Konjunktur und Börsen (2) - Die Einflüsse von Geldpolitik und Realwirtschaft vermischen sich

Montag, 24.02.14 14:56
Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

zum ersten Mal seit Jahren hat sich die Fragestellung der Anleger verändert: Auf der Deutschen Anlegermesse am vergangenen Wochenende kam kein einziger Besucher mit dem früher üblichen „Wohin geht der Dax?“ auf mich zu. Die Frage lautete allenfalls „Wie geht es denn weiter?“ Doch, ein Unterschied! Die ungezählten Gespräche in „Mainhattan“ haben mir nämlich gezeigt, dass selbst fortgeschrittene Privatanleger mit der Beurteilung und Gewichtung der verschiedenen Börsenfaktoren überfordert sind (Gilt das nicht auch für die Experten?). Und das genau in der aktuellen Phase, die bisher zwar alles andere als dramatisch verläuft, aber wie ein unentschiedenes Spiel der Kräfte aussieht. Das gab mir die Gelegenheit, die Zuhörer mit meiner neuen, provozierenden Lieblingsthese zu konfrontieren: Für den Privatanleger ist das Wann wichtiger als das Warum. Das heißt, ich empfehle eine weitgehende Fokussierung auf Kurstrends und ihre Veränderungen, statt Zeit und Energie mit dem wenig erfolgversprechenden Versuch zu verschwenden, die Gründe der aktuellen Tendenzen zu verstehen. Interessant, dass sich dazu an beiden Messetagen kein Widerspruch regte.

Die Analysen und Vorhersagen prominenter Strategen der vergangenen Tage bestätigen, dass es bei der Einschätzung der Inflations- und Zinsentwicklung sowie der Aktienkurse nicht mehr um einen Ansatz geht. Was meine ich damit? Bis vor einigen Monaten war die Geldpolitik der Notenbanken dominierend; sie war die einzige starke Treibkraft für die Finanzmärkte. Mit den ersten deutlichen Signalen für einen allmählichen, behutsamen Richtungswechsel der Federal Reserve rückten auch die fundamentalen Entwicklungen wieder ins Blickfeld. Und jetzt lässt sich so etwas wie eine totale Vermischung dieser Elemente feststellen. So grübeln die Vordenker seit Jahresbeginn nicht nur darüber, wie sich die Weltwirtschaft unter dem Einfluss der monetären Kräfte und der politischen Initiativen entfaltet, sondern grübeln umgekehrt auch über den Einfluss von Konjunkturdaten auf die Geldpolitik – Amerika spielt auf dieser Bühne naturgemäß die Hauptrolle.

Orientierungsschwierigkeiten für die Anleger nehmen zu

Hinzu kommen unterschiedliche gesamtwirtschaftliche Trends in den einzelnen Ländergruppen – Stichwort Schwellenländer-Krise. Und ganz kompliziert wird die Betrachtung, wenn man versucht, die extremen Witterungseinflüsse auf Konjunkturindikatoren speziell in den USA zu berücksichtigen – von zeitweise beunruhigenden politischen Ereignissen ganz abgesehen. Kein Wunder, wenn Orientierungsschwierigkeiten sich zunehmend in kurzfristigen Kurszuckungen niederschlagen, ohne dass man von großer Nervosität sprechen könnte.

Bei ihren Vorschauen auf die kommenden Wochen sind unterschiedliche Gewichtungen der Ereignisse durch die Strategen der Banken erkennbar. So glaubt man beispielsweise, dass angesichts der EZB-Sitzung im März die bevorstehenden europäischen und die nationalen Stimmungsindikatoren (ifo-Geschäftsklima, INSEE) eine eher untergeordnete Rolle spielen dürften. Im Fokus sieht man eher die Daten zur europäischen Kreditvergabe und Inflation: Hat der Verbraucherpreisanstieg seinen Tiefpunkt erreicht, so dass sich keine weitere Zinssenkung der EZB abzeichnet? Zugleich könnte aber das Schrumpfen der Kreditvergabe den „Tauben“ im EZB-Rat genug Munition liefern, um neue Liquiditätsmaßnahmen zu rechtfertigen.

Flammt die Diskussion über Deflationsrisiken wieder auf?

Von anderer Seite wird dazu das Beispiel Japans zitiert und vermutet, dass die Eurozone wieder in den Bann der Diskussion über Deflationsrisiken gerät, und zwar auf folgender Grundlage: Die Inflationsrate in der Eurozone im Januar, die am heutigen Montag veröffentlicht wird, dürfte nach der Vorhersage dieses Analysten zwar von zuerst gemeldeten 0,7 % auf 0,8 % revidiert werden. Die erste Schätzung der Rate für den Februar (Freitag) dürfte jedoch bei nur noch 0,6 % liegen und die Erwartungen der Finanzmarktteilnehmer enttäuschen. Damit könnte die Diskussion über die Risiken einer Deflation in der Eurozone neue Nahrung erhalten. Vermutlich wird auch der Vergleich mit Japan wieder in den Fokus rücken. Dort war die Kreditvergabe ein Frühindikator für die Deflation.

Ergänzend heißt es in einer mir vorliegenden volkswirtschaftlichen Analyse: Die schrumpfende Kreditvergabe in der Eurozone ist zweifellos ein Warnsignal.

Die verankerten Inflationserwartungen trugen bisher maßgeblich dazu bei, dass sich die schrumpfende Kreditvergabe nicht in eine Deflation übertragen konnte. In den vergangenen Wochen sind die Inflationserwartungen jedoch gefährlich in Bewegung geraten und zeigen erste Tendenzen, die Verankerung zu lösen. Damit signalisiert der Rentenmarkt einen zunehmenden Glaubwürdigkeitsverlust der EZB. Die Europäische Zentralbank steht also im März unter einem enormen Handlungsdruck. Eine Senkung des Leitzinses und eine Reduktion des Einlagesatzes erscheinen am wahrscheinlichsten. Konjunkturdaten wie der Ifo-Index treten dabei in den Hintergrund. Alles Klar?

Gewichtung der einzelnen Börsenfaktoren bleibt unklar

Nein, natürlich nicht, erst recht nicht bei der Frage, was jetzt entscheidend für die Börse sein wird. Diese Gemengelage liefert keine Antwort. Und der starke amerikanische Einfluss – allein über die Schiene der Euro/Dollar-Wechselkurse – ist hierbei noch nicht einmal berücksichtigt. Die Konjunkturdaten aus den USA enttäuschten zuletzt mehrheitlich. Grund dafür ist eben der Wintereinbruch, der die wirtschaftliche Aktivität bremst. Aber wie wird das Frühjahr?

Ich mache es mir einfach und halte an meinem gelassenen Optimismus fest. Denn die Börsen haben seit Jahresbeginn ihre grundsätzlich solide Verfassung immer wieder bewiesen. Die Erkenntnis, dass bisher weder von den „Bullen“ noch von den „Bären“ die jeweiligen Ziele erreicht worden sind, verhindert euphorischen Übermut und panikähnliche Crash-Angst. Kurzfristiges Handeln bestimmt vielmehr die Aktienmärkte. Bei sinkenden Kursen regt sich institutionelles Kaufinteresse, bei steigenden Kursen werden Gewinne rasch realisiert.

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Ihr

Hermann Kutzer
Chefredakteur
Kutzers Bauchgefühl



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