Die Gewinne vieler Unternehmen brechen aufgrund der Corona-Krise ein. Und dennoch schnellen die Aktienkurse bei den hoch bewerteten Wachstumsaktien aus Amerika nach oben. So wird die Aktienauswahl knifflig. Dabei verliert die Fundamentalanalyse an Aussagekraft und rückt bei vielen Anlegern durch die Liquiditätsschwemme eher in den Hintergrund. Dennoch bleiben die wichtigsten Kennzahlen unverzichtbar. Sie vermitteln erste Eindrücke und sind wegen der guten Vergleichsmöglichkeiten bei der Vorauswahl für eine Aktienanlage wichtig.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis KGV
Das KGV als die wohl wichtigste, bekannteste, am häufigsten genutzte Kennzahl für die Aktienbewertung ist massentauglich und gehört zum Bestandteil jeder Aktienanalyse. Es setzt den Unternehmensgewinn ins Verhältnis zum aktuellen Aktienkurs. Das KGV schafft Klarheit darüber, mit welchem Vielfachen des Jahresgewinns jede einzelne Aktie an der Börse bewertet wird und macht damit unterschiedliche Branchen, Bereiche und Einzelwerte vergleichbar. Geht es um Kursziele, setzen Analysen dabei auf den erwarteten Gewinn in den kommenden zwölf Monaten. Jedoch besteht aktuell das Problem, dass die Entwicklung der Unternehmensgewinne in den nächsten ein bis zwei Jahren immer schwieriger berechenbar erscheint. In Europa dürften die meisten Konzerne im kommenden Jahr um knapp ein Drittel weniger verdienen. Anziehende Kurse bei gleichzeitig geringeren Gewinnen führen zu höheren KGV-Bewertungen. Umgekehrt sinkt das KGV bei stabilem Kurs, wenn steigende Erträge zu erwarten sind. Ein KGV-Vergleich ist innerhalb der gleichen Branche aussagekräftig. Dagegen bringt es nichts, Autowerte-KGVs mit der Biotechbranche zu vergleichen.
So wie ein Fünf-Sternehotel bezüglich Übernachtungskosten ein Mehrfaches wie ein ganz einfach ausgestattetes Massenquartier kosten kann, verdient auch an der Börse Premium einen Preisaufschlag. Zahlreiche Analysten sehen beispielsweise in der Automobilindustrie wegen der hohen Herausforderungen bezüglich Elektromobilität und autonomem Fahren die niedrigen einstelligen Bewertungen in dieser Branche kritischer als die hohen Bewertungen beispielsweise bei Amazon, Apple, Alphabet, Adobe, Facebook, PayPal usw.
Der Buchwert
Wie wichtig es gerade ist, sich Kennzahlen in Kombination mit anderen Finanzzahlen anzuschauen, zeigt gerade der Buchwert. Ohne mit Blick und Rückschluss auf das KGV sagt diese Kennzahl überhaupt nichts aus. Der Buchwert spiegelt die Substanzkraft, die materiellen Werte eines Unternehmens wider wie Grundstücke und Gebäude, Fuhrpark, Maschinen, Geschäftsausstattung usw. Die so wichtigen immateriellen Inhalte wie Patente, Erfindungen, Entdeckungen, Innovationskraft werden hier nicht berücksichtigt. Von daher ist es einleuchtend, dass zum Beispiel Immobilien-Unternehmen oft hohe Buchwerte, die kreativen Hochtechnologie- und Biotechunternehmen im Hinblick auf den Buchwert eher wenig zu bieten haben. Im Crash ist es hilfreich, bezüglich niedriger oder hoher Bewertung Buchwert und Aktienkurs unter die Lupe zu nehmen. Je mehr der Buchwert den Aktienkurs übertrifft, umso niedriger erscheint die Bewertung, also durchaus ein Argument, hier und dort zuzugreifen. Dies gilt insbesondere in den Phasen fallender Aktienmärkte und übertrieben abgestürzter Einzeltitel.
Bei den folgenden niedrig bewerteten Value-Aktien aus dem MDAX liegt der Buchwert am 14. August 2020 deutlich über dem aktuellen Aktienkurs – oftmals vordergründig verursacht durch gekürzte oder sogar komplett gestrichene Dividenden: Aareal Bank: Alstria Office Reit, Aroundtown, Commerzbank, Fraport, Grand City Properties, K&S, Lufthansa und Rocket Internet.
Beim SDAX mit den 70 kleineren Werten übertrifft der Buchwert am 14. August 2020 bei den folgenden Titeln den Aktienkurs – ebenfalls ein Merkmal niedriger Bewertung: 1&1 Drillisch, Bertrandt, Bilfinger, Corestate Capital, Deutsche Euroshop, Deutsche Pfandbrief, Deutz, Klöckner & Co., König & Bauer, LEONI, SAF-Holland, Talanz, Traton, W&W AG.
Das Kurs-Buchwert-Verhältnis KBV
Auch diese Schätzgröße ist mit Unsicherheiten behaftet. Der Buchwert umfasst die Summe aller Vermögenswerte eines Unternehmens abzüglich der Schulden. Ein Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) unter Eins besagt, dass eine Firma im Falle einer Liquidation mehr Wert wäre, als der Anleger an der Börse dafür bezahlt. Dazu erklärt Day von Rotschild: „Das KGV funktioniert vor allem bei Industriewerten, weniger bei Technologiewerten, die oftmals einen geringen Buchwert haben.“ Gegenwärtig liegt das KBV bei europäischen Technologiefirmen bei etwas über vier und damit höher als in sämtlichen anderen Branchen.
Das Kurs-Cashflow-Verhältnis KCV
Der für die Analyse wichtige Cashflow bezeichnet das Geld, über das ein Unternehmen nach Abzug sämtlicher Ausgaben, Patente und Investitionen verfügt. Dazu meinen die Experten von Rothschild und Merck Fink: „Die Fähigkeit eines Unternehmens, Cash zu generieren, ist mindestens genauso wichtig wie der Gewinn. – Ein positiver freier Cashflow zeigt an, wie gesund ein Geschäftsmodell tatsächlich ist.“
Für das KCV gilt ebenso wie für das KGV: Je niedriger, umso besser und erfreulicher! Die Corona-Krise führt bei zahlreichen Unternehmen im Zuge der Kurserholung trotz Rezessionsgefahr zu einem steigenden Kurs-Cashflow-Verhältnis. Die Schätzungen bewegen sich für das nächste Jahr 2021 im Stoxx Europe 600 auf rund 8 %. Dazu bemerkt Day von Rothschild: „Wachstumsunternehmen in frühen Phasen haben oft einen hohen Investitionsbedarf. Von daher ist ihr Cashflow mitunter gering und das Kurs-Cashflow-Verhältnis für Technologiewerte kein besonders hilfreicher Indikator.“
Das Kurs-Umsatz-Verhältnis KUV
Die Höhe der Umsätze sagt zwar heutzutage noch kaum etwas darüber aus, ob das Unternehmen überhaupt Geld verdient oder lediglich wächst, um später Gewinne einzufahren. Jedoch steht fest, dass sinkende Umsätze wie bei vielen Firmen in den Zeiten der Corona-Krise zu beobachten, die Lage noch erheblich verschlechtern. Bei jungen, stark wachsenden Gesellschaften sind ein hoher Umsatzanstieg jedoch die Voraussetzung dafür, dass die Firma die Dursttrecke bald überwindet und endlich auch Erträge einfährt.
Für den weltweit erfolgreichsten Onlinehändler Amazon hielt die Verschuldung jahrelang an. Heute werden die riesigen Gewinne in weitere Auslieferungslager, Cloud, Beteiligungen und neuartige Geschäftsmodelle investiert. Und bei den beiden deutschen Nahrungsmittel-Aktien Delivery Hero, überraschender DAX-Aufsteiger nach dem Rauswurf von Wirecard, sowie dem MDAX-Unternehmen Hello Fresh ist nach dem extrem hohen Umsatzanstieg ein Ende der Verschuldung in Sicht. Der Corona-Crash kennt also nicht nur Verlierer, sondern auch strahlende Sieger, wozu Sartorius und Zalando vom MDAX und insbesondere die Shop-Apotheke und die Medizintechnikfirma Stratec vom SDAX zählen. Wichtig erscheint ein organisches Umsatzwachstum. Aber nachdem es für zahlreiche Unternehmen schwierig wird zu überleben, zählt das anorganische Umsatzwachstum durch preiswerte Beteiligungen zum Corona-Trend.
Die Eigenkapitalquote bzw. das Verhältnis von Ertrag und Schulden
Vor dem Nullzins- und Strafzins-Monster zählte eine hohe Eigenkapitalquote zu den erstrebenswerten Unternehmenszielen, winkte doch eine attraktive Verzinsung. Nachdem nun aber Strafzinsen drohen, investieren Großkonzerne mit gesunder Bilanz lieber in chancenreiche Geschäftsmodelle, erwerben Patente und Beteiligungen an aussichtsreichen Startups und unterschiedlich großen Unternehmen, die gut zum Geschäftsmodell passen und möglichst nachhaltig ausgerichtet sind. Dabei spielen Digitalisierung, Cloud Computing und Künstliche Intelligenz eine immer wichtigere Rolle.
Die Gewinnentwicklung je Aktie im Mehrjahres-Vergleich
Interessant ist auch die Gewinnentwicklung pro Aktie möglichst im Fünf-Jahresvergleich. Dabei dürfte die Corona-Krise aus dem bislang wachsenden Plus ab 2021 das bislang schöne grüne Zahlenwerk oftmals tiefrot einfärben. Bei einem Aktiensplit beispielsweise im Verhältnis 2:1, 3:1 oder 4:1 ändert sich zwar der Wert der Aktie durch die Stückelung nicht. Aber die Aktien sind nun besser handelbar. Und ein Unternehmen dürfte wohl kaum seine Aktien stückeln, würden Kursverluste wie bei Kapitalherabsetzungen erwartet. In jüngster Zeit haben 2020 der SDAX-Aufsteiger Atoss Software und das Medizintechnik-Unternehmen Eckert & Ziegler Aktiensplitts erfolgreich durchgeführt.
Die Dividendenrendite
Ein Aktiendepot kann nur auf zweierlei Weise wachsen: durch Gewinnmitnahmen und wieder angelegte Dividenden. Dabei legen die meisten Aktionäre auf eine verlässlich steigende Ausschüttung großen Wert. Hierzulande ist es üblich, einmal jährlich auszuschütten, in den USA viermal. Bei gleichbleibender Dividende steigt die Rendite, wenn der Aktienkurs abstürzt. Umgekehrt sinkt sie, wenn sich der Aktienkurs aufwärts dreht. Jedes 4. europäische Unternehmen hat 2020 die Ausschüttung gekürzt oder gestrichen. 2021 sieht dies keineswegs besser aus. Im Stoxx Europe 600 beträgt die Dividende knapp 3 %, im Leitindex DAX 2,6 %, im MDAX 0,98 %, im TecDAX 1,18 %, im SDAX 0,88 %. Bundesfinanzminister Scholz duldet keine Dividenden, wenn die Firma Staatshilfe beantragt. Ein Beitrag zur Förderung der Aktienkultur sieht anders aus. Zu den deutschen Dividenden-Aristokraten zählen Versicherungs- und Immobilienunternehmen.
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Beate Sander ist Bestseller-Autorin und hat mittlerweile über 50 Fachbücher zum Thema Börse und Geldanlage veröffentlicht. Der "Aktien- und Börsenführerschein" zählt sogar zu den TOP 10 Wirtschaftsbüchern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum.
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