklich langfristige Trends setzen!

Montag, 07.11.11 16:26

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

nein, ich habe nichts gegen die Aktie. Im Gegenteil, sie ist für mich unverändert die interessanteste Anlageklasse. Aber: Gerade in Krisenzeiten muss man als Anleger den Faktor Zeit mehr denn je in seine Überlegungen einbeziehen. Daher sehe ich bis auf weiteres enorm große Risiken für die Kurse, so dass es mit neuen Engagements nicht eilt. Das ist kurz gefasst meine Stellungnahme zu einem Schreiben, in dem ein offenbar fortgeschrittener Privatanleger meine traditionell positive Einstellung gegenüber der Aktie in Zweifel zog. Ich nehme dieses und ähnliche Diskussionen zum Anlass, einmal mehr auf zwei Aspekte hinzuweisen:

1. Die Aktie ist vom Wesen und ihrer Bestimmung her ein langfristiges Anlageinstrument mit einer großen volkswirtschaftlichen Aufgabe, der Beschaffung von Eigenkapital für Unternehmen. Diesen Charakter hat sie im Laufe der vergangenen Jahre weitgehend verloren – und dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Sie ist zunehmend zu einem kurzfristigen Trading- und Spekulationsobjekt des institutionellen Hochfrequenz-Handels geworden. Dabei haben sich die Begriffsinhalte weit verschoben, Beispiel: Früher verstand man unter „langfristig“ 10 Jahre und länger. Und das galt für alle Kapitalmärkte in allen Ländern. Heute verstehen moderne Marktteilnehmer darunter Zeiträume irgendwo zwischen 1 und 3 Jahren. Dementsprechend haben sich die Definitionen für „kurzfristig“ und „mittelfristig“ dramatisch verkürzt.

2. Die meisten Privatanleger (Sie, liebe Leserinnen und Leser, ausgenommen!) sind nach meiner langjährigen Beobachtung nicht ehrlich zu sich selbst, wenn es um die Bindungsdauer ihres Kapitals geht. Konkret: Es wird überwiegend behauptet, man sei ja an langfristigen Investments interessiert – tatsächlich ist die Spekulationsmentalität, gegen die grundsätzlich nichts einzuwenden ist, weit verbreitet. Und das bedeutet, dass viele Privatanleger schon unruhig und vor allem ungeduldig werden, wenn nach 6 oder 12 Monaten die Performance enttäuschend ist.

Daraus ziehe ich als Konsequenz, Aktien in Krisenzeiten nur mit großen Einschränkungen zu empfehlen, selbst bei einer fundmentalanalytisch niedrigen Bewertung. Was nutzt der Hinweis auf die Erfahrung, dass es längerfristig stets sinnvoll war, in Krisenzeiten antizyklisch zu kaufen, wenn es viele Monate oder sogar ein paar Jahre dauerte, bis die früheren Höchststände wieder erreicht wurden? „Kaufen, wenn die Kanonen dauern“ (im übertragenen Sinn) doch nur dann, wenn der Anleger tatsächlich den traditionellen „langfristigen“ Zeithorizont mitbringt. Eine Aktie ist beispielsweise schon um über 40 % abgerutscht – was soll da noch groß passieren!? So und ähnlich hört man in diesen Tagen öfter. Doch, die Gefahr eines weiteren, steilen Rückgangs der Börsenkurse ist doch nicht gebannt. Beispiel Commerzbank: Ich kenne Experten, die Commerzbank bei 9 Euro und später bei 6 Euro für höchst attraktiv hielten – niemand sollte sich wundern, wenn bald nicht einmal eine 1 vor dem Komma stünde …

Das Research von Allianz Global Investors (AGI), das ich schon wegen seiner intensiven Gesamtbetrachtungen besonders schätze, setzt solche Überlegungen in seinen Empfehlungen zur „taktischen Allokation Aktien und Anleihen“ ganz aktuell ein – ich zitiere aus dem jüngsten AGI-Kapitalmarktbrief:

Die Volatilität an den Märkten dürfte hoch bleiben. Folglich wird den fundamentalen Faktoren derzeit kaum Beachtung geschenkt. Leider, denn die jüngsten Datenpunkte gäben Grund zur Hoffnung: Zum einen waren die jüngsten Konjunkturdaten aus den USA, wie z. B. Einzelhandel oder Industrieproduktion, besser als erwartet. Ebenso konnten sich die Unternehmen im Hinblick auf die Berichtssaison bisher recht gut aus der Affäre ziehen. Die Bewertungen erscheinen entsprechend attraktiv. Die politische Unsicherheitsprämie und damit die Volatilität an den Märkten dürften weiterhin hoch bleiben, so dass sich taktisch eine Untergewichtung von Aktien empfiehlt. Langfristig orientierte Anleger sollten Neuengagements am besten nur schrittweise in den Aktienmarkt tätigen.

Und zur deutschen Börse heißt es weiter: Viele abwärts gerichtete Frühindikatoren signalisieren zwar eine weitere Abschwächung der Konjunktur. Doch mit Blick auf die zuletzt guten Exporte, die besser als erwartete Industrieproduktion sowie die niedrige Arbeitslosenquote scheint Deutschland weit entfernt von einer Rezession. Und ein (möglicher) Gewinnrückgang bei den Unternehmen scheint von den Marktteilnehmern bereits eingepreist. So liegen die Kurse deutscher Unternehmen mittlerweile nahe am Buchwert ihres Eigenkapitals.

Soweit AGI. Wollen Sie wirklich antizyklisch handeln? Für mich wäre es als Privatanleger wichtiger herauszufinden, an welchem Punkt der Markt dreht, wann ein neuer – langfristiger – Trend beginnt. Denn: The trend is your friend.

Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!
Ihr

Hermann Kutzer


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Er will seine Erfahrung einbringen, und davon hat er jede Menge: Hermann Kutzer gilt als der dienstälteste journalistische „Börsendino“ in Deutschland. Schon seit 1969 beobachtet der bekennende...

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