Öl für uns alle

Donnerstag, 28.10.04 10:54
Wer erinnert sich noch an das Gesellschaftsspiel „Öl für uns alle“, das in den 60er Jahren als Werbegeschenk der Firma BP Einzug in die deutschen Wohnzimmer hielt? Jeder Mitspieler verkörperte eine Ölgesellschaft und musste nicht nur versuchen, neue Ölvorkommen zu entdecken und zu erschließen sondern sein Öl auch gewinnbringend am Weltmarkt zu verkaufen. Dieses Spiel erlebt zurzeit eine Renaissance, nur haben viele Teilnehmer die Spielmaterialien verschusselt und sie dann nach und nach klammheimlich aus anderen Spielen ersetzt.

Lange Zeit dümpelt das Spiel eher eintönig vor sich hin, die einzelnen Spielzüge verlaufen lustlos und schleppend, bis schließlich die Berater des amerikanischen Teilnehmers aus purer Langeweile ein Risiko-Spiel plündern und ihrem Spieler heimlich eine Karte mit der Anweisung „Befreien Sie den Irak“ unterschieben. Der bemerkt den Schabernack nicht und tut, was man ihm sagt. Es kommt ihm auch ganz logisch vor, schließlich geht es ja um Ölreserven. Die Spieler der übrigen Nationen zeigen sich zunächst etwas irritiert, als George W. Bush plötzlich nicht nur mit Tankern sondern auch mit Truppen auf dem Spielbrett hantiert, passen sich den veränderten Gegebenheiten aber schnell an.

Der russische Mitspieler Wladimir Putin greift die neue Spielidee rasch auf und integriert sie meisterhaft in den bisherigen Spielverlauf. Wochenlang ist der FSB mit der Suche nach etwas Passendem beschäftigt, schließlich kann Putin dem Leiter seines größten Ölkonzerns, Michail Chodorkowskij, eine Ereigniskarte präsentieren - „Gehen Sie sofort ins Gefängnis. Gehen Sie nicht über Los. Ziehen Sie keine 4.000 Rubel ein.“ - und sich damit die Kontrolle über eine größere Fördermenge sichern.

Diese Art Zeitvertreib gefällt auch anderen. Osama Bin Laden überredet den amerikanischen Spieler samt Beraterstab zu einer weltweiten Partie „Scotland Yard“ und schickt alle vier bis fünf Spielzüge – wie es sich gehört – ein Video aus dem Versteck. Die Iraker dagegen, die ja gezwungenermaßen auch noch mit dem Amerikaner spielen müssen, fühlen sich ungerecht behandelt. Nachdem man ihnen jahrelang nur eine anspruchslose Version der „Siedler von Catan“ zugemutet hat, in der sie ihr Öl gegen Weizen und Wolle tauschen durften, ist ihnen nichts geblieben als ein uraltes Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, um ihre Interessen durchzusetzen. Trotzdem regen sich alle Mitspieler darüber auf, dass sie nun mit allen Mittel versuchen die Amerikaner rauszuschmeißen, weil sie ihr Öl für sich allein haben wollen.

Dem amerikanischen Spieler und seinen Beratern ihrerseits wird der ganze Spaß allmählich ein wenig zu teuer, nachdem sich die Reserven im Irak als nicht so ergiebig wie erhofft erwiesen haben. Außerdem hat irgendein Amateur mit den Mikado-Stäbchen gewackelt und dabei ihre Raffinerien im Golf von Mexiko beschädigt, was ihre Spielposition empfindlich schwächt. Um sich nicht vorzeitig geschlagen geben zu müssen und ihren stetig wachsenden Bedarf an Spielmaterialien weiterhin decken zu können, beginnen sie, Spielgeld im Kartoffeldruck selbst herzustellen und es ihren Mitspielern unterzujubeln. Das stößt auf Widerstand in den eigenen Reihen: John Kerry legt gemeinsam mit seinen Anhängern dem amtierenden Spieler der USA fortwährend Malefiz-Steine in den Weg; in der dadurch aufgeheizten Stimmung knickt schließlich Donald Rumsfeld ein und gesteht den Schwindel mit der falschen Risiko-Spielkarte, die am Anfang des ganzen Durcheinanders stand.

Gerade in dieser Minute überlegt Fidel Castro, Guantanamo Bay in „Schlossallee“ umzubenennen und sich auf diese Weise zu sanieren. Ist ja alles nur ein Spiel.

(Dagmar Wicht)
http://www.boersenjournalisten.de


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