Ein Unternehmen kann ich prinzipiell auf zweierlei Weise bewerten: aufgrund seiner Vermögensgegenstände abzüglich Schulden (wobei diese Vermögensgegenstände durch die Bilanz manchmal richtig, oft aber auch falsch dargestellt werden) oder aufgrund seiner Ertragskraft. Zusammengefasst handelt es sich bei Value Investing darum, im entweder den Substanzwert zu ermitteln und zu schauen, ob der Börsenwert deutlich darunter liegt oder das selbe mit dem Ertragswert durchzuführen.
Growth und Value: kein Widerspruch
Value-Investing ist immer dann gegeben, wenn der Börsenwert des Unternehmens unter dem wie auch immer ermittelten ökonomischen Wert liegt. Sie kennen meine Präferenz für die Ertragswertmethode. Unternehmen mit stabilen Erträgen sind wesentlich leichter zu bewerten. Schwierig ist aus meiner Sicht zum einen die Bewertung der Substanz (hierzu muss man schon fast Wirtschaftsprüfer sein und Detektivarbeit bei den Bilanzen leisten. Wenn man richtig gelegen hat, hat man die Chance auf einmalige gute Gewinne, dann muss man sich ein anderes Unternehmen suchen.
Auch die Bewertung zukünftigen Wachstums ist schwierig, weil hier schnell Wunschdenken einfließen kann. Dieses Wunschdenken fließt im Übrigen nicht nur bei Investoren ein, sondern genauso häufig bei dem Management von Unternehmen, die sich Wachstum hinzukaufen und später feststellen müssen, dass sie damit Wert vernichten (Daimler hat dies regelmäßig gemacht).
Value Investing heißt also strenggenommen:
1. Ermittlung des Inneren Wertes mit der in dem speziellen Fall angemessenen Methode
2. Ermittlung der Börsenwerts und Vergleich mit dem wahren ökonomischen Wert
3. Kauf bei einer deutlichen Unterbewertung, Verkauf bei einer deutlichen Überbewertung
Der eigentliche Widerspruch: Value und Momentum
Der eigentliche Widerspruch bei den Investmentstilen ist derjenige zwischen Value und Momentum. Während sich der Value-Investor am wie auch immer ermittelten Inneren Wert orientiert, orientiert sich der Momentum-Investor vor allem am Trend (vielleicht führt er noch einen Qualitätscheck bei der Aktie durch). Momentum kann durch verschiedene Faktoren bestimmt werden: lang- oder kurzfristige Trends (z. B. die Charttechnik) oder auch durch die relative Stärke.
Momentum-Märkte können eine große Kraft entwickeln. In der Börseneuphorie von 1995 – 2000 schienen zum Schluss alle Gesetze des Aktienmarktes außer Kraft gesetzt zu sein. Die Aktien stiegen und stiegen – wenn Sie 1998 glaubten, dass Aktien überbewertet waren, und verkauften, verloren Sie vielleicht viel Geld.
Sie haben es andererseits bestimmt schon selber erlebt: wenn Sie fest davon überzeugt waren, dass eine Aktie nicht noch tiefer fallen kann, und deswegen kauften, brach die danach noch weiter ein… und weiter und weiter. Beispiele von Aktien, die aufgrund dieser Einbrüche und der Kraft des negativen Momentums 2002-2003 weit unter ihrem jeweiligen Inneren Wert notierten, waren z.B. MLP, Nokia und so ziemlich alle Titel des DAX.
Oder Sie waren überzeugt, dass eine Aktie viel zu teuer geworden ist und verkauften – nur um danach steigenden Kursen hinterher zu sehen. Uns ist dies im Wachstumsportfolio mit den Teilverkäufen von Salzgitter und Bijou Brigitte so gegangen. In beiden Fällen ist die fundamentale Entwicklung der Werte gut – bei Salzgitter gab es im letzten Jahr geradezu eine Gewinnexplosion. Gleichzeitig haben sich aber auch beide Aktien zu Modeaktien entwickelt, so dass zusätzlich zur sicherlich vorhandenen Erhöhung des Inneren Wertes auch das Bewertungsniveau (KGV, KCV, KUV) insgesamt gestiegen ist.
Das führt zu verschiedenen Szenarien:
1. Wenn die Märkte oder einzelne Aktien fallen, sind die Momentum-Investoren meistens auf der Verkäuferseite. Das bietet große Chancen für Value-Investing, wenngleich die Nerven in einem weiter fallenden Markt arg strapaziert werden.
2. Wenn sich die Märkte seitwärts bewegen, sind Momentum-Investoren oft unentschieden. Dies bietet große Chancen für Value-Investoren. Zudem ist es nervenschonend.
3. Wenn die Märkte guter Laune oder sogar euphorisch sind, schlägt Momentum-Investing das Value-Investing. Value Investoren müssen Geduld haben und vorübergehend schlechtere Performance als Momentum-Investoren in Kauf nehmen.
Prof. Thorsten Hens von der Universität Zürich wies nach, dass Value-Investing die einzig evolutionär stabile Strategie ist, die sich am Ende immer durchsetzt. Das ist ja auch irgendwie logisch, denn es ist die einzig logisch richtige Strategie. In einem Wachstumsmarkt wird aber eine Momentum/Wachstumsstrategie vorübergehend die Value-Strategie schlagen, da sich mit der Trendfolge mehr Geld verdienen lässt. Und da Anleger ein kurzes Gedächtnis haben, liefen den Value-Fonds 1998-2000 die Investoren in Scharen davon.
Value-Investoren verkaufen in steigenden Märkten tendenziell zu früh, Sie kaufen in fallenden Märkten vielleicht zu früh. Das ist in Ordnung, denn zum Tiefpunkt kaufen nur Lügner, zum Hochpunkt verkaufen diese Leute dann wieder. Leider ist die Finanzbranche voll von Lügnern.
Ich meine, Sie sollten konsequent beim Value-Investing bleiben, auch wenn derzeit wieder vereinzelte Anzeichen von Euphorie aufkommen.
Auf gute Investments,
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
www.privatinvestor.de