Kapitalkosten und Heuschrecken

Freitag, 17.06.05 17:06
Sehr geehrte Privatanleger,

am Mittwoch nahm ich am Symposium „Fair Valuations – modere Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ teil, das von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V. (SdK), dem Center for Financial Studies und der Zeitung „Die Aktiengesellschaft“ in Frankfurt veranstaltet wurde. Es ging ausschließlich um ein einziges Problem: wie sollten die Kapitalkosten bei der Bewertung eines Unternehmens richtig ermittelt werden.

Neben Prof. Ekkehard Wenger (Universität Würzburg), Prof. Richard Stehle (Humboldt-Universität Berlin) referierten Prof. Claudio Loderer (Universität Bern) und Privatdozent Dr. Olaf Erhard (Universität Witten / Herdecke). Für eine solch spezielles Thema war der Raum mit 200 Teilnehmern brechend voll. Zwar war alles in dunkles Zwirn gekleidet, aber man hatte fast das Gefühl einer Aufbruchstimmung wie 1968 beizuwohnen.

Bei genauerem Hinsehen ist dies nicht verwunderlich: der Wert eines Unternehmens berechnet sich aus den zukünftigen freien Cash Flows, die das Unternehmen generiert. Diese werden mit einem Zinssatz (eben den Kapitalkosten) abgezinst. Liegt man bei der Wachstumsrate und bei dem Zinssatz auch nur jeweils um ein Prozent daneben, kann der errechnete Wert des Unternehmens um bis zu 300% schwanken. Mit diesem Problem hat jeder zu kämpfen, der Unternehmen auf fundamentaler Basis bewerten will. Hintergrund der Konferenz waren vor allem die Squeeze-Out-Regelungen des neuen Aktiengesetzes, die es einem Mehrheitsaktionär erlauben, die Minderheitsaktionäre gegen eine angemessene Abfindung aus dem Unternehmen zu drängen, wenn diese 5% oder weniger am Unternehmen halten. Diese Abfindung wird durch ein Wirtschaftsprüfergutachten ermittelt. Je höher der angesetzte Abzinsungsfaktor für die zukunftigen Erträge angesetzt wird, desto niedriger ist der ermittelte Unternehmenswert.

Es ist natürlich im Interesse der Mehrheitsaktionäre, der Heuschrecken und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die diesen Heuschrecken dienen, einen möglichst HOHEN Risikozuschlag zu wählen, um die Abfindung möglichst gering zu halten.

Prof. Ekkehard Wenger, den ich auf einer Konferenz in Tokio im Jahr 1988 kennen und schätzen gelernt habe – ich war damals noch Diplomand – gab pointiert zum Ausdruck, dass er aufgrund der Datenlage nicht nachvollziehen könne, warum Aktien mit einem Risikozuschlag von ca. 5% bewertet werden sollten. Nach seinen Berechnungen wären ca. 1% angemessen.

Er sprach davon, dass sich die Minderheitsaktionäre in diesem Land daran gewöhnt hätten, dass die sie betreffenden Gesetze aus einem Ministerium kommen, dass er ein „Heuschrecken-Unterstützungsministerium“ nannte. Müntefering und die SPD würden sich verbal wehren, in der Praxis den Heuschrecken aber die Arbeit noch erleichtern. Privatanleger müssen sich nach seiner Ansicht nicht nur gegen dieses Ministerium (er meint Finanzministerium), sondern auch gegen die Heuschrecken-Unterstützungstruppen (Wirtschaftsprüfer und den Kollegen Stehle) wehren. Stehle hatte einen Risikozschlag von ca. 5% in einem Gutachten an das Institut der Wirtschaftsprüfer empfohlen.

Stehle, dem der Verdienst zukommt, als erster die Renditen des DAX theoretisch bis 1948 zurückgerechnet zu haben (den DAX in dieser Form gibt es erst seit 1988) stützt sich bei seinem Gutachten auf historische Jahresrenditen. Ende der achtziger Jahre hatte Stehle seine Untersuchung mit der Bitte um Veröffentlichung an die FAZ gesandt. Dort bescheinigte man ihm, dass die deutschen Anleger daran kein Interesse hätten. Wie sich die Zeiten ändern können!

In der ganzen Diskussion gibt es zwei Kernfragen:

1. Sind die Jahresrenditen des Aktienmarktes statistisch unabhängig voneinander (wie die einzelnen Runden beim Roulettespiel) oder folgen auf gute Jahre mehr oder weniger schlechte Jahre und umgekehrt. Stehle vertritt die Hypothese der Unabhängigkeit, Wenger ist davon überzeugt, dass sich gute und schlechte Jahre langfristig – wenn auch nicht immer sofort – ausgleichen. Die Aufholdjagd des DAX in den letzten Jahren nach einigen schlechten Jahren würde eher den Standpunkt von Wenger bekräftigen.

2. Kann man Renditen der Vergangenheit anwenden oder sollte man die gegenwärtigen Renditen zur Abszinsung anwenden? Stehle beruft sich auf die Vergangenheit, bei der auch die internationalen Vergleich extrem hohen Renditen der 50er Jahre einfließen, Wenger plädiert für die gegenwärtigen Renditen.

Die Diskussion verlief heftig und emotional, wobei vor allem der kantige Kollege Wenger immer wieder für eine harte, aber sachlich fundierte Attacke und einen Lacher gut war.

Wie gehe ich mit dem Thema um? Ich halte mich an Warren Buffett und teile damit im Großen und Ganzen die Position Wengers. Buffett sucht mit großer Sorgfalt nur Qualitätsaktien aus und rechnet mit einem Risikozuschlag von 0% zur langlaufenden Staatsanleihe. Dafür will er einen Sicherheitsabschlag vom Inneren Wert von 30-40% haben bevor er kauft.

Mit Buffetts Methode kommen tendeziell recht hohe Unternehmenswerte heraus, deshalb müssen Sie auch besonders viel Sorgfalt in die Auswahl von Aktien stecken. Die Methode ist aber klar, einfach und letztlich auch sehr erfolgreich. Deshalb ein Detail am Ende: Kollege Wenger sprach davon, dass sein Professorengehalt mittlerweile kleiner sei als die Residualschwankungen seines Aktienportfolios, Stehle investiert das Familienvermögen in Lebensversicherungen. Was würden Sie machen? Erfolgreiche Investments wünscht Ihnen

Ihr

Prof. Dr. Max Otte

www.privatinvestor.de

Den Titel als Dipl.-Volksw. erhielt Max Otte 1989 durch den erfolgreichen Abschluss des Studiums an der Universität Köln. 1991 erlangte er den Titel Master of Arts in Public Affairs an der...


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