Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
die Amis haben die Bankrotterklärung in letzter Minute abgewendet – wenn der Kongress nicht in allerletzter Minute noch spinnt. Die Märkte atmen spontan auf. Das Wichtigste: Eine erklärte Pleite der USA könnte unabsehbare Folgen nicht nur für die Finanzmärkte, sondern für die gesamte Weltwirtschaft haben. Das Aufatmen ist also sinnvoll. Es war noch eine spannende Schlussphase am Sonntagabend - jetzt wissen wir: Im erbitterten US-Schuldenstreit haben Demokraten und Republikaner nach monatelangem Gezerre einen Kompromiss erzielt. Die Fraktionsführer in beiden Kammern des Kongresses vereinbarten ein Abkommen, das "das Defizit reduzieren und eine Zahlungsunfähigkeit vermeiden wird". Die Einigung sieht vor, den Schuldenberg in den kommenden zehn Jahren in mehreren Stufen um insgesamt etwa 2,4 Billionen Dollar abzubauen. Die Entscheidung liegt nun beim Kongress, der noch zustimmen muss - und zwar möglichst vor Dienstag, wenn die Frist zur Erhöhung der Schuldenobergrenze abläuft.
"Jetzt müssen die Ratingagenturen Farbe bekennen!", meint das Handelsblatt. Schließlich stehe die Entscheidung bevor, ob die USA ihr Top-Rating behalten dürfen. Laut Financial Times Deutschland seien die angeblichen dramatischen Fortschritte bei der Einigung nur dramatisch gemessen an der Inszenierung des Zanks, der veranstaltet wurde. Und der britischen Financial Times erscheint der Kompromiss "weit entfernt von einer ausgewogenen Annäherung". Auch das Wall Street Journal erinnert: "Das Schuldenproblem ist aber noch nicht gelöst". "Es sind zwar deren Schulden, aber auch unsere Probleme", untermauert der indische Financial Express die Forderung, das globale Finanzsystem als Kern des Problems zu identifizieren. Gelassen bleibt die New York Times, die kommentiert: Eine auf wenige Tage begrenzte Zahlungsunfähigkeit wäre kein Drama gewesen.
Ein erster Spitzenvertreter einer Ratingagentur hat sich positiv über den Kompromiss geäußert. Der Chefökonom und Analyst Mark Zandi von Moody's sprach von „großartigen Nachrichten“ und von einer möglichen „substanziellen“ Lösung. Er persönlich glaube, dass eine Einigung auf ein solches Maßnahmenpaket es erlaube, die US-Top-Bonität beizubehalten. Moody's und auch die Ratingagentur Standard & Poor's hatten bekanntlich damit gedroht, den USA die AAA-Kreditwürdigkeit abzuerkennen. Die Folgen wären höhere Zinsen und ein teurerer Schuldendienst.
Ziehen wir als Zwischenbilanz: Die alles überschattenden Schuldenprobleme auf beiden Seiten des Atlantiks sind zwar noch nicht gelöst, doch sind die dringend notwendigen politischen Weichenstellungen nunmehr erfolgt. Damit können aus Ihrer Sicht, liebe Anlegerinnen und Anleger, die realwirtschaftlichen Entwicklungen wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden. Bezogen auf die Konjunktur bleibt das Weltbild farblich gemischt, aber es mehren sich die Schwarzseher (wir kennen das ja), die ständig versuchen, mit dem erhobenen Zeigefinger vor miesen Zeiten zu warnen – von den USA bis hin nach China. Nehmen Sie es gelassen hin, erst einmal.
Selbst bei uns, im Wirtschaftswunderland, droht angeblich Schlimmes: Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat vor einer deutlichen Abkühlung der deutschen Konjunktur infolge der Schuldenkrisen in den USA und in Europa gewarnt. "Leider tragen diese Entwicklungen dazu bei, dass der Konjunkturaufschwung in Deutschland zu Ende geht und nun eine deutliche Abkühlung bevorsteht", sagte Bofinger der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Montagausgabe). "Wir werden in Deutschland deutlich geringere Wachstumsraten erleben als 2010 und 2011. Raten von über 3% gehören der Vergangenheit an", sagte das Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung. Na und? Unsere Wirtschaft, insbesondere die produzierenden Unternehmen, bewegen sich auf einem von all diesen Weisen nie erwartet hohen Niveau. Eine Wachstumsverlangsamung kann eigentlich nicht schaden und würde – wichtig! – die Inflationssorgen mildern.
Für mich sieht das Szenario wieder börsenfreundlicher aus. Aktienfans, haltet Euch bereit: Wenn sich jetzt – in den kommenden Tagen – ein neuer Aufwärtstrend des Dax einstellen sollte, dann sehe ich darin ein Signal für den Einstieg. Andererseits empfehle ich den Gold-Anlegern, insbesondere den kurzfristig orientierten, besondere Vorsicht. Denn mit nachlassender Finanzkrisen-Angst könnte (könnte!) dem güldenen Metall eine deutliche Korrektur drohen.
Machen Sie weiter mit – und machen Sie’s gut!
Ihr
Hermann Kutzer
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