Die gute Geschäftsentwicklung der Salzgitter AG hat für Phantasie an der Börse gesorgt. Im Gespräch mit Prof. Dr. Max Otte, IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH, äußert sich Finanzvorstand Dr. Heinz Jörg Fuhrmann über die Strategie, die Zahlen und die Perspektiven der Salzgitter AG.
Die Salzgitter AG wurde im Jahr 1998 als Spin-Off der Preussag AG, heute TUI AG, verselbständigt. Mit fast 18.000 Mitarbeitern erwirtschaftete die Salzgitter AG in den Unternehmensbereichen Stahl, Handel, Dienstleistungen, Verarbeitung und Mannesmann Röhren in den ersten 9 Monaten des Jahres 2004 einen Umsatz von 4,3 Mrd. € (Vorjahreszeitraum 3,7 Mrd.) und erzielte einen Jahresüberschuss von 110 Mrd. € (Vorjahreszeitraum 22 Mio.). Aktuell gab die Salzgitter AG bekannt, dass man die 45%ige Beteiligung des Konzerns an der V&M Tubes SA für 545 Mio. € an die Muttergesellschaft Vallourec veräußern werden.
Frage: Sehr geehrter Herr Dr. Fuhrmann, seit dem Tief bei ca. 6 Euro Anfang des Jahres 2003 hat sich der Kurs der Salzgitter-Aktie mehr als verdoppelt. Am 29.09.2004 habe ich die Salzgitter-Aktie zu 11,68 € in unser Portfolio aufgenommen. War dies die richtige Entscheidung?
Dr. Fuhrmann: Offenbar ja. Die weltweite Verknappung von industriellen Rohstoffen hat auch Stahl zum „seltenen Metall“ werden lassen. Neben diesem generellen Trend haben im Laufe des Jahres 2004 auch unsere Ergebnisverbesserungs-Maßnahmen zum Aufschwung beigetragen.
Frage: Am 21.01.2005 gab die Salzgitter AG bekannt, dass die zum Konzern gehörenden Mannesmann-Röhrenwerke ihre 45%-Beteiligung an der V&M Tubes SA für 545 Mio. € an die Muttergesellschaft Vallourec veräußern werden. Gleichzeitig bauen die Mannesmann Röhrenwerke ihre Beteiligung an den Hüttenwerken Krupp Mannesmann GmbH durch den Kauf von 10% der seitens V&M gehaltenen Anteile auf 30% aus. Zudem behalten Sie ihren 23%igen Anteil an der Vallourec und wollen die geplante Kapitalerhöhung pro rata zeichnen. Kann da ein Privatinvestor noch durchblicken? Welche strategischen oder finanziellen Gründe standen hinter dem Deal? Immerhin ist das Nahtlosröhrengeschäft ja durchaus attraktiv und Sie verringern tendenziell Ihre Beteiligung.
Dr. Fuhrmann: Gerade weil der Investor besser durchblicken soll, verändern und vereinfachen wir die gesellschaftsrechtliche Struktur unserer Nahtlosrohr-Beteiligungen. Aus einer komplexen, unternehmerische Entscheidungen nicht immer erleichternden Kombination zweier Minderheitsbeteiligungen wird ein Engagement bei Vallourec, bei dem wir einer von zwei Großaktionären bleiben. Neben dem Erlös von 545 Mio. € verfügen wir damit über interessante Perspektiven und Optionen.
Jedes Unternehmen konzentriert sich auf seine Kernkompetenzen – Vallourec auf Nahtlos-Rohr und Salzgitter auf Metallurgie. Die Erhöhung der Beteiligung am Halbzeugproduzenten HKM– entspricht dieser Strategie und festigt unsere Position bei diesem nicht nur zu Zeiten eines Mangels an Stahlhalbzeug wichtigen Vormateriallieferanten.
Frage: Als ich Sie Ende 2002 kennen lernte, waren Sie äußerst kritisch gegenüber dem angelsächsischen Modell des Shareholder-Value und betonten die Vorzüge eines ganzheitlichen „deutschen“ Modells. Sehen Sie dies heute noch genauso? Immerhin liebt der Kapitalmarkt die Salzgitter-Aktie ja mittlerweile.
Dr. Fuhrmann: Die Wirtschaft ist integraler Bestandteil unseres gesellschaftlich-kulturellen Systems, um das uns auch heute noch viele Länder beneiden. Wie sagte der Präsident der deutsch-amerikanischen Handelskammer, Fred B. Irwin kürzlich: „The great secret in Germany, and the core strength (there), are the Germans themselves. But this they don’t now.”
Das Prinzip konsensbasierten Ausgleichs legitimer Interessen von Stakeholdern dem ausschließlichen Diktat zumeist sehr kurzfristig ausgerichteter Chancenwahrnehmung zu opfern, halte ich für grundfalsch. Zumal es sich – nicht nur am Beispiel der Salzgitter AG – erwiesen hat, dass Unternehmen, die sich an langfristigen Zielen und Werten orientieren, am Ende erfolgreicher sind.
Frage: In Ihrer Entsprechungserklärung zum Corporate Governance Kodex erklärt die Salzgitter AG, dass sie auch in der Zukunft die Vorstandsbezüge nicht einzeln veröffentlichen wolle, weil dies der gesamtheitlichen Verantwortung des Vorstands für das Ergebnis nicht gerecht werde. Im deutschen Aktiengesetz ist der Vorstand das insgesamt verantwortliche Organ, in der Praxis setzt sich aber zunehmend – trotz aller auch negativen Begleiterscheinungen – das amerikanische CEO-Modell mit einem starken Firmenlenker durch. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung und wie lange werden sich „traditionelle“ deutsche Unternehmen erfolgreich widersetzen können? Und wie ist es mit den „alten“ deutschen Werten in Management und Geschäftswelt, die ebenfalls zunehmend bedroht sind?
Dr. Fuhrmann: Den wahren Wert vieler Dinge erkennt man erst dann, wenn man Sie endgültig verloren hat. „Hanseatisches“ Geschäftsgebaren schafft Vertrauen, und Vertrauen macht Geschäfte billiger für alle Beteiligten. Zu Ihrer ersten Frage: Nach einschlägigen Erfahrungen bevorzugt unsere Gesellschaft Gewaltenteilung und Demokratie statt Machtkonzentration auf eine Person oder Institution. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft kennen wir –zig Fälle vom kometenhaften Aufstieg von als „One-Man-Show“ geführten Unternehmen, die alsbald zum Nachteil ihrer Aktionäre, Kunden und Mitarbeiter verglühten. Ursache war sehr häufig die Hybris von Personen, denen zu wenig Kontrolle zuteil wurde.
Frage: Lassen Sie mich einen Vergleich zweier höchst unterschiedlicher Unternehmen wagen, die bei Marktkapitalisierung und Betriebsergebnis aber ähnlich dastehen. Ein Unternehmen wie United Internet hat in den ersten neun Monaten des Jahres 2004 mit ca. 4.440 Beschäftigten bei einem Umsatz von 365 Mio. € ein Betriebsergebnis von 66 Mio. € erwirtschaftet und ist mit ca. 1,1 Mrd. € am Markt bewertet. Der Salzgitter-Konzern hat mit einem Umsatz von 4.300 Mio. und 18.000 Beschäftigten ca. 157 Mio. erwirtschaftet und ist am Markt mit ca. 900 Mio. € bewertet. United Internet wächst zweistellig und zuletzt auch kontinuierlich, während der Jahresüberschuss bei der Salzgitter AG starken Schwankungen unterliegt. Die Margen in Ihrem Geschäft sind dünn, bei United Internet satt. Warum sollte man als langfristig orientierter Privatanleger bei derartigen Alternativen über die Salzgitter-Aktie nachdenken?
Dr. Fuhrmann: Weil unnatürlich große Margen in einer Marktwirtschaft Wettbewerber anziehen, die für einen Ausgleich der Verhältnisse sorgen. Das korrigiert die Bewertung von Unternehmen in tatsächlichen oder vermeintlichen Wachstumsmärkten auf bisweilen brutale Weise, wie uns das Schicksal des Neuen Marktes gelehrt hat. Es gibt logischerweise keine Marktnischen, die so groß sind, dass sich börsennotierte und damit publizitätsintensive Aktiengesellschaften in Gänze und dauerhaft darin aufhalten können.
Frage: Von ihren 4,3 Mrd. € Umsatz im Jahr 2004 haben Sie 1,2 Mrd. im Unternehmensbereich Stahl, 1,9 Mrd. im Handel, 390 Mio. bei Dienstleistungen und Verarbeitung und 720 Mio. im Unternehmensbereich Röhren erwirtschaftet. Stahl ist derzeit aufgrund der starken Nachfrage in Asien in Mode. Hat die Stahlproduktion eine langfristige Zukunft in Deutschland?
Dr. Fuhrmann: Hat sie zweifelsohne, wenn wir den Bogen nicht überspannen. Rohstoffe und Industrieanlagen kosten bei uns nicht mehr als andernorts; Kapital ist hierzulande wegen der gesamtgesellschaftlichen Solidität billiger als in Schwellenländern. Hingegen drohen die Kosten für Energie und bürokratisch ausufernde Pseudo-Ökologie zum negativen Standortfaktor zu werden. Für die Personalaufwendungen gilt schlicht, dass wir mindestens soviel produktiver sein müssen, wie wir teurer sind.
Frage: Die Stahlbranche ist global immer noch sehr fragmentiert – es gibt viele relativ kleine und nationale Player. Jetzt scheint sich eine Konsolidierung abzuzeichnen z.B. durch Mittal Steel. Was bedeutet das für die Salzgitter AG?
Dr. Fuhrmann: Eher Gutes, denn weder Kunden noch Lieferanten mögen Ihnen gegenüberstehende Monopole oder Oligopole.
Frage: Können Sie sich vorstellen, im Bereich Stahl durch größere Akquisitionen zu wachsen, oder widerspräche dies Ihrer Strategie?
Dr. Fuhrmann: Externes Wachstum im Stahlbereich ginge durchaus konform mit unserer Strategie. Allerdings setzen wir uns nicht durch vollmundige Ankündigungen unter unnötigen Handlungsdruck.
Frage: Im Unternehmensbereich Röhren sind Sie in einigen Segmenten Weltmarktführer. Wie stark profitiert der Bereich Röhren vom Ölboom und wie lange hält dies Ihrer Meinung nach noch an?
Dr. Fuhrmann: Solange die Weltwirtschaft dynamisch wächst, steigt der Energiebedarf. Das ist die wesentliche Voraussetzung für eine hohe Röhrennachfrage.
Frage: Schaut man sich die Salzgitter-Zahlen der letzten Jahre an, so sieht man, dass der Jahresüberschuss der Salzgitter AG starken Schwankungen unterliegt – Stahlunternehmen sind „Zykliker“. Hätten wir besser auf ein zyklisches Tief der Aktie warten und dann einsteigen sollen? Bleibt die Salzgitter AG ein „Zykliker“ oder wollen Sie sich davon lösen?
Dr. Fuhrmann: Wir sollten uns nichts vormachen: Stahl ist und bleibt eine zyklische Branche. Die Salzgitter AG könnte sich davon nur lossagen, wenn sie in ein völlig anderes Geschäftsfeld wechselte. Das haben ja schon einige versucht – und zu ihrer Verwunderung entdeckt, dass auch an den „neuen Ufern“ die Wechsel von Ebbe und Flut auftreten. Aber im Ernst: die Globalisierung scheint es mit sich zu bringen, dass immer mehr Branchen – darunter auch dienstleistungsbasierte – konjunktursensitiv werden.
Frage: Ihr bilanzielles Eigenkapital liegt bei 1,07 Mrd. €, Ihr Kurs-Buchwert-Verhältnis damit (noch) knapp unter 1. Sie bilanzieren im Konzern nach IAS, aber dennoch konservativ. Können Sie eine Aussage darüber treffen, was es kosten würde, den Salzgitter-Konzern auf der grünen Wiese nachzubauen?
Dr. Fuhrmann: Sechs Milliarden Euro dürfte dies schon erfordern. Wenn Sie stille Reserven einschätzen wollen, sind natürlich auch Verschleiß der ansonsten in sehr gutem Zustand befindlichen Anlagen und Fremdkapitalbeträge zu berücksichtigen.
Frage: Sie haben mehr als 1,5 Mrd. Euro an Pensionsrückstellungen bilanziert und damit deutlich mehr als den derzeitigen Marktwert des Konzerns von 900 Mio. €. Aus meiner Sicht gesehen, muss diese Position in den nächsten Jahren schrumpfen, wenn Sie Personal reduzieren oder neue Mitarbeiter mit weniger üppigen Pensionszusagen einstellen, wie es ja mittlerweile international üblich ist. Wie planen Sie, diese billige Finanzierungsquelle zu ersetzen?
Dr. Fuhrmann: In dem Maße, wie unser Cash-Flow positiv ist, müssen wir überhaupt nicht refinanzieren. Außerdem erwarte ich für die Entwicklung der Pensionsrückstellungen einen sanften Sinkflug und nicht einen Steilabfall. Das bedeutet, dass sich die von Ihnen thematisierte Frage jedenfalls nicht vordringlich stellt.
Frage: Ihre Gesamtkapitalumschlag ist von 1,07 im Jahr 2001 auf 1,32 im Jahr 2003 gestiegen. Das deutet eine effizientere Nutzung des Betriebsvermögens oder auf einen weiteren Umbau Richtung Dienstleistungen hin. Spielt der Gesamtkapitalumschlag in Ihrer Unternehmensstrategie eine Rolle?
Dr. Fuhrmann: Ja natürlich – weil Kapital auch in einem soliden Unternehmen wie dem unsrigen kein „freies Gut“ ist.
Frage: Ihre Abschreibungen sind seit 2001 in etwa konstant und liegen derzeit bei ca. 240 Mio. €. Abschreibungen richten sich auf die Vergangenheit, Sachinvestitionen auf die Zukunft. Es fällt auf, dass die Sachinvestitionen seit 2001 um etwa 35 % von 250 Mio. € auf 160 Mio. € gefallen sind. Damit steigt natürlich Ihr freier Cashflow, aber bahnt sich ein Investitionsstau an? (In der Energiewirtschaft gibt es diesen Investitionsstau ja bereits.)
Dr. Fuhrmann: Unsere Investitionspolitik folgt ebenfalls dem Prinzip nachhaltigen Wirtschaftens. Es gibt immer etwas zu modernisieren oder zu rationalisieren, aber beileibe keinen Investitionsstau.
Frage: Wir hatten vor einigen Monaten den inneren Wert der Salzgitter-Aktie mit 14,69 € errechnet. Dabei sind wir von einem Gewinn von 55 Mio. Jahre 2005 und dann einem jährlichen Gewinnwachstum von 5 % ausgegangen. Wir gehen davon aus, dass Sie ca. 70% Ihres operativen Cash Flows reinvestieren. Das ist etwas mehr als 2004, liegt aber unter dem langjährigen Durchschnitt. Was halten Sie von unseren Annahmen?
Dr. Fuhrmann: Intensive Kommentierung dessen ist mir nicht gestattet, wie Sie wissen. Ihre Ertragsprognose halte ich aus heutiger Sicht für recht konservativ.
Frage: Bei einem Marktwert von 900 Mio. € und einer Hochrechnung auf das Gesamtjahr durch würde sich rechnerisch ein KGV von 6,2 ergeben. Ist dies angemessen?
Dr. Fuhrmann: Das muss der Markt entscheiden und nicht der Vorstand.
Frage: Welche Perspektiven können Sie Privatanlegern für die Salzgitter-Aktie aufzeigen?
Dr. Fuhrmann: Die old economy – das war ja seinerzeit diskriminierend gemeint (!) – hat überwiegend gehalten, was der Neue Markt versprach. Die Salzgitter AG ist stolz darauf, Bestandteil der old economy zu sein. Das bedeutet in der Regel zwar keine Gewinn- und Kursexplosionen wie wir sie 2004 erleben konnten, aber nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes auf seriöse Weise.
Auf gute Investments,
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
www.privatinvestor.de
Alle Kolumnen erhalten Sie ganz bequem im Newsletter boerse.de-Aktien-Ausblick, Deutschlands großem Börsen-Newsletter mit mehr als 100.000 Lesern. Hier kostenfrei anfordern ...