Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
„Die Zahl der Aktionäre und Besitzer von Aktienfondsanteilen in Deutschland hat sich im ersten Halbjahr 2011 leicht erhöht.“ Eine lapidar klingende Feststellung am Anfang einer aktzellen Pressemitteilung, die erst durch weitere Zahlen und vor allem durch Vergleiche eingeordnet werden kann. Die zugrundeliegende Erhebung, die das Deutsche Aktieninstitut (DAI) traditionell zweimal jährlich durchführen lässt, hat diesmal ein Ergebnis, das sich unterschiedlich interpretieren lässt: Nach dem deutlichen Rückgang im zweiten Halbjahr 2010 ist die leichte Steigerung der Aktionärszahlen um 136.000 (1,7 %) ein erstes, allerdings noch sehr vorsichtig zu bewertendes Zeichen der Stabilisierung der Aktienakzeptanz. Insgesamt waren 8,3 Millionen Anleger direkt oder indirekt in Aktien investiert.1 Dies entspricht 12,8 % der Bevölkerung – ein nach wie vor unangemessen niedriges Niveau für ein hochentwickeltes Industrieland.
Dazu noch einige interessante Zahlen im Detail: Von den gut 8,3 Millionen Aktienbesitzern sind 2,2 Millionen. (3,4 % der Bevölkerung) reine Aktionäre, die ausschließlich direkt in die Aktie investieren. 4,6 Millionen Anleger halten nur Aktienfondsanteile (7,1 %) und 1,5 Millionen. (2,3 %) sowohl Aktien als auch Anteile an Aktienfonds. Gegenüber dem Höchststand im Jahr 2001 bedeutet die aktuelle Zahl einen Rückgang um rund 4,5 Millionen (35,3 %), gegenüber dem Jahr 1997 hingegen immer noch einen Zuwachs von 2,7 Millionen Anlegern (48,4 %). Das zeigt zweierlei: Als die Börse in Deutschland wirklich populär zu werden begann, was das Aktieninteresse völlig unterentwickelt, gab es noch deutlich weniger Aktien-Fans als heute. Andererseits ist ein erschreckend großer Teil von in Aktien spekulierenden Bundesbürgern seit dem Ende des Hypes wieder ausgestiegen und hat sein Interesse verloren. Die Zahl der Anleger, die nur in Aktienfondsanteile anlegen, sank um 140.000 (2,9 %), während die Zahl der Investoren, die beide Anlageformen nutzen, um 257.000 (21,3 %) zunahm. Das DAI vermutet, dass viele Aktienfondsanleger im ersten Halbjahr zusätzlich direkt Aktien erworben haben, also von der einen in die andere Teilgruppe wechselten.
Interessant auch eine weitere Frage, die sich das Aktieninstitut diesmal gestellt hat: Wie haben sich die Privatanleger in dem anhaltend volatilen Marktumfeld der letzten Jahre verhalten? Haben sie die Aktienanlage eher pro- oder antizyklisch verfolgt? dazu werden für die Zeit von Ende 2005 bis Ende 2010 die von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Quartalsdaten über die Netto-Käufe bzw. -Verkäufe von Aktien durch private Anleger und Organisationen ohne Erwerbszweck der DAX-Entwicklung gegenübergestellt. Danach beurteilt das DAI das Anlageverhalten der privaten Haushalte differenziert: „Zum Teil agierten die Anleger – rückblickend betrachtet – zu ihrem Vorteil, denn sie verkauften bei (noch) hohem Stand der Kurse Aktien. Zum Teil verkauften die Anleger aber trotz inzwischen eingetretener massiver Kursverluste weitere Aktien, z.B. im vierten Quartal 2008 für 33 Mrd. Euro.“ Dieses Verhalten sei nur dann rational, wenn weitere Kursverluste befürchtet werden und die Absicht besteht, sich später wieder günstiger einzudecken. Im Gesamtzeitraum von 2005 bis 2010 verkauften die Anleger Aktien im Wert von 52 Mrd. Euro in fallende Kurse hinein, aber nur 19,6 Mrd. Euro bei steigenden Kursen. Auch bei den Käufen ist das Timing prozyklisch: Käufen von 1 Mrd. Euro bei fallenden Kursen stehen Käufe bei steigenden Kursen in Höhe von 3,8 Mrd. Euro gegenüber. Kommentieren die Aktienförderer des DAI: „Das Timing der Privatanleger ist insgesamt nicht optimal. Sie folgen den Kursentwicklungen mit einer geraumen Verzögerung, statt sie zu antizipieren. Damit verkaufen sie tendenziell zu billig und kaufen (wenn überhaupt) zu teuer.“
Die mangelnde Aktienakzeptanz deutscher Privatanleger drückt sich somit nicht nur im Rückgang der Aktionärszahlen aus, sondern auch in einem starken Abzug von bislang in der Anlageform Aktie investierten Ersparnissen und – vor allem – im Nicht-Wiederanlegen von Mitteln, die durch die Verkäufe nach den Kursrückgängen freigesetzt wurden. Wie die Anleger sich in den aktuell sehr volatilen Zeiten erhalten, kann zur Zeit noch nicht beantwortet werden. Meint das DAI: „Es steht zu befürchten, dass die neuerlichen Kursschwankungen die Zurückhaltung der Privatanleger gegenüber der Aktie nochmals verstärkt haben. Zur Ausbildung einer nachhaltigen Aktienkultur ist deshalb weiterhin umfangreiche Aufklärung und Information der Bundesbürger erforderlich. Wirtschaft und Staat sind hier gleichermaßen gefordert.“
Gewiss. Aber hier spielt zudem ein übergeordnetes gesellschaftliches Phänomen eine wichtige Rolle, das sich auch durch Beratung nicht leicht korrigieren lässt – die Beschleunigung der Prozesse in unserem Leben. Alles wird immer schneller und kurzlebiger, so auch Börsentrends. Selbst eher konservative Institutionen verhalten sich mitunter wie Trader. Dahinter verbirgt sich Unsicherheit, zeigt sich eine durch die Globalisierung kaum mehr zu bewältigende Flut von Einflussfaktoren und täglichen Informationen mit Kursrelevanz. Anzustreben wäre deshalb aus meiner Sicht eine „Entschleunigung“, wo immer möglich. Und viel mehr Bundesbürger sollten begreifen, dass die Aktie von Hause aus eine betont langfristige Anlageform ist und dass es Sinn macht, bei aller angesagten Beweglichkeit der Aktie eine Hauptrolle einzuräumen.
Machen Sie weiter mit – und machen Sie`s gut!
Ihr
Hermann Kutzer
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