Nicht nur Europa wurde 1873 in eine schlimme Wirtschaftskrise gestürzt, auch in den Vereinigten Staaten führte der Kollaps einer der größten Eisenbahngesellschaften des Landes zur Panik an der Börse. Wie in Deutschland war dieser Entwicklung eine Spekulationswelle vorausgegangen.
Im Mittelpunkt der Spekulanten standen vor dem Crash vor allem die Eisenbahngesellschaften und Landgrundstücke. Seit dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs im Jahr 1865 war das Eisenbahnnetz stetig gewachsen. Bis 1873 hatte es sich mit 30.000 neuen Streckenmeilen gegenüber 1865 verdoppelt. Ein guter Teil der dabei entstandenen Kosten von 1.5 Milliarden US-Dollar wurde über den Boom der Jahre 1870 und 1873 finanziert. Die Kombination aus neuen Industrien, steigenden Preisen, hohen Schutzzöllen und scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten lockte damals zahlreiche Investoren an. Innerhalb kürzester Zeit wurden so Unmengen von Geld in einen Wirtschaftszweig gepumpt, der keine sofortigen Gewinne abwarf.
Die Spekulation mit Eisenbahnaktien war durchaus interessant und versprach bei Erfolg reiche Gewinne. In der Regel bekamen die Bahnlinien mit der Konzession viele Morgen unbewohntes Land zugewiesen. Das Land war zu diesem Zeitpunkt zwar fast nichts wert, jedoch konnte sich der Wert bei Erfolg des Projektes mehr als verhundertfachen. Der Grund lag im wirtschaftlichen Aufschwung, den die Bahn mit sich brachte. Entlang der fertiggestellten Strecke wuchsen kleine Ortschaften und Farmen aus dem Nichts, die wiederum weitere Siedler und kleine Firmen anzogen. Mit etwas Glück entstand so innerhalb weniger Jahre eine große Stadt, deren Grundstückspreise weit über dem ursprünglichen Wert lagen. In seinem Buch: \"Devil Take the Hindmost,\" beschrieb der Historiker Edward Chancellor den möglichen Wertzuwachs eines Grundstücks der Union Pacific Railroad in Columbus, Nebraska folgendermaßen: \"Ein 50 $-Grundstück wird 5.000 $ wert sein - kann Geld einfacher verdient werden? Finde nur die zukünftige Baustelle einer Stadt und kaufe die Farm auf der sie gebaut werden soll! Wie viele ärgern sich, dass sie kein Grundstück in New York, Buffalo, Omaha oder Chicago erworben haben.\"
Suche nach einem Financier beginnt
Eines der bedeutensten Eisenbahnprojekte war damals die Northern Pacific Railroad. Im Dezember 1864 hatte der Gründer der NPR, Josiah Perham, vom Präsidenten Abraham Lincoln die Konzession zum Bau der Eisenbahnlinie bekommen. Nach Fertigstellung sollte die Northern Pacific Railroad den Lake Superior (Duluth, Minnesota) mit dem Puget Sounds (Seattle, Washington) verbinden. Obwohl Perham seine ganze Energie in das Projekt steckt, musste er nur eineinhalb Jahre später, hoch verschuldet und stark gesundheitlich angegriffen, aufgeben. Der geplante Baubeginn der Strecke lag weit hinter dem ursprünglichen Terminplan, dennoch fand sich eine Nachfolgergesellschaft, die die Strecke zum Erfolg führen wollte. Diese von J. Gregory Smith geführte Organisation übernahm auch den Schuldenberg von 102.000 Dollar von Perham, der damit aus dem Unternehmen ausschied. Doch auch Smith sah bald ein, dass er weder den Termin für den geplanten Baubeginn am 4. Juli 1870 geschweige denn den der kompletten Fertigstellung am 4. Juli 1877 einhalten konnte. Die Northern Pacific Railroad hatte vom Staat bei der Konzessierung mehr Land zugeteilt bekommen als die Fläche des US-Staates New England. Trotzdem fehlte es an den nötigen finanziellen Mitteln für den aufwendigen Trassenbau. Auf der Suche nach einem geeigneten Financier für das Megaprojekt wurde Smith 1869 bei dem damals bekannten und angesehenen Bankhaus Jay Cooke & Company fündigt.
Jay Cooke hatte sich bereits durch seine Finanzierungserfolge während des amerikanischen Bürgerkriegs einen Namen gemacht und gehörte zu jener Zeit zu den wohl angesehensten Bankiers in Amerika. Doch seine bisherigen Finanzierungstätigkeiten hatten ihm zwar Ruhm und Ansehen, jedoch keinen großen Reichtum beschert. Mit der Übernahme der Finanzierung des Mammutprojektes witterte er seine große Chance, endlich zum bedeutensten Bankhaus Amerikas aufzusteigen.
Sein guter Ruf brachte schnell erste finanzielle Mittel für die Northern Pacific und so wurden im Sommer 1869 schließlich erste Feldvermessungen durchgeführt. Innerhalb weniger Monate hatte Cooke über 100 Millionen Dollar an NPR-Anleihen verkauft und so konnte bereits am 15. Februar 1870 der erste Spatenstich bei Duluth in Minnesota erfolgen. Der wirkliche Baubeginn folgte dann termingerecht im Juli 1870. Zunächst lief alles perfekt. Cooke kümmerte sich um die Finanzierung und der Bau schritt zügig voran. Dank seines Engagements für die NPR stieg Cooke die Erfolgsleiter empor und wurde bald zu einem der reichsten Männer der Welt.
Tiefe Löcher in den Kassen
Doch schon bald zeigten sich erste Probleme. Der Bau der Bahn verbrannte wesentlich mehr Geld als die bereits fertiggestellten Abschnitte einbrachten. Zudem rissen unvorhersehbare Ereignisse wie Brückeneinstürze oder Streckenunterspülungen tiefe Löcher in die Kasse. Der gleichzeitig laufende Aktienboom in Deutschland und Österreich veranlasste Cooke, der mittlerweile Haupteigner der Northern Pacific Railroad war, auch in Europa seine Eisenbahn-Anleihen auf den Markt zu bringen, doch blieben die Erfolge hier deutlich unter den Erwartungen. Auch von anderer Seite drohten Einbussen. Seit einigen Jahren kämpfte in Amerika die Granger-Bewegung gegen Monopolbildungen in der Eisenbahnindustrie. Die Eisenbahnlinien konnten, da sie in der Regel die alleinige Transportverbindung waren, deutlich höhere Preise verlangen, als dies in einem normalen Wettbewerb möglich gewesen wäre. Die Granger forderten deswegen u.a. vernünftige Höchstpreise in der Güterbeförderung und fanden damit schnell Freunde bei den Farmern und ansässigen Politikern. Eine zusätzliche Geldquelle durch weitere Preissteigerungen war so versiegt.
Die Lage spitzt sich zu
Die Situation spitze sich gegen Ende des Jahres 1872 immer mehr zu. Die Kosten explodierten förmlich, während gleichzeitig immer mehr Geldquellen versiegten. Unzählige Eisenbahngesellschaften warben mit ihren Anleihen um die Gunst der Anleger, doch immer weniger Investoren waren bereit weitere Mittel in die riskanten Projekte zu stecken. Anfang 1873 konnte die Northern Pacific Railroad ihre Mitarbeiter schließlich nur noch mit Schuldscheinen entlohnen. Das Konto bei der Jay Cooke & Company war tief in die roten Zahlen gefallen. Das belastete nun auch die Geschäfte der Bank, die ein bedeutender Teilhaber der Eisenbahn war. Ähnliche Probleme hatten auch andere Finanzhäuser von Eisenbahnlinien wie z.B. die Warehouse & Security Company (Finanzier der Missouri, Kansas & Texas Railroad) oder die Gesellschaft Kenyon, Cox&Co. (Canada Southern Railway). Dazu kamen erste konjunkturelle Warnzeichen. So gingen die Exporte nach Europa deutlich zurück. Die Folge waren erste Preisrutsche in der auf Überproduktion laufenden amerikanischen Industrie und Landwirtschaft.
Noch bis September konnte sich der Boom halten, doch am 8. September 1873 musste die New York Warehouse & Security Company Konkurs anmelden. Am 13. September 1873 folgte die ebenfalls in Eisenbahnfinanzierung involvierte Kenyon, Cox&Co. Doch der große Kursrutsch blieb zunächst aus. Am 17. September gab es dann erste Kursabschläge, aber immer noch war der Großteil der Anleger ahnungslos. Am 18. September 1873 um 11 Uhr vormittags meldete Jay Cooks Partner in New York, H.C. Fahnenstock, das Einstellen jeglicher Zahlungen der New Yorker Filiale. Um 14:30 Uhr folgte dann die Meldung über die Insolvenz von Jay Cooke & Co. Die amerikanische Wirtschaft war wie vom Blitz getroffen - der prominenteste und angesehenste Banker in den Vereinigten Staaten war bankrott!
Panik an den Börsen
Die erste Reaktion auf den Kollaps der führenden Bank Amerikas war Ungläubigkeit. Ein Zeitungsjunge wurde in Pittsburgh verhaftet, weil er die Nachricht bei Verkauf der Zeitung ausgeschrien hatte. Doch schnell wechselte die Ungläubigkeit in Panik. Der Aktienmarkt fiel ins Bodenlose. Am folgenden Tag gab es Gerüchte, dass auch der Eisenbahnmagnat Cornelius Vanderbilt bald Konkurs anmelden müsse. Zwar stellte sich dies wenig später als falsch heraus, jedoch gab es genügend andere Unternehmen die von der Insolvenz bedroht waren. Um den anhaltenden Verkaufsdruck von der Börse zu nehmen entschloss sich die New Yorker Börse am 19. September zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Börsenhandel für zehn Tage vom 20. bis zum 29. September 1873 einzustellen.
Am 20. September gab das Nation Magazin folgende Beschreibung der Vorgänge an der NYSE: \"Jeder der am vergangenen Donnerstag, Freitag oder Samstag an der Wall Street oder auf der Gallerie der Börse war, sah den verrückten Terror, in dem große Menschenmengen hin und her rannten und versuchten ihre Wertpapiere abzustoßen. Teilweise baten diese Leute sogar wildfremde Menschen ihnen die Papiere für egal welchen Preis abzukaufen....\" Schon damals sprachen erste Zeitungen von einem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse.
Nach der Panik schlitterte die Wirtschaft in eine tiefe Rezession. Ein Großteil der sich im Bau befindlichen Eisenbahnstrecken wurde gestoppt - u.a. auch der weitere Bau der Northern Pacific Railroad. Die Wirtschaft war schwer getroffen und erholte sich auf Jahre nicht von diesem Schlag. Nach Schätzungen waren im Jahr 1877 nur 20 % der erwerbstätigen Bevölkerung in einer regulären Anstellung. Auch ausländische Investoren zogen sich komplett zurück. Vor der Panik im Jahr 1873 betrug die Summe der ausländischen Investitionen 242 Millionen US-Dollar, im Jahr 1875 sank diese Zahl an die Nullgrenze. Unzählige Unternehmen mussten in der Folge der Panik Konkurs anmelden. Allein 89 Eisenbahnlinien gingen bis 1878 bankrott. Andere Unternehmen reduzierten die Produktion, Einkommen sanken, Preise fielen (vor allem auch für Agrarprodukte), Arbeiter wurden entlassen. Die Importe aus Europa gingen um 44% zurück, und die Hälfte aller Hochöfen war erloschen. Trotzdem erholte sich die Wirtschaft ab Ende der Siebziger langsam wieder. Auch die Northern Pacific Railroad, die 1876 von Frederic Billings übernommen worden war, kam ab 1880 wieder langsam in Fahrt. Doch das Wachstum stand auf wackeligen Beinen. Immer wieder schockten neue Horrormeldungen die Anleger und verhinderten einen Aufschwung. So auch im Jahr 1893 als der Kollaps des britischen Finanzhauses Baring Brothers, die Wirtschaft erneut tief in die Rezession zurückwarf.