Sehr geehrte Privatanleger,
Den Großteil meiner Zeit verbringe ich damit, interessante Aktien zu
analysieren. Hauptversammlungsauftritte überlasse ich normalerweise den
entsprechenden Schutzvereinigungen. Am Mittwoch besuchte ich allerdings die
Hauptversammlung der freenet.de AG. Auf meinen Antrag reagierte der
freenet-Vorstandsvorsitzende Eckhard Spoerr äußerst gereizt und nervös und
schreckte auch vor heftigster Polemik und persönlichen Angriffen gegen mich
nicht zurück.
Ich beantragte, das Debitorenmanagement der freenet.de AG, insbesondere die
Behandlung der von der mobilcom AG übernommenen Altforderungen durch einen
Sonderprüfer untersuchen zu lassen und die Entlastung des Vorstands solange
zu vertagen.
Grund waren vielfältige Klagen von freenet-Kunden über die rabiaten
Abrechnungs- und Inkassomethoden der freenet.de AG, die mir im Vorfeld zu
Ohren gekommen waren. Was vom freenet-Vorstand als „Einzelfälle“ bezeichnet
wurde, stellte sich mir als systematische Methode dar. Schnell wandern
Forderungen zu Inkassobüros oder Rechtsanwaltskanzleien. Sachbearbeiter von
freenet sind am Telefon fast nicht erreichbar. Daher überlegte ich: was
könnte hinter einem derartig kundenunfreundlichen Verhalten stecken?
Im Jahr 2003 stieg die Aktie der freenet.de AG um insgesamt 1118%. Freenet
wirbt im aktuellen Quartalsbericht mit einem Umsatzplus von 792% und einer
Steigerung des Konzerngewinns von 1442%. Grund war vor allem die Übernahme
des Festnetzgeschäfts von der Muttergesellschaft mobilcom AG. An der
Transaktion hatten alle Interesse – die Banken, mobilcom und freenet. Mit
dem Verkauf konnte bei der „unbelasteten“ freenet eine neue Börsenstory
aufgebaut werden. Mobilcom konnte 20% der stark gestiegenen freenet-Aktien
an der Börse platzieren und sich so entschulden.
Dieses Jahr hat der freenet-Vorstand ca. 5,5 Mio. € verdient. In den Jahren
2002 und 2003 – als die Übernahme des Festnetzgeschäfts der freenet.de AG
höchstwahrscheinlich schon bekannt war – wurden an die beiden
freenet-Vorstände Eckhard Spoerr und Axel Krieger 219.000 Aktienoptionen zu
einem durchschnittlichen Bezugspreis von 9,6 € ausgegeben. Freenet verstößt
damit aus meiner Sicht massiv gegen den Corporate Governance Kodex, der eine
„Deckelung“ von Optionen bei außergewöhnlichen Ereignissen vorsieht. Die
Vorstandsoptionen haben insgesamt einen Wert von ca. 13,6 Mio. €. Bereits
2004 und 2005 können massive Positionen eingelöst werden.
Ich befürchte, dass der freenet-Vorstand ein zu großes Interesse an
kurzfristigen Erfolgen und Gewinnsteigerungen hat. Das könnte aber dem
Unternehmen langfristig schaden. Das durch viele Fälle belegte rabiate
Debitorenmanagement stützt meine Befürchtungen. Unzufriedene Kunden sind
Negativbotschafter für ein Unternehmen. Erst in der Zukunft ist absehbar, ob
und in welcher Höhe ein Schaden für freenet.de entsteht.
In der Telekommunikationsbranche kann man schnell viel Erfolg haben. Genauso
schnell kann er auch wieder zunichte sein. Mehr als zehn Jahre lang galt
Bernie Ebbers, Ex-Chef von Worldcom, als Genie. Durch immer neue
Akquisitionen schaffte er es, den Kurs der Aktie in immer neue Höhe zu
treiben. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Worldcom musste Insolvenz
anmelden.
Freenet ist keine worldcom und Spoerr kein Ebbers. In einigen Aspekten
eifert CEO Eckhard Spoerr aber meiner Ansicht nach Bernie Ebbers durchaus
nach. Vor wenigen Tagen spekulierte er öffentlich darüber, dass AOL
Deutschland gut zu freenet passen würde- Das ist eine im Prinzip sinnlose
Spekulation, denn AOL hat an einem Zusammengehen keinerlei Interesse. Sie
kann also aus meiner Sicht nur den Grund gehabt haben, durch weitere Zukäufe
und Aktivitäten von der Gegenwart abzulenken.
Mit einer harten Debatte auf der Hauptversammlung hatte ich gerechnet. Auf
die Heftigkeit und vor allem die verletzende persönliche Natur der Angriffe
war ich nicht vorbereitet. Man beschuldigte mich abwechselnd, den Antrag nur
aus Geltungsbedürfnis gestellt zu haben, man zweifelte meine Professur an
und bezeichnete mich als „Hauptversammlungs-Hopper“ (dabei ist dies erst die
zweite Hauptversammlung, auf der ich überhaupt einen Antrag stelle). In der
Sache wurde ein offensichtlicher Schreibfehler in meinem Antrag endlos
diskutiert, obwohl ich den Fehler richtiggestellt hatte. Zum Kern der
Sache – dem Debitorenmanagement – wurde wenig gesagt. Nicht beantwortet
wurde auch meine Frage, wieviel Strafanzeigen aufgrund des
Debitorenmanagements gegen freenet.de vorliegen.
Freenet CEO Eckhard Spoerr schreckte auch davor nicht zurück, mich als
geschäftlich unseriös darzustellen. Dazu folgendes: einige von Ihnen, meine
sehr geehrten Leser, werden sich noch an die IFVA GmbH erinnern, die das
Finanzportal www.investor-vill...de betrieb. (Vertragliche Verpflichtungen
hindern mich, den vollen Namen zu nennen.) Die IFVA GmbH war ein joint
venture zwischen mir und der freenet.de AG, an welchem die freenet.de 75%
hielt. Als freenet keine Anschlußfinanzierung leistete, wurde mir vom
freenet-Vorstand empfohlen, einen Insolvenzanwalt zu kontaktieren.
Ich kam dem selbstverständlich nach. Gemeinsam mit der Insolvenzverwalterin
bemühte ich mich um eine Fortführung des Geschäftsbetriebs und hatte Erfolg:
das Unternehmen konnte gerettet und in zwei neuen Gesellschaften, u.a.
meiner heutigen IFVE GmbH, fortgeführt werden. Keiner der vielen hundert
Kunden kam im Jahr 2002 zu Schaden oder mußte eine Unterbrechung seines
Service hinnehmen. Der freenet-Vorstand hingegen hatte Sie, meine Kunden,
einfach abgeschrieben. Stattdessen investierte er in die nach meinen
Informationen stark defizitäre aktiencheck.de AG, bei der zwischenzeitlich
sogar eine Kapitalerhöhung notwendig war.
Damit nicht genug. Spoerr reichte im Sommer 2002 vertreten durch seinen
Finanzvorstand über die freenet Internet Beteiligungs GmbH eine Klage gegen
mich ein. Freenet forderte Geld von mir und machte die Verletzung eines
Wettbewerbsverbots geltend. Derartig rauhe Sitten scheinen bei freenet.de
üblich zu sein: mit vielen Anwaltsschreiben und einstweiligen Verfügungen
geht freenet.de gegen die Kritiker vor. Nachdem die Klage vom Landgericht
Köln abgewiesen worden war, hatte CEO Spoerr immer noch nicht genug. freenet
ging in Revision. Das Oberlandesgericht Köln wies die Revisionsklage
endgültig ab. Spoerr, gelang es nicht, meinen Name zu beschädigen.
Zurück zur Hauptversammlung. Ich hatte dafür plädiert, dass der Vorstand
seine Optionen noch bis zum Jahr 2007 ruhen lässt. Dann lässt sich eher
absehen, ob die Festnetzübernahme ein Erfolg war. Ich kann Ihnen noch nicht
sagen, ob die Story weitergehen oder ob der Aktienkurs der freenet.de
zusammenbrechen wird. Das kann nur die Zukunft zeigen. Die Vorfälle auf der
Hauptversammlung sind aber kein gutes Zeichen.
Abraham Lincoln sagte: „Sie können einige Leute die ganze Zeit täuschen, und
alle Leute eine kurze. Sie können aber nie alle Leute die ganze Zeit
täuschen.“ Am Ende kommt auf jeden Fall die Wahrheit heraus.
Ach ja - mein Antrag wurde abgelehnt. Ich werde für Sie am Ball bleiben.
Erfolgreiche Investments wünscht Ihnen
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
www.privatinvestor.de