Interview mit Bruce Greenwald

Freitag, 19.11.04 11:54

Prof. Dr. Bruce Greenwald ist Inhaber des Graham and Dodd Lehrstuhls an der Columbia University und der führende akademische Experte für Value-Investing in den Vereinigten Staaten. Fondsmanager zahlen zweitausend Dollar pro Tag, um in seinen Seminaren das Value-Investing zu lernen. Im Gespräch mit Prof. Dr. Max Otte am 12.11.2004 äußert er sich über seine Philosophie des Value-Investing.

Max Otte: Professor Greenwald, was hat Ihr Interesse am Value-Investing geweckt?

Bruce Greenwald: Es war ein echter Zufall. Ich war vorher an der Harvard University, und wollte wieder vielleicht dahin zurückkehren. Daraufhin bot mir mein Dekan einen „großen“ Lehrstuhl an, um mich zu halten. Zusätzlich wollte er mich dabei unterstützen, meine Tochter in einem Top-Kindergarten unterzubringen. (Anm. Max Otte: Das ist in New York extrem schwierig.) Ich sagte, dass er das mit dem Lehrstuhl vergessen sollte, wenn er es nur mit dem Kindergarten schafft. Es kam genau anders herum: auch mein Dekan konnte meiner Tochter nicht den gewünschten Kindergarten besorgen, dafür bekam ich den Lehrstuhl.

Ich bin studierter Ökonom. Als solcher wird man ja darin indoktriniert, an effiziente Märkte und damit eben nicht an das Value Investing zu glauben. Als ich den Lehrstuhl angeboten bekam, ging ich zu einigen Vorlesungen des Vorgängers. Seitdem bin ich vom Value-Investing fasziniert. Wenn intelligente Menschen die Macht, die Möglichkeiten und das Potenzial des Value Investing sehen, ist es fast unvermeidlich, dass sie davon überzeugt werden.

Max Otte: In Ihrem Buch schreiben Sie über drei Ansätze des Value Investing: „Basic Value“, „Value of the Franchise / Earnings Power“ und „Value of Growth“.

Bruce Greenwald: Es sind nicht wirklich drei unterschiedliche Ansätze. Value Investing ist vielmehr ein Prozess, in dem man alle drei Methoden angemessen einsetzt.

Sie fangen damit an, mit einem disziplinierten Prozess nach „Schnäppchen“ zu suchen. Es ist kein Zufall, gute Aktien zu finden. Wenn Sie meinen, dass Sie ein Schnäppchen gefunden haben, sollten Sie sich jedes Mal fragen, warum Gott so gnädig gewesen ist und ausgerechnet Ihnen diese Möglichkeit offenbart hat. Und auf diese Frage sollten Sie besser eine Antwort haben.

Wenn Sie eine Aktie verkaufen, muss ein anderer Investor diese kaufen. Einer von beiden liegt falsch – jedes Mal. Deswegen müssen Sie immer darüber nachdenken, ob und warum Sie auf der richtigen Seite stehen. Und deswegen müssen Sie mit einer systematischen Suchstrategie starten, und eben nicht mit dem Zufall.

Im Markt existieren psychologische Verzerrungen. Aktien, die nicht in Mode sind, fallen noch weiter im Kurs, und Aktien, die in Mode sind, will jeder haben. Vielleicht bietet zum Beispiel die Schwerindustrie in Deutschland eine Möglichkeit für einen Einstieg. Derzeit scheint sie nicht viel Freunde zu haben.

Coca-Cola ist um 40% gefallen und bekommt derzeit viel schlechte Publicity. Viele Leute haben vielleicht automatisch verkauft, und es sind derzeit nicht viele enthusiastische Käufer da draußen. Man wäre nicht überrascht, wenn Coca Cola eine Value-Gelegenheit wäre.

Jetzt haben Sie also einen Kandidaten. Im zweiten Schritt müssen Sie wissen, was Sie wofür bezahlen. Sie benötigen eine Bewertungsmethode, um das Unternehmen zu bewerten. Und da fangen Sie zunächst, wie auch Ben Graham, mit den Vermögensgegenständen des Unternehmens an.

Max Otte: Ist der Buchwert heutzutage noch eine Orientierungsgröße? Viele unserer Leser fragen, ob man angesichts der erheblichen Manipulationen in der Buchführung damit überhaupt noch rechnen kann.

Bruce Greenwald: Auch heute noch ist der Buchwert eine hervorragende Orientierungsgröße. Wenn Sie einfach die Unternehmen mit dem geringsten Markt- zu Buchwert nehmen, würden Sie den Markt je nach Branche und Land um 3-5% schlagen. Das schafft kaum ein Fondsmanager.

Bernstein, eine tolle Value-Investing-Firma, benutzt sehr komplizierte Modelle und schlägt den Markt um 3%. Die Firma hat dann ihren eigenen Return an einfachen Markt- zu Buchwert-Modellen gemessen und festgestellt, dass die einfachen Modelle den Markt sogar um 3,9% schlagen.

Markt- zu Buchwert ist also eine sehr gute Suchstrategie für den Beginn des Prozesses. Es ist aber nur der Startpunkt für das Value Investing. Wenn es mit mechanischen Strategien getan wäre, könnte ein Computer die Arbeit machen. Sie würden keinen Analysten benötigen. Sie müssen also effektiv Wissen hinzufügen, wenn Value Investing Sinn machen soll.

Sie machen mit der Bilanz weiter und überlegen, ob die Vermögensgegenstände korrekt wiedergegeben worden sind.

Max Otte: Das ist aber nicht etwas, was der gewöhnliche Investor machen kann.

Bruce Greenwald: Lassen Sie mich ehrlich sein – Sie haben recht. Wenn Sie feststellen, wie schwierig das ist, dann überlassen Sie es besser einem professionellen Investor. Sie können aber herausfinden, ob dieser professionelle Investor nach den Prinzipien des Value Investing vorgeht. Solche Manager sollten Sie wählen.

Wenn die Branche schrumpft, nehmen Sie den Liquidationswert. Wenn die Branche stabil ist, wollen Sie wissen, was es kosten würde, das Geschäft neu wieder aufzubauen.

Wie Sie sehen, ist es eine sehr schwierige Sache. Und daher sind wirklich gute Value Investoren normalerweise auch nur in wenigen Branche Experten. Im Fall von Warren Buffett sind dies kurzlebige Konsumgüter und Markenartikel, Medien und Versicherungen.

Nehmen Sie Coca Cola. Das Unternehmen hat einen Marktwert von 100 Milliarden, aber der Buchwert ist nur 10 Milliarden. Im Falle von Coca Cola kaufen Sie also nicht den Buchwert, sondern das Einkommen.

Den jetzigen Jahresgewinn kennen Sie. Diesen sollten Sie um außergewöhnliche Einflüsse bereinigen. Dann bleiben derzeit ca. 5-7 Milliarden Dollar übrig. Dies müssen Sie nur noch in einen Unternehmenswert umrechnen.

Dazu müssen Sie wiederum wissen, welche Rendite Sie von einem Investment wie Coca Cola erwarten, derzeit vielleicht 9%. Jetzt nehmen Sie 1/0,09 * 5,5 = 60 (Formel für die Bewertung eines ewigen Einkommensstroms von 5,5 Mrd. bei 9% Diskontierungszinssatz). Damit haben Sie einen Wert auf Basis des jetzigen Einkommens von ca. 60 Milliarden. Das ist immer noch weniger als der Marktwert. Selbst zu diesem Zeitpunkt versuchen also viele Investoren, eine Scheibe vom Kuchen abzubekommen, weil das Geschäft unglaublich lukrativ ist. Wenn es so einfach wäre, könnten Sie einfach 10 Mrd. investieren und 60 Mrd. Wert durch Einkommen schaffen. Da es nicht so einfach ist, gibt es immer noch eine hohe Nachfrage für die Cola-Aktie.

Jetzt müssen Sie sich fragen, ob das Franchise nachhaltig ist. Hier muss der Analyst ein Urteil fällen.

Eine andere Möglichkeit: wenn die Vermögensgegenstände des Unternehmens 8 Mrd. Wert sind, der Wert des Einkommens aber nur 4 Mrd., dann vernichtet das Management Unternehmenswert. Die Frage hier ist: kann das Management besser werden?

Normalerweise sollte aber der Wert der Vermögensgegenstände und der Wert der Gewinne ungefähr gleich sein, wenn es keine Eintrittsbarrieren gibt. Wie Sie sehen, sollten Sie die verschiedenen Ansätze gleichzeitig verwenden, um mehrere Perspektiven zu erhalten.

Was wir noch nicht behandelt haben, ist der Wert des Wachstums. Und das ist extrem schwierig. Aber Earnings Power und Basic Value zeigen Ihnen fast alles, was Sie benötigen.

Wenn z. B. der Wert der Earnings geringer ist als der Wert der Vermögensgegenstände, wird Wachstum Wert vernichten. Wachstum hätte also einen negativen Wert. Sie bekommen weniger heraus, als sie reinstecken.

Wenn beide gleich hoch sind, und es keine Eintrittsbarrieren gibt, kennen Sie den Wert des Unternehmens. Sie kennen ebenso den Wert des Wachstums: der ist Null. Wenn Sie mehr investieren, bekommen Sie gerade ihre Kapitalkosten heraus. Damit wird kein zusätzlicher Wert geschaffen.

Nur im dritten Fall, z. B. bei Coca Cola, hat Wachstum einen Wert. Hier sollten Sie sehr konservative Annahmen machen. Sie können die Kurssteigerung der Aktie und das Einkommen von Coca Cola auf relativ einfache Weise einschätzen.

Gestern hat Coca Cola bekannt gegeben, dass die Prognose für die langfristige Wachstumsrate von 5-6% auf 3-4% gesenkt wird. Also haben Sie vielleicht ein Volumenwachstum von 4%. Coca Cola hat Preismacht. Wenn also die Globale Inflation 1-2% ist, kann Coca Cola dies an seine Kunden weitergeben, oder sogar die Preise um 3% p.a. anheben. Das wäre schon eine Rendite von 7%.

Zudem kostet es nicht viel, das Wachstum des Unternehmens zu finanzieren. Wenn das Unternehmen 5% auf dem Marktwert (ca. 5 Mrd. auf 100 Mrd.) erwirtschaftet, kann es wahrscheinlich 4% als Dividenden ausschütten.

Jetzt haben Sie 4% Volumenwachstum, 3% Preisanstieg und 4% in Form von Dividenden – insgesamt also immerhin 11%. Im Aktienmarkt insgesamt haben Sie vielleicht eine Dividendenrendite von 2%. Die Gewinne des Aktienmarktes insgesamt steigen mit dem Welt-Bruttosozialprodukt, also um ca. 4,5% - 5%. Der Aktienmarkt insgesamt bringt Ihnen also 6,5% - 7%.

Wenn Sie also auf diese Weise nach allen drei Methoden den Wert von Coca Cola bewerten, kommen Sie zu dem Schluss, dass Coca Cola Ihnen wahrscheinlich überdurchschnittliche Renditen erwirtschaften wird.

Max Otte: In perfekten Märkten müsste man sich natürlich fragen, wie das der Fall sein kann.

Bruce Greenwald: Genau. Wenn Sie sich das jetzige Umfeld anschauen, werden Sie feststellen, dass alle Geschichten ziemlich negativ sind. Und das ist genau das psychologische Umfeld, in dem Sie suchen. Investoren werden da leicht entmutigt und werden vielleicht eine Aktie eher verkaufen. Aber Sie sehen, wenn Sie alle Stücke des Puzzles zusammenfügen, können Sie mit einer relativ großen Gewissheit sagen, dass die Aktie unterbewertet ist.

Max Otte: Lassen Sie mich versuchen, einen sehr speziellen Kommentar von Ihnen zu bekommen. Eine meiner Branchen ist das Internet, und ich habe dort viele Unternehmen kommen und gehen sehen. Seit Jahren habe ich unseren Lesern eBay empfohlen, weil es nach meiner Ansicht das mächtigste Franchise der Wert darstellt.

Bruce Greenwald: Sie haben recht, dass es ein ungewöhnlich mächtiges Franchise ist. Der beste Beweis dafür ist die Tatsache, dass in Japan Yahoo! den Auktionsmarkt dominiert und dass eBay keine Chance hat, da reinzukommen.

Das Problem ist, dass der jetzige Cash Return (Gewinne pro Marktwert) ungefähr 1% beträgt. Wir wissen nicht, wie schnell eBay wachsen wird, weil wir wenig historische Daten haben. Coca hat 4%.

Das Wachstum von eBay könnte 15% betragen, oder es könnte schnell zu Ende sein, weil Auktionsmärkte sehr spezielle Märkte sind. Das Wachstum könnte auch 5-6% sein. Wenn das Wachstum nur 5-6% betragen würde, dann bekämen Sie insgesamt nur die 6-7% durchschnittliche Marktrendite.

eBay ist für mich in der Kategorie „zu schwer zu bewerten“! eBay hat niemals jemanden enttäuscht. Der Aktienwert ist immer weiter gestiegen. Damit erscheint es für viele Leute immer noch als eine attraktive Möglichkeit, reich zu werden. Wir wissen aus vielen Studien, dass die Leute für Lotterietickets systematisch mehr bezahlen, als diese Wert sind.

Max Otte: Wie ermitteln Sie die Kapitalkosten?

Bruce Greenwald: Es gibt zwei Möglichkeiten. Eine wäre Eins geteilt durch das KGV des Aktienmarktes (22 in den USA, also 4,5%). Sie würden dann dazu die Inflation addieren, also z.B. 2%. Damit lägen Sie bei 6,5%.

Alternativ können Sie die Dividendenrendite (derzeit durchschnittlich 1,8% in den USA) und das langfristige Wachstum addieren (4,7%). Das wären auch 6,5%. Dies sind dann auch die durchschnittlichen Renditeerwartungen. Wenn Sie allerdings mit Investoren sprechen, werden Sie von fast allen hören, dass sie erwarten, 10-12% zu machen. Ich würde mit einem Diskontsatz von 8% rechnen.

Max Otte: Wie beurteilen Sie die Tatsache dass amerikanische Unternehmen systematisch höher bewertet sind als deutsche Unternehmen?

Bruce Greenwald: Deutschland hat systematisch enttäuscht – man denkt, dass es zu industrielastig ist, dass der Euro ein Nachteil ist und dass das Land unfähig zu Reformen ist. Irgendwann sollten Value Investoren davon profitieren.

Max Otte: Gemessen am Basic Value sind deutsche Großunternehmen billig, aber nicht gemessen am Earnings Power, da diese Unternehmen oft nicht viel verdienen.

Bruce Greenwald: Dennoch muss sich irgendwann der Basic Value durchsetzen, da die Vermögensgegenstände nicht ersetzt werden. Die Industrie wandert vielleicht in andere Länder ab, aber Deutschland wird sicher weiter große Dienstleistungsunternehmen haben. Ich habe Deutschland nicht im Detail analysiert, aber eine sorgfältige Value-Analyse würde vielleicht zeigen, dass es viele Schnäppchen gibt.

Max Otte: Der DAX fiel von 8000 im Jahr 2000 auf 2200 im Jahr 2003 und steht jetzt bei 4100. Verhält sich so ein normaler, großer Index?

Bruce Greenwald: Lassen Sie mich das korrigieren. Wahrscheinlich hätten Sie unter 3000 schauen sollen. Jetzt ist langsam wieder das Interesse der Investoren geweckt, es könnte also schon zu spät sein. Auf jeden Fall sollten Sie jetzt vorsichtiger sein.

Max Otte: Prof. Greenwald, thank you very much for your insights.

Bruce Greenwald: Max, you’re doing god’s work, but watch out for eBay.

Erfolgreiche Investments wünscht Ihnen

Ihr
Prof. Dr. Max Otte

www.privatinvestor.de

Den Titel als Dipl.-Volksw. erhielt Max Otte 1989 durch den erfolgreichen Abschluss des Studiums an der Universität Köln. 1991 erlangte er den Titel Master of Arts in Public Affairs an der...

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