Rohstoffe - Energiewerte fürs Depot

Mittwoch, 04.04.12 16:14
Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

die Diskussionen auf Anlegerveranstaltungen in diesen Tagen bestätigen meine früheren Beobachtungen: Das Interesse an Rohstoffen als Alternative nimmt zu – und damit sind nicht die ohnedies populären Edelmetalle gemeint. „Mitverantwortlich“ ist eine bewegte Preisentwicklung in den vergangenen Jahren, außerdem die generelle Aussicht auf Kursgewinne durch weltweit steigenden Verbrauch (Schwellenländer, China) und Verknappungserscheinungen. Einsteiger seien aber gewarnt! Die Terminmärkte der Commodities sind längst von großen Kapitalsammelstellen als Spielplatz (wieder) entdeckt worden. Das erschwert jedoch das Erkennen der fundamentalen Preisfaktoren (Angebot und Nachfrage) in einer ohnedies extrem heterogenen Anlageklasse. Deshalb sollten sich wirklich nur Fortgeschrittene, die ausreichend Know-how und Zeit mitbringen, in Kupfer, Kaffee und Co. engagieren.

Eine der sichersten Zukunftsprognosen lautet: Die Welt braucht immer mehr Energie. Schätzungen zufolge wird der weltweite Energiebedarf aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Verdoppelung des globalen Bruttosozialprodukts im Jahr 2040 etwa 30 Prozent höher sein als im vergangenen Jahr. Dabei bleibt der Bedarf in den USA und anderen Industriestaaten relativ konstant. Der Anstieg wird getrieben von der Energienachfrage Chinas und anderen Ländern, die nicht zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehören. Beim Blick auf die größten Gewinner und Verlierer im ersten Quartal macht Ole Hansen, Rohstoffexperte bei der Saxo Bank, einen zumindest neuen Rekord aus: „Die amerikanischen Öl-Sorte WTI performte fast 10 Prozent schlechter als die Nordseesorte Brent. Damit klafft zwischen beiden Sorten ein Rekord-Preisunterschied von 20 US-Dollar.“ Hansen hebt ferner heraus, bei einer aktuellen Zwischenbilanz insgesamt lohne eine Analyse der spekulativen Positionen. „Nachdem viele Hedgefonds und andere spekulative Händler gegen Ende 2011 aus zahlreichen Rohstoffinvestments ausgestiegen sind, haben sie ihre Long-Positionen Anfang dieses Jahres wieder deutlich aufgebaut.“ Geopolitische Spannungen, Dürren und der griechische Schuldenschnitt sorgten hier offenbar für Kurssteigerungsfantasie. Dies habe die Preise allgemein wieder nach oben getrieben.

Unter den zehn größten spekulativen Positionen fällt die Hälfte auf den Energiesektor, dicht gefolgt von Sojabohnen. Während Erdgas 29 Prozent an Wert verloren und damit den niedrigsten Preis seit mehr als zehn Jahren erreicht hat, isti der Benzinpreis in den ersten drei Monaten stark gestiegen. Kommentiert der Saxo-Bank-Experte: „In den USA nähert sich der Sprit so langsam der psychologischen Marke von 4 US-Dollar pro Gallone. Das könnte ein heißes Eisen werden, das Obama aber anpacken muss, wenn er wieder gewählt werden will.

In den Schwellenländern kommt den Bereichen Energieförderung und Energieeffizienz eine unvermindert stark wachsende Bedeutung zu. Für Anleger bedeutet das: Sie können von den zu erwartenden Gewinnen entsprechender Unternehmen profitieren. „Zudem können sie mit einer Investition im Anlagesegment Energie an weiter steigenden Energiepreisen partizipieren und gleichzeitig ein Gegengewicht bezüglich der eigenen dauerhaft hohen Ausgaben für den Energieverbrauch setzen", so Daniel Würmli, Manager des Energiefonds von Swisscanto, der Fondsgesellschaft der Schweizer Kantonalbanken. Weniger kohlenstoffintensive Kraftstoffe, insbesondere Erdgas, gewinnen derzeit Marktanteile, während die Kohlenutzung ihren Höhepunkt erreichen und erstmals in der modernen Geschichte zurückgehen wird. Erdgas aus Schiefer und anderen unkonventionellen Gesteinsformationen wird bis 2040 etwa 30 Prozent der globalen Gasproduktion ausmachen. Ohne die prognostizierten Effizienzsteigerungen wäre das Bedarfswachstum etwa viermal höher.

Das Unternehmen BP kommt im eigenen Energieausblick zum Schluss, dass die erneuerbaren Energien Sonne, Wind und Biomasse bis zum Jahr 2030 zusammen schätzungsweise erst sieben Prozent zum Gesamtenergieverbrauch beisteuern werden. Die drei fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle werden aber mit ungefähr je 27 Prozent am globalen Energieverbrauch teilhaben. Denn gerade Entwicklungs- und Schwellenländer, die momentan ein großes Wirtschaftswachstum und somit auch eine kräftige Zunahme des Energieverbrauchs erleben, setzen nach wie vor sehr stark auf herkömmliche Energieträger - gleichwohl sie den Ausbau der erneuerbaren Energien im Auge haben.

"Auch wenn man bei diesem Energieausblick die Eigeninteressen des zitierten Unternehmens berücksichtigt, ist generell zu konstatieren, dass fossile Energieträger dominant bleiben und selbst bei einer nachhaltigen Energiewende der Energiemix die nächsten zwei, drei Jahrzehnte von Öl, Gas und Kohle dominiert wird", so Würmli. Das zeigt auch die unverminderte Suche und Förderung von Öl- und Gasreserven. Beispiel USA: noch vor wenigen Jahren war sich die Branche einig, dass sich deren Reserven bald dem Ende neigen. Inzwischen hat sich diese Ausgangslage aber fundamental verändert. Die USA verfügen an Land noch über große, unangetastete Öl- und Gasfelder. Diese Entwicklung ist dem technischen Fortschritt zu verdanken. Heute ist es möglich, nicht mehr nur senkrecht, sondern auch horizontal Kanäle in die Erdkruste zu bohren. Tief unten verbergen sich dort riesige Schichten von Schiefergestein (shale), das in Millionen von kleinen Poren Öl und Gas umschließt. Dank des Einsatzes dieser Techniken konnten die US-Gasreserven um 35 Prozent erhöht werden. Die USA ist nun hinter Russland der zweitgrößte Gasproduzent und von Importen unabhängig.

Senior Portfolio Manager Würmli fasst zusammen: "Neue rentable Fördermethoden fossiler Energieträger, stabile beziehungsweise steigende Preise aufgrund des kräftigen Wachstums des Energieverbrauchs und die immensen Maßnahmen zur Effizienzsteigerung lassen das Anlagesegment Energie zum Treibstoff für das Depot werden. Denn aufgrund dieser Entwicklungen weisen zahlreiche Unternehmen volle Auftragsbücher auf und ermöglichen den Investoren, an positiven Geschäftsmodellen teilzuhaben."

Wichtig zu wissen in diesem Kontext erscheint mir auch, dass selbst kleinere nordamerikanische Ölförderer so günstig das schwarze Gold produzieren, dass selbst empfindliche Preisrückschläge am Weltmarkt ihnen nichts anhaben können. So wurde mir in verschiedenen Interviews auf der Deutschen Rohstoffmesse in Frankfurt/Main bestätigt, dass die Gesamtförderkosten im Bereich von meist 20 bis 30 Dollar je Fass liegen. Und ein Manager sagte: „Wir fangen erst an nervös zu werden, wenn WTI unter 60 bis 70 Dollar fallen würde.“

Ich empfehle ausgesprochen spekulativen Privatanlegern dennoch, einmal über eine mittelfristige, auf mehrere Monate ausgelegte Spekulation auf sinkende Ölpreise zu erwägen, denn ich halte das aktuelle Niveau für geopolitisch überhöht und glaube an eine friedliche Beilegung des Iran-Atom-Konflikts.

Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!
Ihr

Hermann Kutzer
Chefredakteur
Kutzers-Anlegerbrief


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Er will seine Erfahrung einbringen, und davon hat er jede Menge: Hermann Kutzer gilt als der dienstälteste journalistische „Börsendino“ in Deutschland. Schon seit 1969 beobachtet der bekennende...


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