Sehr geehrte Privatanleger,
ich komme noch einmal auf das Thema „Growth und Value“ zurück. Von vielen
Anlegern werden diese Strategien immer noch als Widerspruch angesehen.
„Value“ sind nach dieser Auffassung „billige“ Unternehmen, zum Beispiel
gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis oder am Kurs-Buchwert-Verhältnis.
„Growth“ sind eben „teure“ Unternehmen.
In dieser einfachen Form ist dies falsch. Wenn ich ein Unternehmen, welches
in den nächsten 10 Jahren sicher mit 20% p. a. wächst, für ein KGV von 20
einkaufen kann, ist das ein besserer Value-Deal, als wenn ich ein
Unternehmen, das nicht wächst, für ein KGV von 12 einkaufe. Das Problem
liegt darin, dass man als Aktienanleger konservativ denken sollte, um
Verluste zu begrenzen, und dass sich Wachstumsraten der Zukunft nur sehr
schwer schätzen lassen.
Auf der Value-Konferenz der Bayerischen Landesbank am 26. und 27. Juli in
Müchen, trug mein Kollege Prof. Dr. Thorsten Hens von der Universität Zürich
zum Thema „Evolutionary Finance“ vor. Die Grundidee: welche Anlagestrategie
setzt sich durch, wenn verschiedene Strategien in Wettstreit treten? Hens
hat das Thema in mehreren hochtheoretischen Aufsätzen behandelt. Vor seiner
Arbeit habe ich großen Respekt, wenngleich ich mich persönlich lieber auf
die Analyse konkreter Aktien und Branchen konzentriere – das macht ja leider
kaum ein Kollege.
Das Ergebnis der Arbeiten von Prof. Hens ist so einleuchtend wie
verblüffend: Value-Strategien sind die einzigen evolutionär stabilen
Strategien. Wenn alle Teilnehmer am Markt sich an Value-Strategien
orientieren, gibt es für keinen einzigen Teilnehmer einen Anreiz, andere
Strategien zu fahren. Letztlich ist das logisch: der Wert einer Aktie
bestimmt sich langfristig IMMER nach dem Inneren Wert dieses Unternehmens,
also kann auch nur eine Strategie der Inneren Werte richtig sein.
Allerdings: ist der Markt gespalten und „spielt“ ein großer Teil der Anleger
„Growth“, dann schlägt für einen gewissen Zeitraum die Growth-Strategie die
Value-Strategie, bis der Markt zusammenbricht.
Auch dieses Phänomen konnten wir von 1996-2000 beobachten: viele ungeduldige
Anleger zogen Gelder von Value-Fonds ab, weil sie in Technologie- und
Wachstumsaktien investieren wollten.
Ein solcher Markt ist das letztlich der klassische Momentum-Markt: immer
mehr zittriges Geld fließt in den Markt und treibt die Kurse hoch, bis die
ersten abspringen und sich der Trend dann umkehrt. Auch heute stehen wir an
der Grenze zu einem Momentum-Markt. Noch sind die meisten Werte fair
bewertet (wenngleich gerade Wachstumsunternehmen aufgrund der niedrigen
Zinsen schon sehr teuer sind). Wir beobachten aber, dass viele Anleger, die
dem Markt von 2002-2004 den Rücken gekehrt haben, nun zurückkehren. Das ist
kein gutes Zeichen!
Allerdings kann weder ich noch ein anderer seriöser Analyst Ihnen sagen, ob
es einen Momentum-Markt geben wird und wie lange die Phase anhalten wird, in
welcher die Growth- bzw. Momentum-Strategie dominieren könnte. Mit einiger
Wahrscheinlichkeit wird dies nicht so lange wie vor dem Jahr 2000 dauern.
Bei deutschen Großunternehmen ist mittelfristig auch noch weiteres
fundamentales Wertsteigerungspotential drin: deutsche Großunternehmen haben
meistens noch bei weitem nicht die Umsatz- und Eigenkapitalrenditen wie ihre
amerikanischen Gegenparts. Durch die Globalisierung könnten diese
Unternehmen noch einige Jahre zu den Gewinnern gehören.
Bei den deutschen Mid-Caps, die wir noch vor einem Jahr empfohlen haben,
sind die Preise mittlerweile doch sehr saftig: Techem hat sich im Lauf eines
Jahres fast verdoppelt, CTS Eventim ist um das 2,6fache gestiegen und Hans
Einhell hat sich ebenfalls verdoppelt.
Die KGVs von ca. 10 (Hans Einhell), 20 (Techem) und 40 (CTS Eventim) geben
die Qualität der einzelnen Franchises und Potentiale in etwa wieder.
Schiefgehen darf aber bei der weiteren Entwicklung nichts. Value-Investoren
bevorzugen auf jeden Fall eine Sicherheitsmarge und lassen sich nicht von
der aufkommenden Euphorie hinreißen.
Erfolgreiche Investments wünscht Ihnen
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
www.privatinvestor.de