Sehr geehrte Privatanleger,
eine der verwirrendsten Fragen für Privatanleger ist derzeit das Problem,
wie Unternehmenswachstum zu bewerten ist. Nachdem im letzten Börsenboom
Unternehmensfusionen und –käufe an der Tagesordnung waren (und bei der
allgemeinen Phantasie auch unkritisch akzeptiert wurden), ist es sehr viel
ruhiger geworden. Dennoch ist in den letzten Monaten das Fusionsfieber
wieder ausgebrochen, wie man an den Beispielen Procter & Gamble – Gillette
und der Übernahmeschlacht von Verizon und Qwest um MCI ersehen kann.
Ge- und verkauft wird wieder in erhöhtem Tempo. In Deutschland spielen dabei
derzeit die „Private Equity Fonds“, die ganze Unternehmen des Mittelstandes
aufkaufen (Grohe, Gerling, mobilcom-Beteiligung, Automobilzulieferer) eine
besondere Rolle. Diese Fonds kaufen Unternehmen mit dem Ziel, sie in kurzer
Zeit zu sanieren oder weiterzuverkaufen. Wann also ist ein Unternehmenskauf
sinnvoll, wann nicht?
Im Prinzip ist diese Frage einfach zu beantworten. Kapital hat Kosten –
diese drücken sich in dem von Investoren verlangten Zinssatz aus. Kostet
unternehmerisches Kapital zum Beispiel 10% - ein durchaus angemessener
Zinssatz, da auch unternehmerische Risiken eingegangen werden – müsste eine
Akquisition von 20 Mio. € z. B. mindestens 2 Mio. € pro Jahr an Gewinn
erwirtschaften, nur im ihre Kapitalkosten zu verdienen. Erst bei mehr als 2
Mio. € pro Jahr zusätzlichem Gewinn wäre dies also eine sinnvolle
Investition. Damit ist auch klar: die Devise „Umsatz um jeden Preis“ kann in
der Katastrophe enden, wie uns die Zeiten des Börsenbooms gezeigt haben.
Bei den meisten Unternehmensverkäufen und –käufen ist es allerdings sehr
schwierig abzuschätzen, ob diese wirklich sinnvoll waren. Lassen Sie mich
daher einen kleinen Überblick über einige Transaktionen der letzen Zeit
wagen:
Adidas-Salomon verkauft seine kränkelnde Wintersport-Sparte Salomon und
nennt sich wieder adidas. Zwar hatte man 1997 1,2 Mrd. € bezahlt und erlöst
jetzt nur noch 485 Mio., aber der Deal scheint mir trotzdem sinnvoll. Seit
einiger Zeit schrumpft der Umsatz der zudem noch defizitären
Wintersport-Sparte. Mit dem Verkauf an die finnische Amer Sports (WKN:
870547, Atomic, Wilson) hat Amer die Chance, verschiedene Wintersport-Marken
zusammenzufassen und in einem schwierigen Markt ein Sanierungsprogramm
durchzuführen. Fazit: der adidas-Vorstandsvorsitzende Hainer hat einen
mutigen Schritt unternommen, der für beider Seiten sinnvoll ist, selbst wenn
adidas nunmehr kleiner ist und sich der Abstanz zum Weltmarktführer Nike
vergrößert. Zudem erhöhte adidas seine Prognose für das Wachstum des
Jahresgewinns von 10-15% auf über 20%.
Siemens schließt weitere Großakquisitionen nicht aus. Nach verschiedenen
kleineren Zukäufen könnte auch eine Großakquisition wie der fast zehn
Milliarden Euro teure Atecs-Kauf kommen. Fazit: ein Konzern, in dem mehr als
die Hälfte der Sparten defizitär arbeiten, sollte seine Hausaufgaben machen,
anstatt die Aktionäre mit neuen Finanzmanövern zu blenden.
Dasselbe gilt für Sun Microsystems Inc. CEO Scott McNealy will nach einigen
katastrophalen Jahren im Kerngeschäft nun größere Akquisitionen tätigen.
Fazit: wer sich so im Kerngeschäft disqualifiziert, sollte sich nicht an die
sehr schwierige Übernahme weiterer Unternehmen wagen.
Procter & Gamble übernimmt Gillette: der Kaufpreis war in Ordnung, aber kein
Schnäppchen. Zudem war die Transaktion erstaunlicherweise von Jim Kilts, dem
sanierungserfahrenen CEO von Gillette, und nicht vom Käufer P&G eingeleitet
worden. Fazit: in dem Geschäft machen größere Einheiten Sinn, die
Transaktion ist kein sicherer, aber ein wahrscheinlicher Erfolg.
United Internet kauft Portalgeschäft von web.de und schafft Deutschlands
größten Inhalteanbieter. Fazit: der Kaufpreis war recht hoch, die
ökonomischen Vorteile liegen aber auf der Hand. Zudem sollte die Integration
relativ problemlos sein. In 2 bis 3 Jahren werden wir wissen, ob sich der
Deal rechnet.
Gerade bei Fusionen, Übernahmen und Unternehmenskäufen kann es für
Privatanleger sehr schwierig sein, sich ein Bild zu machen. Solche
Transaktionen gehören aber heute zur Tagesordnung. Ich bleibe für Sie am
Ball!
Erfolgreiche Investments wünscht Ihnen
Ihr
Prof. Dr. Max Otte
www.privatinvestor.de
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