von Bernd W. Klöckner
Lange Zeit sah es so aus, als würde der Neue Markt ausschließlich Kursgewinne bringen. Die Aktien der am Neuen Markt notierten Unternehmen sprangen von Kurshoch zu Kurshoch. Alle wollten dabei sein. Ende März 2000 veröffentlichte das US-Börsenmagazin "Barrons" eine "Internet-Burnrate-Liste". Bei dieser Liste ging es darum, wie lange die einzelnen Unternehmen noch am Markt bleiben würden, wenn wie weiterhin Verluste erzielt würden und es kein neues Kapital gibt. Das Ergebnis war erschreckend: Allein 70 Firmen, so ermittelte Pegassus Research International, würden im Jahr 2000 pleite gehen. Unabhängig davon, ob diese Liste und die Recherchen zutreffend waren oder nicht: Die größten Chancen in der Zukunft haben solche Unternehmen, die bereits heute mit Profit arbeiten und zudem strategisch ausgerichtet sind. Sie müssen lediglich die Spreu vom Weizen trennen. Im folgenden nenne ich die aus meiner Sicht entscheidenden Einflußfaktoren und Entscheidungskriterien, die Sie unbedingt beachten sollten, bevor Sie Ihr Geld am Neuen Markt investieren.
Kriterium 1 - Marktführerschaft
Stellen Sie sich einmal folgendes vor: Sie haben die Wahl zwischen zwei Unternehmen ein und derselben Branche, sagen wir Internettechnologie. Beide Unternehmen haben den gleichen technischen Stand. Der einzige Unterschied ist: Unternehmen A ist noch relativ klein. Es hegt zwar große Wachstumspläne, steht aber erst am Anfang seiner Entwicklung. Das Unternehmen B ist dagegen seit Jahren am Markt und unangefochten die Nr.1. Es verfügt über jede Menge an Kapital um künftige Wachstumspläne auch zu finanzieren. Sie haben nun die Wahl: An welchem Unternehmen beteiligen Sie sich, wenn beide über dasselbe ! technische Know-How verfügen? Mit großer Wahrscheinlichkeit entscheiden Sie sich für das Unternehmen B. Die Begründung ist einleuchtend: Auch wenn die Pläne des Unternehmen A noch so vielversprechend sind besteht die Gefahr, daß Unternehmen A eines Tages von Wettbewerbern übernommen wird. Denn: Was gibt es für eine bessere Möglichkeit, Konkurrenten aus dem Weg zu räumen als sie einfach zu übernehmen. Und wenn einer von beiden, Unternehmen A oder B, über das nötige Kapital verfügt, dann sicherlich das Unternehmen B. Für Sie gilt: Investieren Sie nach Möglichkeit in die Aktien des/der Marktführer. Das auch aus dem Grund, weil die Marktführer in der Regel die besten Chancen auf überdurchschnittliches Wachstum haben. Und damit kommen wir zum zweiten wichtigen Entscheidungskriterium.
Kriterium 2 - Wachstumspotential
Für die richtige Aktienauswahl ist das künftige Wachstumspotential entscheidend. Bei jedem Aktienkauf zahlen Sie den Preis der Zukunft des Unternehmens. Die klassische Kenngröße ist das sogenannte KGV, ausgeschrieben: Kurs-Gewinn-Verhältnis. Hierbei wird der aktuelle Börsenkurs des Unternehmens ins Verhältnis zum prognostizierten Gewinn gesetzt. Ein Wert von beispielsweise 50 sagt aus, daß der heutige Börsenkurs dem 50-fachen des prognostizierten Gewinns entspricht. Erst dann also, wenn das Unternehmen auch künftig wächst und weiterhin (steigende) Gewinne erzielt, ist der Kurs sozusagen gerechtfertigt. Künftiges Wachstum ist wiederum wahrscheinlich, wenn das Unternehmen neue Erfindungen herausbringt oder sich neue Märkte erschließt. Auch ob weitere Einstellungen von Arbeitskräften geplant sind, kann ein wichtiges Kriterium sein. Ein typisches Beispiel für die erfolgreiche Eroberung eines neuen Marktes ist die Erfolgsgeschichte von MobilCom, dem Senkrechtstarter im Telekommunikationsmarkt. Als der Telekommunikationsmarkt liberalisiert wurde, war MobilCom als eines der ersten Unternehmen am Markt. Das Ergebnis dieser guten Idee, zur richtigen Zeit bei Eröffnung eines neuen Marktes: Der Umsatz vervierfachte sich innerhalb von zwei Jahren auf über eine Milliarde. Besonders wichtig ist dabei der technologische Vorsprung. Je größer dieser ist, desto unwahrscheinlicher ist es, daß Wettbewerber oder Nachahmer innerhalb kurzer Zeit einen Strich durch ehrgeizige Wachstumspläne machen können. Daher gilt: Lassen Sie sich Zeit und erkundigen Sie sich ausführlich darüber, welche Position das Unternehmen, dessen Aktien Sie kaufen wollen, am Markt einnimmt. Ein hervorragendes Beispiel technologischer Marktführerschaft ist derzeit noch immer Aixtron. Aixtron ist weltweit führend bei sogenannten Verbindungshalbleitern. Der Markt dieser Verbindungshalbleiter explodiert derzeit jährlich um 50 Prozent. Aixtron profitiert in erheblichem Maße von dieser Entwicklung.
Vorsicht Falle: Nicht immer ist es von Vorteil, wenn eine Firma als Erstes ein Produkt oder eine Dienstleistung an den Markt bringt. Üblicherweise hat der Erste einen Wettbewerbsvorteil (Profis sprechen hier von First-Mover-Advantage). Doch dieser vermeintliche Vorteil kann sich auch als Nachteil erwiesen nämlich dann, wenn ein Unternehmen mit seinem Produkt oder seiner Dienstleistung dem Markt voraus ist. Ein gutes Beispiel sind die beiden Firmen Netlife und Data Design. Beide beschäftigen sich intensiv mit einem künftigen Boommarkt: Die Sicherheit von Internet-Transaktionen für Banken, Handel und Behörden. Doch leider läuft das Geschäft zu schleppend an, 1999 wurden von beiden Firmen Verluste erwirtschaftet, in 2000 rechnen Profis mit weiteren Verlusten.
Kriterium 3 - Management-Know-How
Dieser dritte Punkt ist besonders spannend: Die Entwicklung des ersten Halbjahr 2000 zeigte, daß es bei weitem nicht genügt, irgendwelchen motivierten Menschen viele Millionen an Risikokapital zu geben und dann abzuwarten. Vielmehr ist das Management einer Firma von entscheidender Bedeutung. Angenommen, ein mit einer bestimmten Idee marktführendes Unternehmen mit erheblichem Wachstumspotential bietet Ihnen Aktien an. Dann ist es, da Entscheidungskriterium Eins (Marktführerschaft) und Zwei (Wachtsumpotential) erfüllt ist, nur noch eine Frage des Managements, das betreffende Unternehmen auch wirklich zum Erfolg zu führen. Zwei Beispiele: Wußten Sie, daß Gerhard Schmid vor seinem MobilCom-Engagement Verkaufsvorstand beim Autovermieter Sixt war. Das bedeutete: Er brachte nicht nur eine prima Idee zum richtigen Zeitpunkt an den Markt sondern verfügte auch über die notwendigen Managementkenntnisse, um MobilCom zum Star aufzubauen. Oder nehmen wir Erich J. Lejeune, den legendären Firmenchef der 1976 gegründeten Firma Consumer Electronic, kurz CE genannt. Lejeune, der im übrigen ein hochtalentierter Seminarreferent ist, gründete die Firma gemeinsam mit seinem Partner Herbert R. Graus. Graus war vor seinem CE-Job Einkaufschef einer florierenden elektromedizinischen Firma in München, Lejeune war und ist ein begnadeter und äußerst erfolgreicher Verkäufer. Beide führenden Köpfe von Consumer Electronic verfügten also ebenfalls über das nötige Managementpotential mit dem Ergebnis, daß die Geschichte von CE eine unglaubliche Erfolgsstory wurde.
Fazit:
Auch wenn am Neuen Markt zeitweise die Aktienkurse der notierten Unternehmen erheblich in den Keller purzeln können, bieten sich langfristig hervorragende Gewinnchancen. Die einzige Voraussetzung ist: Kaufen Sie niemals Aktien eines Unternehmens, dessen Produkte oder Dienstleistungen Sie nicht kennen. Sie müssen Ihre Hausaufgaben machen, sprich: Sie müssen sich vor Kauf über die obengenannten drei wichtigen Entscheidungskriterien informieren. Mein persönlicher Tip, den ich auch in meinen Seminaren nenne: Halten Sie sich an die 3-Minuten-Regel. Das bedeutet: Bevor Sie einen Kaufauftrag erteilen halten Sie sich eine dreiminütige Rede, wie es hinsichtlich des Unternehmens, dessen Aktien Sie kaufen wollen, betreff der drei oben genannten Entscheidungskriterien aussieht. Kommen Sie hier ins Stocken, sollten Sie Ihre Entscheidung überdenken. Also: Erst informieren, dann investieren. Ohne ausreichende Information investieren Sie nicht in Aktien sondern spekulieren ausschließlich und setzen letztlich nur auf Ihr Glück.
Bernd W. Klöckner
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