Zur Anlagestrategie Value und Growth sowie dem Abstieg der Lufthansa-Aktie aus dem DAX

Montag, 15.06.20 12:00

Zweifel an der „Zauberformel Value“ nehmen zu. Die amerikanische Börsenexpertin Merryn Sommerwet Webb erklärt: „Warren Buffet hielt die falschen Aktien in der Hand, als die Musik wegen Corona ausging.“

 

Der US-Starinvestor bildet keine Ausnahme. Aber gerade sein seit Jahrzehnten leidenschaftlich vertretener Ansatz, in unterbewertete Value-Aktien zu investieren, um sich in Krisen vor größeren Verlusten zu schützen und selbst in schwierigen Zeiten mit stabilen Aktien verlässliche Erträge zu erzielen, gerät ins Wanken. Gerade die substanzstarken, defensiven Value-Aktien stürzten im März und April 2020 stärker ab als der Gesamtmarkt. Viele Anleger fragen sich nun: „Ist dieser Ansatz überhaupt noch zeitgemäß? – Oder ist es nur ein Atemholen für einen neuen Aufwärtstrend?“


Da wird auch der Buchwert kritisch hinterfragt. Ziel ist es, die Substanz von Unternehmen zu ermitteln vor allem über bilanzielle Kennziffern wie Kapitalrückfluss, Eigenkapitalquote, Verschuldungsanteil und Dividenden. Bei der Berechnung des Buchwertes sind vor allem junge innovative Unternehmen deutlich im Nachteil. Die Fabriken und Produktionsanlagen lassen sich im Buchwert gut darstellen. Sobald der Buchwert den Aktienkurs deutlich übertrifft, gilt die Aktie als unterbewertet.


Jedoch Rückbesinnung im Juni 2020 auf die im Corona-Crash stark abgestürzten fair bewerteten Value-Titel?

 

Warren Buffett und alle Value-Fans dürfte sich freuen, wenn sie die Kursentwicklung seit Ende Mai/Anfang Juni 2020 der wichtigsten Value- und Growth-Aktien aufmerksam studieren und miteinander vergleichen. Sah es im April und bis Mitte Mai noch ganz danach aus, als ob altbewährte Bewertungsmaßstäbe plötzlich über Bord geworfen werden, scheinen sich die Einschätzungen wieder in Richtung Value zu drehen.

 

Bei den zuvor so brutal abgestraften niedrig bewerteten substanz- und dividendenstarken, defensiven Value-Aktien zeichnet sich ein Comeback ab. Umgekehrt müssen die bisherigen Corona-Crashsieger aus dem wachstumsstarken, offensiven, hochbewerteten Growth-Bereich plötzlich deutlich Federn lassen. Das gilt zwar nicht für alle Zukunftsmärkte, aber doch immerhin für einige wichtige Branchen. Die Zukunftsmusik pausiert zumindest im Software- und Halbleitersektor. Biotech, Medtech, Internet und Online-Handel kommen bislang glimpflich davon. Man darf gespannt sein, wie Analysten, institutionelle und private Anleger auf diese zumindest zeitweilige Trendumkehr reagieren.

 

Außer Frage steht jedoch, dass die selbst sehr emotional reagierende Börse den stärksten konjunkturellen Einbruch dieses Jahrtausends unerwartet locker wegsteckt. Die gelockerten Verbote, aufgehobenen Einschränkungen und Freiheitsbeschneidungen, unterstützt von riesigen Rettungspaketen, sozialen Wohltaten und Absenkung der Mehrwertsteuer für ein halbes Jahr vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 bremsen die überbordende Verschuldung vieler Staaten, Kommunen und Unternehmen bis zur Halskrause nahezu aus.

 

Wer fragt sich schon jetzt bei den wieder steigenden Börsenkursen, wie dies wohl alles zu verkraften ist, wie sich die Wirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln und wie die Bilanz am Ende aussehen wird. Ist das Virus tatsächlich gefährlicher als die gesamten finanziellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen und psychischen Auswirkungen? Und was passiert, wenn es zu einer zweiten Ansteckungswelle kommt? Sind Kraft und Stärke von Staat, Kommunen, Unternehmen und Menschen dann nicht weitgehend aufgebraucht?

 

Wie sind die Chancen für die Lufthansa-Aktie einzuschätzen nach dem Rauswurf aus dem Leitindex DAX?

 

Für ein langjähriges DAX-Unternehmen wie die Lufthansa ist der Rauswurf aus dem Leitindex eine ebenso schmerzhafte Tatsache wie der Abstieg aus der ersten in die zweite Fußball-Bundesliga. Allerdings ist der MDAX seit Aufnahme der größten TecDAX-Werte im September 2018 mit den wichtigsten Zukunftsmärkten Biotech, Medtech, Internet und Software ein attraktives Auffangbecken für die Lufthansa. Schließlich lag die deutsche Luftverkehrsgesellschaft zum Schluss nur noch auf Platz 65 bis 70.

 

Wer bei Börsenwert, Börsenumsatz und Anteil des Streubesitzes schlechter als der Platz 45 ist, fällt aus dem DAX. Die Corona-Krise mit den Reise- und Flugverboten hält die Flugzeuge noch am Boden. Wer monatelang kein Geld mehr verdient, sondern Schulden anhäuft, dem droht die Insolvenz. Die Pleite ist letztlich nur noch vermeidbar durch staatliche Beteiligung und milliardenschwere Auffanghilfen.

 

Es ist damit zu rechnen, dass der inländische Flugverkehr im Kampf gegen Umweltschäden und Klimawandel stark ausgedünnt und zunehmend durch den Schienenverkehr ersetzt wird. Die zahlreichen Streiks aufgrund der Streitigkeiten mit den Gewerkschaften trug zusätzlich zum Ansehensverlust bei. Hinzu kommt die Enttäuschung vieler Anleger, die vor allem wegen der bislang üppigen Dividende auf die Lufthansa-Aktie gesetzt hatten. Wegen akuter Insolvenzgefahr wurde die Ausschüttung ja komplett gestrichen. Die Rechnung: Eigenkapital gegen verlässliche Dividenden für Vermögensaufbau und Altersvorsorge funktioniert nicht mehr. Dies sollte bei all der Hetze gegen Dividenden in schwierigen Zeiten auch beachtet werden.

 

DAX-Fonds und EETF-Anbieter haben jetzt etwas mehr Arbeit, weil die stabilere Deutsche Wohnen als zweite Immobilienfirma in den Leitindex einzieht als Austausch mit dem Lufthansa-Absteiger. Genau umgekehrt betrifft dies auch die MDAX-Fonds und ETF-Gesellschaften.

 

Wie sollten Sie in Ihrer Rolle als Privat-Anleger auf die Lufthansa mit gestutzten Flügeln reagieren?


Wer keine Lufthansa-Aktien besitzt und ein großes, breit gestreutes Aktiendepot anstrebt, sollte entweder verzichten oder Kursschwächen für den Zukauf abwarten bzw. fortlaufend beobachten, wie sich die Lufthansa im MDAX künftig weiterentwickelt.

 

Wer Lufthansa-Aktionär ist, kann dem Wert die Treue halten, bei weiterer Kursschwäche einen Zukauf wagen und bei deutlicher Kurserholung vielleicht einen Teil- oder Komplettverkauf überlegen.

Wer bei Lufthansa untergewichtet ist, muss jetzt nicht handeln. Wer dagegen einen prozentual viel zu hohen Anteil hat, sollte stärkere Kurserholungen für eine Reduzierung des Eigenbestands nutzen.


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Beate Sander startete ihre Börsenkarriere erst im Alter von 59 Jahren und wurde wenige Jahre später Börsen-Millionärin. Sie war eine gefragte Kolumnistin, Moderatorin und Interviewpartnerin und...


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