Sehr geehrte Privatanleger,
am Mittwoch nahm ich am Symposium „Fair Valuations – modere Grundsätze zur
Durchführung von Unternehmensbewertungen“ teil, das von der
Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V. (SdK), dem Center for Financial
Studies und der Zeitung „Die Aktiengesellschaft“ in Frankfurt veranstaltet
wurde. Es ging ausschließlich um ein einziges Problem: wie sollten die
Kapitalkosten bei der Bewertung eines Unternehmens richtig ermittelt werden.
Neben Prof. Ekkehard Wenger (Universität Würzburg), Prof. Richard Stehle
(Humboldt-Universität Berlin) referierten Prof. Claudio Loderer (Universität
Bern) und Privatdozent Dr. Olaf Erhard (Universität Witten / Herdecke). Für
eine solch spezielles Thema war der Raum mit 200 Teilnehmern brechend voll.
Zwar war alles in dunkles Zwirn gekleidet, aber man hatte fast das Gefühl
einer Aufbruchstimmung wie 1968 beizuwohnen.
Bei genauerem Hinsehen ist dies nicht verwunderlich: der Wert eines
Unternehmens berechnet sich aus den zukünftigen freien Cash Flows, die das
Unternehmen generiert. Diese werden mit einem Zinssatz (eben den
Kapitalkosten) abgezinst. Liegt man bei der Wachstumsrate und bei dem
Zinssatz auch nur jeweils um ein Prozent daneben, kann der errechnete Wert
des Unternehmens um bis zu 300% schwanken. Mit diesem Problem hat jeder zu
kämpfen, der Unternehmen auf fundamentaler Basis bewerten will.
Hintergrund der Konferenz waren vor allem die Squeeze-Out-Regelungen des
neuen Aktiengesetzes, die es einem Mehrheitsaktionär erlauben, die
Minderheitsaktionäre gegen eine angemessene Abfindung aus dem Unternehmen zu
drängen, wenn diese 5% oder weniger am Unternehmen halten. Diese Abfindung
wird durch ein Wirtschaftsprüfergutachten ermittelt. Je höher der angesetzte
Abzinsungsfaktor für die zukunftigen Erträge angesetzt wird, desto niedriger
ist der ermittelte Unternehmenswert.
Es ist natürlich im Interesse der Mehrheitsaktionäre, der Heuschrecken und
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die diesen Heuschrecken dienen, einen
möglichst HOHEN Risikozuschlag zu wählen, um die Abfindung möglichst gering
zu halten.
Prof. Ekkehard Wenger, den ich auf einer Konferenz in Tokio im Jahr 1988
kennen und schätzen gelernt habe – ich war damals noch Diplomand – gab
pointiert zum Ausdruck, dass er aufgrund der Datenlage nicht nachvollziehen
könne, warum Aktien mit einem Risikozuschlag von ca. 5% bewertet werden
sollten. Nach seinen Berechnungen wären ca. 1% angemessen.
Er sprach davon, dass sich die Minderheitsaktionäre in diesem Land daran
gewöhnt hätten, dass die sie betreffenden Gesetze aus einem Ministerium
kommen, dass er ein „Heuschrecken-Unterstützungsministerium“ nannte.
Müntefering und die SPD würden sich verbal wehren, in der Praxis den
Heuschrecken aber die Arbeit noch erleichtern. Privatanleger müssen sich
nach seiner Ansicht nicht nur gegen dieses Ministerium (er meint
Finanzministerium), sondern auch gegen die
Heuschrecken-Unterstützungstruppen (Wirtschaftsprüfer und den Kollegen
Stehle) wehren. Stehle hatte einen Risikozschlag von ca. 5% in einem
Gutachten an das Institut der Wirtschaftsprüfer empfohlen.
Stehle, dem der Verdienst zukommt, als erster die Renditen des DAX
theoretisch bis 1948 zurückgerechnet zu haben (den DAX in dieser Form gibt
es erst seit 1988) stützt sich bei seinem Gutachten auf historische
Jahresrenditen. Ende der achtziger Jahre hatte Stehle seine Untersuchung mit
der Bitte um Veröffentlichung an die FAZ gesandt. Dort bescheinigte man ihm,
dass die deutschen Anleger daran kein Interesse hätten. Wie sich die Zeiten
ändern können!
In der ganzen Diskussion gibt es zwei Kernfragen:
1. Sind die Jahresrenditen des Aktienmarktes statistisch unabhängig
voneinander (wie die einzelnen Runden beim Roulettespiel) oder folgen auf
gute Jahre mehr oder weniger schlechte Jahre und umgekehrt. Stehle vertritt
die Hypothese der Unabhängigkeit, Wenger ist davon überzeugt, dass sich gute
und schlechte Jahre langfristig – wenn auch nicht immer sofort –
ausgleichen. Die Aufholdjagd des DAX in den letzten Jahren nach einigen
schlechten Jahren würde eher den Standpunkt von Wenger bekräftigen.
2. Kann man Renditen der Vergangenheit anwenden oder sollte man die
gegenwärtigen Renditen zur Abszinsung anwenden? Stehle beruft sich auf die
Vergangenheit, bei der auch die internationalen Vergleich extrem hohen
Renditen der 50er Jahre einfließen, Wenger plädiert für die gegenwärtigen
Renditen.
Die Diskussion verlief heftig und emotional, wobei vor allem der kantige
Kollege Wenger immer wieder für eine harte, aber sachlich fundierte Attacke
und einen Lacher gut war.
Wie gehe ich mit dem Thema um? Ich halte mich an Warren Buffett und teile
damit im Großen und Ganzen die Position Wengers. Buffett sucht mit großer
Sorgfalt nur Qualitätsaktien aus und rechnet mit einem Risikozuschlag von 0%
zur langlaufenden Staatsanleihe. Dafür will er einen Sicherheitsabschlag vom
Inneren Wert von 30-40% haben bevor er kauft.
Mit Buffetts Methode kommen tendeziell recht hohe Unternehmenswerte heraus,
deshalb müssen Sie auch besonders viel Sorgfalt in die Auswahl von Aktien
stecken. Die Methode ist aber klar, einfach und letztlich auch sehr
erfolgreich. Deshalb ein Detail am Ende: Kollege Wenger sprach davon, dass
sein Professorengehalt mittlerweile kleiner sei als die Residualschwankungen
seines Aktienportfolios, Stehle investiert das Familienvermögen in
Lebensversicherungen. Was würden Sie machen?
Erfolgreiche Investments wünscht Ihnen
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
www.privatinvestor.de