Short Selling (auf Deutsch: Leerverkauf) bezeichnet eine Anlagestrategie, bei der Investoren auf fallende Kurse eines Wertpapiers, meist einer Aktie, setzen. Dabei werden Wertpapiere, die der Verkäufer gar nicht besitzt, zunächst geliehen und sofort verkauft – in der Erwartung, sie später günstiger zurückkaufen zu können. Gelingt dies, erzielt der Anleger einen Gewinn aus der Differenz zwischen Verkaufs- und Rückkaufpreis. Short Selling ist ein zentrales Instrument im modernen Finanzmarkt, das sowohl zur Spekulation als auch zur Absicherung bestehender Positionen dient.
Der Ablauf eines Leerverkaufs lässt sich in mehreren Schritten erklären: Zunächst leiht sich der Shortseller Aktien von einem institutionellen Anleger, beispielsweise einer Investmentbank oder einem Fonds, gegen eine Gebühr. Diese geliehenen Aktien werden anschließend am Markt verkauft. Fällt der Kurs der Aktie, kann der Anleger die gleiche Anzahl an Aktien später zu einem niedrigeren Preis zurückkaufen und an den Verleiher zurückgeben. Die Differenz zwischen Verkaufs- und Rückkaufpreis stellt den Gewinn dar.
Steigt der Kurs hingegen, muss der Shortseller die Aktien teurer zurückkaufen und erleidet entsprechend Verluste. Da der Kurs einer Aktie theoretisch unbegrenzt steigen kann, sind auch die möglichen Verluste beim Short Selling nach oben offen – im Gegensatz zu Long-Positionen, bei denen das Verlustrisiko auf den Kapitaleinsatz begrenzt ist.
Ein Anleger vermutet, dass die Aktie eines Unternehmens – etwa der Elektroautohersteller Tesla – überbewertet ist und bald an Wert verliert. Er leiht sich 100 Tesla-Aktien und verkauft sie sofort zu einem Kurs von 250 Euro pro Stück. Nach einigen Wochen fällt der Kurs tatsächlich auf 200 Euro. Der Anleger kauft nun 100 Aktien zum neuen Preis zurück, gibt sie an den Verleiher zurück und erzielt einen Gewinn von 50 Euro pro Aktie, abzüglich eventueller Leihgebühren. Hätte sich der Kurs stattdessen auf 300 Euro erhöht, würde der Shortseller einen Verlust von 50 Euro pro Aktie verbuchen.
Man unterscheidet zwischen zwei Formen des Leerverkaufs:
Short Selling wird aus verschiedenen Motiven betrieben. Zum einen nutzen Spekulanten die Strategie, um von erwarteten Kursrückgängen zu profitieren. Zum anderen setzen institutionelle Investoren Leerverkäufe als Hedging-Instrument ein, um sich gegen Verluste in bestehenden Portfolios abzusichern. Hedgefonds beispielsweise kombinieren häufig Long- und Short-Positionen, um unabhängig von der allgemeinen Marktentwicklung Renditen zu erzielen.
Darüber hinaus erfüllt Short Selling eine wichtige Funktion für die Markttransparenz und Liquidität. Da Shortseller Überbewertungen aufdecken und auf Marktineffizienzen hinweisen, tragen sie zur Preisfindung bei. Allerdings ist die Praxis auch umstritten, da massive Short-Positionen in Krisenzeiten zu Panikreaktionen und Kursverfällen beitragen können.
Berühmte Beispiele zeigen, wie mächtig diese Strategie sein kann. Der Investor Michael Burry etwa wurde durch seine Short-Positionen auf den US-Hypothekenmarkt während der Finanzkrise 2008 bekannt, die er in der Folge spektakulär gewann. Auch Hedgefonds wie Melvin Capital verloren 2021 Milliarden, als sie bei der GameStop-Aktie auf fallende Kurse gesetzt hatten – und durch den sogenannten Short Squeeze in die Defensive gedrängt wurden.
Short Selling ist in den meisten Ländern erlaubt, unterliegt jedoch strengen Auflagen. Die Finanzaufsichtsbehörden – in Deutschland etwa die BaFin – verlangen Transparenz über größere Netto-Leerverkaufspositionen, um Marktmanipulationen zu verhindern. In Krisenzeiten können temporäre Verbote verhängt werden, wie während der Finanzkrise 2008 oder während der Corona-Pandemie 2020.
Kritiker sehen im Short Selling ein Instrument, das Marktverwerfungen verstärken kann, da große Leerverkäufe den Kursverfall beschleunigen. Befürworter hingegen argumentieren, dass Shortseller einen wichtigen Beitrag zur Effizienz und Stabilität der Märkte leisten, indem sie überbewertete Titel identifizieren und Preisblasen frühzeitig offenlegen.
Das größte Risiko beim Short Selling liegt in der unbegrenzten Verlustmöglichkeit. Während der maximale Gewinn auf den ursprünglichen Verkaufspreis begrenzt ist, können Verluste theoretisch unendlich steigen, wenn der Kurs der Aktie stark anzieht. Hinzu kommen Kosten für die Leihe der Aktien sowie potenzielle Margin Calls, falls die Verluste während der Laufzeit zu groß werden. Deshalb wird Short Selling meist nur von professionellen Investoren oder erfahrenen Privatanlegern eingesetzt.
Short Selling ist ein komplexes, aber essenzielles Instrument der modernen Finanzmärkte. Es ermöglicht Anlegern, auf fallende Kurse zu spekulieren oder Risiken in ihrem Portfolio abzusichern. Trotz seines schlechten Rufs in der Öffentlichkeit trägt es zur Effizienz und Liquidität der Märkte bei. Dennoch sollten Anleger die erheblichen Risiken und Kosten dieser Strategie genau verstehen, bevor sie sich auf Leerverkäufe einlassen. Ein umsichtiges Risikomanagement und fundierte Marktkenntnis sind entscheidend, um die Chancen des Short Selling erfolgreich zu nutzen.